Vom Buffet aus gab es Beifall
27.09.2019 WohlenAls die Jugendbewegung 1981 auf Wohlen überschwappte und an der Unteren Farnbühlstrasse rasch Ruhe einkehrte
Sie machte eine kurze Stippvisite in Wohlen, die Jugendbewegung im April 1981. Sie dauerte ganze fünf Tage: Hausbesetzung, unzimperliche Räumung ...
Als die Jugendbewegung 1981 auf Wohlen überschwappte und an der Unteren Farnbühlstrasse rasch Ruhe einkehrte
Sie machte eine kurze Stippvisite in Wohlen, die Jugendbewegung im April 1981. Sie dauerte ganze fünf Tage: Hausbesetzung, unzimperliche Räumung durch eine Bürgerwehr, friedliche Einigung.
Daniel Marti
Die Volksseele kochte. Die Emotionen gingen hoch. Die Welt der Erwachsenen war gespalten. Viele wollten jedoch die Jugendbewegung in Wohlen nicht. Hier in der Provinz hatte das nichts zu suchen. Solche Auswüchse mögen in der grossen Nachbarschaft – in Aarau, Baden, Zürich – geduldet sein. Die Rede ist von der letzten Jugendbewegung in den 80er-Jahren. Der Kampf um Häuser und um Plätze beherrschte damals die Szenerie. «Zeitgeschichte Aargau» hat diesen Sommer die Jugendbewegungen im Aargau aufgegriffen (siehe Kasten), Fixpunkte waren hauptsächlich in Aarau und Baden.
Und da war doch etwas in dieser Region. Eben, ein Ausläufer reichte bis nach Wohlen. Damals, am 19. April 1981. Die Hausbesetzung in Wohlen an der damaligen Unteren Farnbühlstrasse 26 schaffte es bis in die nationalen Schlagzeilen. Vor allem die «Räumung». Sogar der «Blick» berichtete darüber.
«Wenn das in Wohlen passiert, räumen wir auf…»
Dank «Zeitgeschichte Aargau» gibt es nun eine kantonale Aufarbeitung. Aber wie war das genau mit dem Spuk im beschaulichen Wohlen? Eine Bürgerwehr sorgte bekanntlich für Ordnung im Dorf. Und wer steckte hinter der Bürgerwehr? Damals junge Männer so knapp um die 25 bis 30, die sich heute noch gut an jene Tage im April erinnern. Ihren Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen, das war vor 38 Jahren so und gilt noch heute. Aber erzählen, das tun sie gerne. Diese Zeitung hat mit zwei von ihnen gesprochen.
Rundherum gab es diese Häuserbesetzungen. In Aarau, Baden und vor allem in Zürich. Und wenn das auch in Wohlen passieren sollte, «dann räumen wir dort auf». Dies wurde schon Wochen zuvor an einem Männerabend besprochen. Dann geschah es tatsächlich. An einem Freitag und Samstag nahm sich eine grössere Anzahl Jugendlicher das Recht, die seit zwei Jahren leer stehende Liegenschaft Untere Farnbühlstrasse 26 in Beschlag zu nehmen.
Die Story der Häuserbesetzung machte im Nu die Runde im Dorf. Die Männer der Bürgerwehr handelten postwendend. Am Sonntagnachmittag fuhren sie zu zehnt bei der besagten Liegenschaft vor. Drinnen fanden sie rund 25 Jugendliche, illegale Bewohner.
Freundliche, aber sehr bestimmte Räumung
Da waren viele Auswärtige im Haus, draussen standen diverse Fahrzeuge mit ausserkantonalen Nummernschildern. So die Erzählung. Die Bürgerwehr stand gemäss eigenen Angaben rund eine Viertelstunde im Einsatz. «Die haben wir alle freundlich, aber sehr bestimmt aus dem Haus komplimentiert.» Eine Matratze flog noch durchs Fenster. Schläge gab es keine. «Gut», gibt einer zu, einer Person habe er einen «Schuh in den Hintern» versetzt. Oder auch zwei. Mehr Gewalt gab es nicht. Und einem jungen Hausbesetzer habe man den Film aus der Kamera genommen und diesen entsorgt. «Diesen haben wir allerdings mit fünf Franken entschädigt.»
Überraschende Einigung mit den Besitzern
Wie erwähnt, die Häuserräumung dauerte maximal eine Viertelstunde. Von der Gartenwirtschaft des benachbarten Restaurants Bahnhofbuffet aus wurde alles beobachtet. «Und von dort aus gab es für uns viel Beifall.» Nachdem die illegalen Bewohner vertrieben waren, kehrten die Personen der Bürgerwehr im «Bahnhofbuffet» ein. Und prosteten sich zufrieden zu.
Zwei Tage später kam es dann zur grossen Wende. Die Liegenschaftsbesitzer, Max und Paul Strebel, zeigten Verständnis für die Wünsche der Jugendlichen. Sie stellten das Haus für vier Wochen kostenlos zur Verfügung. Die Jugendlichen mussten alles selber verwalten, das Gebäude musste instand gestellt und der Garten entrümpelt werden. Gleichzeitig unterzeichneten die Liegenschaftsbesitzer eine Strafverzichtserklärung.
Die Abmachungen galten nur für vier Wochen, danach kam der Abbruchbagger. Die Verhandlungen mit Liegenschaftsbesitzer und Jugendlichen wurden vom damaligen Gemeindeammann Rudolf Knoblauch moderiert. Und vor dem Gemeindehaus warteten rund 100 Jugendliche gespannt auf das Ergebnis der Verhandlungen.
Auch ein Sprecher der Bürgerwehr signalisierte der Kantonspolizei, dass der nun rechtliche Zustand respektiert werde.
«Keine schlechte Entscheidung»
Und wie betrachten die Personen der Bürgerwehr die ganze Geschichte aus heutiger Sicht? «In jener Zeit, im April 1981, war unser Vorgehen sicher keine schlechte Entscheidung. Die Hausbesetzung war illegal, und wir haben das auch mit Respekt gelöst.» Die Personen von der Bürgerwehr denken heute noch gerne an die damalige Räumungsaktion. «Wir würden wohl auch aus heutiger Sicht wieder gleich handeln», sagen sie, obwohl auch die Bürgerwehr-Personen in der Zwischenzeit 38 Jahre älter geworden sind.
Und noch eine Tatsache vom April 1981 sei wichtig. «Wir haben damals nur positive Rückmeldungen bekommen.» Es gab diverse Gratulationsschreiben und als Belohnung waren auch mehrere Flaschen Wein dabei.
«Zeitgeschichte Aargau» reicht bis nach Wohlen
«Zeitgeschichte Aargau» ist ein Forschungs- und Vermittlungsprojekt der Historischen Gesellschaft Aargau. Ein Team aus acht Historikerinnen und Historikern erarbeitet die wissenschaftlichen Grundlagen für die Vermittlung der Aargauer Zeitgeschichte zwischen 1950 und 2000 in verschiedenen Formaten.
Vom Explosionsunglück Dottikon bis zur Jugendbewegung
Dabei ist der Wohler Historiker Fabian Furter Co-Projektleiter und Autor. Furter studierte in Zürich und Berlin A llgemeine Geschichte, Kunstwissenschaften und Geografie. Seit 2008 ist er Partner vom Büro imRaum Furter Handschin Rorato für Museumsplanungen und Publikationen. Für «Zeitgeschichte Aargau» erforscht er die Themenbereiche Raumentwicklung und Architektur sowie Wohnen und Arbeiten. Das erste Werk zu «Zeitgeschichte Aargau» widmete Fabian Furter der Katastrophe in Dottikon, dem Explosionsunglück und den Folgen. In einem informativen Dokumentarfilm rekonstruierte Furter die verheerende Tragödie, die sich vor 50 Jahren ereignete.
Das nächste Thema hat «Zeitgeschichte Aargau» bereits angepackt und es heisst: «Fünfzig Jahre, drei Bewegungen, dreimal Protest. Jugendbewegungen im Aargau: Wohin hat das bis heute geführt?» Der aktuelle Dokfilm geht drei Jugendbewegungen nach, die den Aargau in den letzten fünf Jahrzehnten geprägt hatten. Den Anfang macht der Aufbruch von 1968, der sich nachhaltig auf Politik und Gesellschaft auswirkte. Es folgten die Jugendunruhen von 1980, die aus Zürich und Basel die Aargauer Kleinstädte erreichten, wo junge Menschen leer stehende Wohnhäuser und Gewerbebauten für ihre kulturellen und sozialen Freiräume besetzten und autonome Jugendzentren betrieben. Diese Bewegung reichte im Frühling 1981 bis nach Wohlen.
Bald gibt es drei weitere Filme
Die nächsten Dokumentarfilme von «Zeitgeschichte Aargau» sind bereits in der Entstehung. Im Oktober wird das Thema «Professionelle Kulturförderung Aargau» auf einem Streifen gezeigt. Dann folgt, voraussichtlich im Dezember, ein Werk über das erste Kernkraftwerk der Schweiz, Beznau. Und im März des nächsten Jahres wird in einem Dokfilm das erste grosse Shoppingcenter der Schweiz beleuchtet, dies steht bekanntlich in Spreitenbach. --dm