Das Glück in der Ferne
16.07.2019 BremgartenEr sah die Gefahr eines Burnouts auf sich zukommen. Dann liess er sich pensionieren und wanderte nach Finnland aus: Der in Bremgarten aufgewachsene Guido Honegger (62), zusammen mit seiner Frau Irja-Liisa. Die Redaktion stellt in der Sommerserie «Freiämter im Ausland» Menschen aus ...
Er sah die Gefahr eines Burnouts auf sich zukommen. Dann liess er sich pensionieren und wanderte nach Finnland aus: Der in Bremgarten aufgewachsene Guido Honegger (62), zusammen mit seiner Frau Irja-Liisa. Die Redaktion stellt in der Sommerserie «Freiämter im Ausland» Menschen aus der Region vor, die ihr Glück in der Fremde suchen. --aw
Freiheit und Ruhe im hohen Norden
Serie «Freiämter im Ausland»: Guido Honegger ist nach Finnland ausgewandert
Eislochschwimmen, Sauna, ein Tanzlokal und der Betrieb von Ferienwohnungen: Dem früheren Bremgarter Guido Honegger wird es im nordfinnischen Kalajoki nicht langweilig. Dennoch hat er dort die Ruhe und Freiheit gefunden, die er in der Schweiz vermisst hat.
André Widmer
«Parhaimmat onnittelut syntymäpäiväsi johdosta» – «Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag». Nein, Finnisch ins Deutsche ableiten ist mit kaum einem Wort möglich. Die Sprache ist zwar noch eine Hürde, aber der 2018 von der Schweiz nach Finnland eingewanderte Guido Honegger hat sich bereits gut eingelebt im nordischen Land. «Das Klischee teuer, kalt und viele Mücken trifft jedenfalls nicht zu», erklärt er.
Der heute 62-jährige Guido Honegger war lange Zeit in Bremgarten wohnhaft und ist dort aufgewachsen; sein Sohn Patrick ist heute noch sehr aktiv beim Kellertheater im Jugendbereich engagiert. Nach einem Intermezzo in Dulliken ist Guido Honegger mit seiner finnischstämmigen Frau Irja-Liisa – sie lebte 30 Jahre in der Schweiz – in ihre ursprüngliche Heimat gezogen. Für den früheren Schadeninspektor war der Zeitpunkt für eine Frühpensionierung gekommen, als er die Gefahr eines Burnouts auf sich zukommen sah. Dennoch war es kein impulsiver Schritt. «Nicht so wie bei ‹Goodbye Deutschland›, sondern gut überlegt», betont Honegger. Land und Leute kannte er schon seit vielen Jahren, ist mehrfach pro Jahr und in jeder Jahreszeit in den hohen Norden gereist. Er wusste, was ihn dort erwartet. Auch in Sachen Mentalität: «Der Finne wirkt kühl, ist es aber gar nicht so. Ich bin hier sehr gut aufgenommen worden», räumt er mit einem weiteren Vorurteil auf.
«Nicht geflüchtet, nur ausgewandert»
Für die Integration tut Guido Honegger aber auch selber etwas, denn er engagiert sich beispielsweise in einem Chor in Kalajoki. Er fühle sich hier nicht als Ausländer. Der gesellige Typ aus der Schweiz findet so schneller Anschluss, auch wenn er sich noch mit «Finglisch» durchschlagen müsse, seiner persönlichen Mischung aus Finnisch und Englisch. Dieser Sprachenmix kommt ihm beispielsweise dann zugute, wenn er einkaufen muss. Und dort schätzt er insbesondere eins: «Ich muss nicht Schlange stehen.» Den Platz, die Ruhe, die Freiheit in Finnland, die schätzt Honegger ganz besonders. Finnland ist rund achtmal so gross wie die Schweiz, hat aber nur fünfeinhalb Millionen Einwohner. Stress – ja auch der Dichtestress – ist in der kurzen Zeit schon ein absolutes Fremdwort für Guido Honegger geworden. Man lebe nicht Wand an Wand hier. Eine normale Strasse sei breiter als bei uns die Autobahn, Finnland ein eigentliches Veloland. Auch die Freundlichkeit hat es ihm angetan, so etwas habe er schon lange nicht erlebt. Honegger betont aber: «Wir sind nicht geflüchtet, nur ausgewandert.» Früher in der Schweizerischen Vereinigung der Freunde Finnlands, ist er nun bei der Ortsgruppe Oulu der Sveitsin Ystävät Suomesse (Schweizer Freunde Finnland), welche mit dem Deutschland-Finnland-Verein zusammenarbeitet und wo nebst Schweizern und Deutschen auch Österreicher willkommen sind.
Heimat in «Waldfinnland»
Kalajoki, die neue Heimat von Guido und Irja-Liisa Honegger, liegt im Nordwesten Finnlands etwa 100 Kilometer von der Grossstadt Oulu entfernt. Die Gegend nennt man auch «Waldfinnland», erzählt Honegger. Es ist eine malerische Landschaft. So weit oben im Norden kommt man im Winter auch in den Genuss der Nordlichter. Im Sommer sind die Tage extrem lang und die Nächte kurz – dafür ist es im Winter dann umgekehrt.
Die Stadt Kalajoki mit ihren etwas über 12 000 Einwohnern liegt am gleichnamigen Fluss, aber nicht nur: Der nordwestliche Teil grenzt auch an die Ostsee. Guido Honeggers Haus liegt nur rund 500 Meter von der Küste entfernt und ist deshalb etwas windgeschützter, als wenn es direkt am Wasser stehen würde. Mit der Vermietung von zwei Wohnungen auf Airbnb sind Honeggers auch touristisch tätig. Der einstige «Bürogummi», wie er sich selber betitelt, hat sich bei den Renovationsarbeiten kräftig engagiert. Guido Honegger und seine Frau, die noch berufstätig ist, betreiben ein Tanzkafi. Er ist ein passionierter Musiker, unter «Hony Music» ist er auch als Alleinunterhalter buchbar. Und Ehefrau Irja-Liisa hat sich ebenfalls einen grossen Wunsch erfüllen können: Sie wollte vor der Pensionierung nochmals berufstätig sein in ihrer Heimat Finnland. Die 60-Jährige arbeitet als Pflegefachfrau in einem Spital, es sei ein Traumjob für sie. Toll dabei, dass es bereits einige Wochen nach dem Umzug nach Finnland geklappt hat mit dem Job, denn zunächst mussten ihre Berufsdiplome übersetzt werden.
Natürlich eine eigene Sauna
Mit einem Klischee kann aber auch Guido Honegger nicht aufräumen: Eine eigene Sauna darf auch bei ihm nicht fehlen, einmal pro Woche gönnt er sich «wie jeder Finne» das Dampfbad. Im Winter bietet sich zudem die Möglichkeit, auf den rund 200 Kilometer Loipen – sie sind dann beleuchtet, weil es tagsüber fast immer dunkel ist – etwas Sport zu treiben. Dies bei durchschnittlich minus 10 bis minus 15 Grad. Honegger betont indes, dass die Kälte nicht so schlimm ist, weil es sich um eine trockene Kälte handle. Und dann gibt es da noch eine weitere finnische Spezialität, der sich Guido Honegger bei klirrender Kälte hingeben kann: das Eislochschwimmen.



