Katzenauge in L.A.
22.02.2019 WohlenNadja Wildi aus Wohlen ist nach Los Angeles ausgewandert und lebt ihren Traum
Vor sechs Monaten hat sie den Mut endlich gefunden. Nadja Wildi (35) kündigte Job und Wohnung – und wanderte aus. In Los Angeles will die Wohlerin mit einer ...
Nadja Wildi aus Wohlen ist nach Los Angeles ausgewandert und lebt ihren Traum
Vor sechs Monaten hat sie den Mut endlich gefunden. Nadja Wildi (35) kündigte Job und Wohnung – und wanderte aus. In Los Angeles will die Wohlerin mit einer Beauty-Linie durchstarten. Ihr Lebensglück scheint sie gefunden zu haben.
Stefan Sprenger
Der ganze Raum leuchtet violett. Ein grosses, rotes «W» strahlt am Eingang. Es ist ein glamouröser Ort. Das Restaurant «W» in Los Angeles – Es ist der Ort, in den Nadja Wildi an einem Sonntagabend Ende Januar mit einem fröhlichen Lächeln eintritt. Sie erzählt von den vergangenen sechs Monaten ihres Lebens, die «aufregender waren als die 34 Jahre zuvor».
«Multidimensionale Frau mit Träumen»
Sie ist ein Herzmensch, wie sie selbst sagt. Auf «Instagram» beschreibt sie sich als «multidimensionale Frau mit Träumen». Kurz gesagt: Sie ist offen für die Welt. In der Schweiz fühlte sie sich mit der Zeit eingeengt. In den letzten 10 Jahren machte sie immer wieder Urlaub in Los Angeles. Hier, in Kalifornien und in den USA, hier sind die Menschen offener als in der Schweiz. Nadja Wildi machte sich Freunde in Amerika und spürte die Freiheit. «Ich war in der Schweiz nicht mehr glücklich. Es hat mich nach Los Angeles in ein neues Abenteuer gezogen.»
Im September 2018 folgte sie ihrem Gefühl. Sie kündigte die Wohnung, kündigte den Job, packte ihre Sachen und bereitete sich vor, nach Los Angeles auszuwandern. «Ich fragte mich oft: Mache ich das Richtige?», sagt die Wohlerin. Die Antwort kriegt sie erst in den USA. «Ja.»
Sie versucht nun im Start-up-Unternehmen einer Freundin einzusteigen. Sie wollen ihr Make-up auf dem Markt etablieren. Ihr Verkaufsschlager ist der «Cat Eye Stamp». Das «Katzenauge» soll den Traum von der Selbstständigkeit für Nadja Wildi in den USA erfüllen. Bald soll sie das Arbeitsvisum erhalten und «dann kann es richtig losgehen». Nadja Wildi ist in Jogginghose gekleidet und erzählt in diesem noblen Restaurant in Los Angeles von ihrer schwierigen Anfangszeit und wieso sie in Amerika Zuflucht in der Spiritualität sucht.
«Scheitern kann ich gar nicht»
Nadja Wildi ist vor einem halben Jahr nach Los Angeles ausgewandert – und will definitiv dort bleiben
Viele träumen davon, die wenigsten tun es: auswandern. Nadja Wildi aus Wohlen hat genug von der Schweiz und will in Amerika leben. «Ich habe nichts zu verlieren», sagt die 35-Jährige.
Stefan Sprenger
Es klingt wie ein sehr kitschiger Film. Eine hübsche Tänzerin will Filmstar werden, sie geht nach Hollywood und wird entdeckt. Bei Nadja Wildi passte dies alles zusammen – nur entdeckt wurde sie nicht. Am 30. November 2012 erschien in dieser Zeitung ein Artikel über die Wohlerin. Wildi hatte damals gerade eine Hauptrolle im Schweizer Tanzfilm «Dance Off» ergattert. Schon als Kind tanzte sie. Ballett, Jazz, Hip-Hop. Nadja Wildi wurde erwachsen und zu einer fabelhaften Tänzerin. Nach der ersten Schauspiel-Erfahrung wurde sie scharf auf mehr. In Hollywood wollte sie Schauspielunterricht nehmen. Das hat sie gemacht. Doch sie kam zurück in die Schweiz. «Nach dem Tanzfilm war es eine kleine Flamme, die in mir loderte.»
Transformation zur Amerikanerin ist in Gange
Nun macht sie etwas anderes. Ist aber wieder in der «City of Angels». Nadja Wildi sitzt im Restaurant «W» in West Hollywood, die Beine sind übereinander geschlagen. Sie ist perfekt geschminkt. Sie trägt Schwarz. Was auf den ersten Blick sehr elegant aussieht, ist in Wahrheit eine Jogginghose. Trotzdem: Sie fühlt sich wohl. «In L.A. stört so was niemanden.» Wenn sie spricht, dann verlassen immer wieder englische Ausdrücke ihren Mund. Schweizerdeutsch vermischt sich mit Los-Angeles-Slang. Und auch ihre Art ist bereits fortgeschritten amerikanisch: offen, ehrlich und fast schon übertrieben nett. Nadja Wildis Transformation zur US-Einwohnerin ist in vollem Gange.
«Es zog mich immer wieder nach Los Angeles, dies ist meine Stadt.» Im September 2018 packte sie in der Schweiz zusammen. Der Traum von der Schauspielerei war weg – aber der Traum von den USA nicht. Und nun hatte sie eine bodenständigere Idee. Lida, eine Freundin von Nadja Wildi, lebt schon seit 10 Jahren in Los Angeles. Vor zwei Jahren eröffnete sie ein Start-up-Unternehmen für Make-up-Artikel. Die Firma hat einen Schönheits-Hit gelandet: einen besonderen Eyeliner, der eine Stelle am Augenwinkel erreicht, den man nur schwierig bemalen kann. Lida suchte jemanden, dem sie vertrauen konnte und der ihr beim Aufbau des Geschäfts hilft. Es war klar, dass sich ihre Freundin Nadja Wildi diese Chance nicht nehmen lässt. Nun ist die Wohlerin seit einem halben Jahr in L. A. – und wartet auf die «Green Card», quasi das langfristige Visum für die USA. Indem sie bereits eine Arbeitsstelle hat, steigen ihre Chancen enorm, dass dies in den nächsten Wochen klappt. Erst dann darf sie anfangen zu arbeiten. Das Ziel wäre es dann, eine Massenbestellung eines grossen Detailhändlers zu ergattern für die Kosmetikprodukte.
Sie vermisst Aromat
Ihre Anfangszeit nach dem Wegzug aus der Schweiz beschreibt Wildi als schwierig. «Es war emotional und mental eine echte Herausforderung. Ich bin in den letzten sechs Monaten so sehr gereift wie in den vergangenen 34 Jahren zuvor.» Sie verliess ihre Komfortzone. Wildi, die ihre Lehre bei der NAB in Wohlen gemacht hatte, arbeitete in den letzten Jahren unter anderem als Chefsekretärin bei grossen Konzernen wie IBM oder Burger King – und nun folgte der Neustart in den USA. Dies machte auch Angst. «Ich musste umdenken, hier läuft vieles anders», erzählt sie. «Ich bin hier, um ein anderes, ein neues Leben zu führen, da brauche ich meine veralteten Denkmuster nicht.»
Nadja Wildi mag die Schweizer Bodenständigkeit, doch gleichzeitig möchte sie ihrem Traum hinterher- fliegen in Los Angeles. Sie schätzt die Strukturen in unserem kleinen Land – doch gleichzeitig hofft sie auf überraschendes Chaos in der Millionen-Metropole. Sie vermisst die Sauberkeit der Schweiz, die frische Luft, die grüne Natur. «Und Aromat», lächelt sie. Doch ihr Drang raus aus dem Alltag ist grösser. Sie wäre eingegangen in der Schweiz, war nicht mehr glücklich, vielleicht wurde es ihr auch nur langweilig – auf jeden Fall fand sie den Moment des Mutes im Sommer 2018, um ihrem Ruf zu folgen und den Schritt nach Übersee zu wagen. «Ich mag die Schweizer Sicherheit, doch ich liebe das Luftige in Amerika und diese verrückten Menschen hier.»
Als «verrückt» wurde sie auch bezeichnet, als sie von ihrem Auswanderertraum in ihrem Bekanntenkreis sprach. «Doch mittlerweile sind alle glücklich, weil ich wieder glücklich bin.» Ihre Mutter will sie bald besuchen kommen. «Dann kommt sie mal aus Waltenschwil raus», lächelt Nadja Wildi.
Die spirituelle Erfahrung
In ihrer Freizeit, da spüre sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen habe. «Ich treffe Freunde, gehe ins Kino oder in ein gutes Restaurant – oder bin für mich alleine. Manchmal lese ich, manchmal mache ich Sport, manchmal meditiere ich. Wichtig ist: Ich fühle mich sehr wohl hier.» Nadja Wildi wirkt sehr zufrieden. Und man spürt, dass dies nicht nur leere Worte sind, sondern sie meint es ernst. Übrigens: Seit sie in den USA ist, geht sie regelmässig am Sonntag in die Kirche. «Es ist nicht wie bei uns. Hier ist dies fast schon eine spirituelle Erfahrung. Es ist leben und erleben.»
Die letzten Monate haben auf sie einen grossen «Impact» gehabt, einen starken Einfluss. «Die Erfahrungen sind alle positiv, das kann mir niemand mehr nehmen. Scheitern kann ich gar nicht.» Sie zitiert daraufhin einen Satz, den ihr der Grossvater ihres Stiefvaters Bernhard Hegi oft sagte: «Es ist alles nur geliehen. Wenn wir einmal sterben, lassen wir alles Materielle zurück, doch die Erinnerungen nehmen wir mit.» Und solche macht Nadja Wildi momentan sehr viele.
Ihr Traum ist in Erfüllung gegangen. Sie ist zwar kein Hollywood-Star geworden, doch sie lebt in «ihrer» Stadt und fühlt sich wohl. «Ich lebe meinen Traum, es ist eigentlich keine grosse Geschichte», sagt sie und macht sich wieder auf den Weg. Vom Restaurant «W» sind es zehn Minuten bis zu ihrem Studio, für das sie knapp 1300 Dollar bezahlt. Ihre Wohnung in der Schweiz ist untervermietet, die Möbel sind bei der Mutter eingestellt. Die Sicherheit der Schweiz will sie dann irgendwie doch nicht missen.



