Emotionale Mahnwache
12.02.2019 WohlenZum ersten Mal organisierten Tierschützer in Wohlen eine Mahnwache bei der Braunwalder Metzgerei. Frühmorgens verabschiedeten sich die Aktivisten von den Tieren, die zum Schlachten nach Wohlen gebracht wurden. Organisator Damir Markotic aus Bremgarten erklärt: «Wir ...
Zum ersten Mal organisierten Tierschützer in Wohlen eine Mahnwache bei der Braunwalder Metzgerei. Frühmorgens verabschiedeten sich die Aktivisten von den Tieren, die zum Schlachten nach Wohlen gebracht wurden. Organisator Damir Markotic aus Bremgarten erklärt: «Wir möchten den Tieren, die hier ihre letzte Reise antreten, das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind.» Mitorganisator Julian Scholl ergänzt: «Wir verurteilen niemanden, der hier arbeitet. Natürlich sind wir nicht damit einverstanden, was hier passiert. Aber es ist eine Entwicklung der Gesellschaft, die wir gerne ändern möchten.» Dass ein Umdenken nicht vom einen auf den anderen Tag geschieht, ist ihm bewusst. «Aber irgendwo muss man anfangen. Und das machen wir jetzt.»
Von Nutztieren Abschied nehmen
Mahnwache von Tierschützern der «The Save Movement»-Organisation bei der Braunwalder Metzgerei
Montag, 4.45 Uhr. Der grösste Teil des Freiamts schläft noch tief und fest. Die Strassen sind nass, aber es regnet nicht. In der Metzgerei Braunwalder scheint Licht hinter den Fenstern. Die Arbeiter fahren auf den
Chantal Gisler
Parkplatz und huschen ins Gebäude, ziehen ihre weisse Schutzkleidung an. Von einer Aktion der Tierschutzaktivisten wissen die wenigsten Genaueres. «Jaja, davon habe ich irgendetwas gehört», meint einer.
Ich habe versucht, mir im Vorfeld keine Gedanken zu machen und offen an diese Aktion heranzutreten. Es ist das erste Mal, dass ich an eine Mahnwache von Tierschutzaktivisten gehe. Trotzdem frage ich mich, was mich wohl erwartet, als ich aus dem Auto steige. Werden die Tierschützer versuchen, die Arbeiter von ihrer Arbeit abzuhalten? Wird es zu Konfrontationen kommen? Und werde ich als Fleischesserin von ihnen überhaupt ernst genommen?
Von Weitem sehe ich eine kleine Gruppe in gelben Warnwesten. Sie stehen in einem kleinen Kreis. «Wir werden die Antworten der Fahrer und Mitarbeiter respektieren», machen die Organisatoren Damir Markotic und Julian Scholl klar. Ich werde freundlich begrüsst, selbst als ich mich als Fleischesserin oute. Viel Zeit für ein Gespräch bleibt nicht, denn sogleich biegt ein Lastwagen – der erste heute – auf die Strasse ein. «Lebende Tiere» steht darauf. Es geht los.
Kein Hass gegenüber der Firma
Mit ihren Schildern stellen sich die Tierschützer vor dem Tor auf. Die beiden Fahrer werden gefragt, ob sie Kaffee und Kuchen möchten. Sie verneinen und fahren durch das Tor. Die Tierschützer spähen über das Tor und durch die Büsche. Die Schritte der Tiere auf den Metallrampen hallen in den Morgen, ab und zu ist ein aufgeregtes Quieken zu hören. «Etwa 220 Schweine werden montags insgesamt hierhergebracht, am Dienstagmorgen sind es 50 bis 60 Kälber und Rinder», erklärt mir Damir Markotic.
Die Organisatoren haben sich im Vorfeld informiert und die Metzgerei angefragt. «Damir Markotic hat mich vor einiger Zeit angerufen und mir erklärt, was sie vorhaben», sagt Stefan Strebel, Geschäftsführer der Braunwalder Metzgerei. Er steht der Aktion offen gegenüber. «In der heutigen Gesellschaft muss es für solche Aktionen Platz haben.» Er schätzt es, dass die Aktivisten auf offene Kommunikation setzen. «Es ist eine friedliche Aktion, die unsere Arbeit nicht hindert.» Auch der Metzgerei ist das Tierwohl bis zum Schluss wichtig. «Wir möchten es für die Tiere so human wie möglich gestalten.»
Veganismus als logische Konsequenz
Offene Kommunikation ist auch das, worauf die Tierschützer setzen: «Hass hat bei uns aber nichts verloren», stellen die beiden klar. Sie wollen niemanden angreifen, sondern zum Dialog aufrufen. «Wir verurteilen niemanden, der hier arbeitet», so Scholl. «Es ist das Verhalten der Konsumgesellschaft, das sich ändern muss, damit die Tiere ihr Leben leben können.» Dass dieser Wandel nicht von einem auf den anderen Tag möglich ist, ist den beiden bewusst. «Durch diese Aktion möchten wir ein Zeichen setzen und den Konsumenten vor Augen führen, was ihr Konsum von Fleisch bewirkt.» Die Tierschützer, die sich hier versammelt haben, haben sich bewusst gegen dieses Leben entschieden. «Wir wollen das nicht unterstützen», erklärt Scholl. Der Veganismus sei für ihn die logische Konsequenz, um den Tod und die Ausbeutung der Tiere zu verhindern. In Zürich gibt es seit einiger Zeit ähnliche Aktionen. Dort kommen zeitweise sogar über 90 Menschen zusammen, um sich von den Tieren zu verabschieden. Auch Damir Markotic und Julian Scholl haben die Idee für ihre Aktion von dort. Organisiert haben sie sich vor allem über die sozialen Medien. «Wir schauen mal, wie es heute ankommt», so Scholl. «Das Ziel wäre, dass wir solche Mahnwachen ein- bis zweimal pro Monat machen könnten.» Sie wollen den Umgang mit den Tieren dokumentieren und die Bilder auf den sozialen Medien verbreiten, um die Menschen zum Umdenken anzuregen. «Wir verurteilen niemanden, aber den Menschen muss klar sein, was sie mit ihrem Konsum unterstützen», so Scholl.
Die Gesellschaft müsste sich ändern
5.35 Uhr. Es nieselt leicht. Die Tierschützer haben sich in kleine Gruppen aufgeteilt, sprechen miteinander. Mir ist kalt, ich hüpfe auf der Stelle, um mich warm zu halten. Ein Lastwagen mit Doppelanhänger fährt die Strasse hoch und hält vor dem Tor. Die Aktivisten versammeln sich mit ihren Schildern um die Fahrerkabine. «Möchten Sie einen Kaffee oder Kuchen?», wird der Fahrer gefragt. Er verneint. Ob er drei Minuten Zeit hätte, damit sich die versammelten Aktivisten von den Tieren verabschieden könnten. Er überlegt kurz und stimmt zu. «Ich habe keine Meinung über diese Aktion», sagt er. «Schliesslich schaue ich beim Nachbarn auch nicht über den Zaun.»
Die Aktivisten verteilen sich um den Lastwagen. Das Schluchzen einer Frau ist zu hören, den meisten steht die Trauer ins Gesicht geschrieben. Mit Kameras ohne Blitz wird durch die Fenster der Anhänger gefilmt. Jemand stellt eine Leiter auf, damit die Leute die Tiere sehen können. Ein junger Mann hält die Leiter und blickt mich fragend an. Ich schüttle den Kopf. Bin ich ein Feigling, schiesst es mir später durch den Kopf, weil ich die Tiere, die ihre letzte Reise angetreten haben nicht sehen möchte? Versuche ich so zu verdrängen, was diesen Tieren in einigen Stunden widerfahren wird? Vielleicht, ich weiss es nicht.
Neben mir weint eine Frau. Taschentücher werden herumgereicht. Die Leute umarmen sich, geben einander Halt. «Es ist schlimm zu wissen, dass diese Tiere für uns sterben», sagt die Frau, die anonym bleiben möchte. Sie ist am Sonntagabend von Brugg nach Wohlen gefahren und hat bei einer Freundin übernachtet, damit sie bei der Aktion dabei sein kann. Aktuell ist sie wegen gesundheitlichen Problemen nicht arbeitsfähig. Doch sie versichert mir, dass sie auch wenn sie eine Arbeit hätte, dabei gewesen wäre. Ihr ist es wichtig, dass die Tiere eine Stimme erhalten. «Schweine sind sehr intelligente Tiere», erklärt sie mir. Sie selbst ist als Fleischesserin aufgewachsen, erst vor vier Jahren hat sich die 31-Jährige für das Leben als Veganerin entschieden. «Ich hätte mir gewünscht, dass ich früher auf das Ganze aufmerksam geworden wäre. Dass ich früher die Möglichkeit erhalten hätte, mich dagegen zu entscheiden.»
Ihrer Meinung nach wird das Schlachten der Tiere zu wenig in die Öffentlichkeit gezogen. «Diese Tiere jetzt so zu sehen, in dem Lastwagen, das macht mich fertig.» Sie schluchzt, Tränen kullern ihre Wangen hinunter. «Es ist diese Machtlosigkeit, die mich traurig macht», erzählt sie. «Dass wir den Tieren nicht helfen können. Denn dazu müsste die gesamte Gesellschaft ihr Verhalten grundlegend ändern.»