«Im Fokus»
08.02.2019 BremgartenDie Ortsbürgergemeinden spielen eine spezielle Rolle. Braucht es diese noch? «Natürlich», sagen die Betroffenen in der Beilage «Im Fokus».
Auch in 50 Jahren gibt es sie noch
Ortsbürgergemeinden leisten einen wichtigen Beitrag zur Kultur – ...
Die Ortsbürgergemeinden spielen eine spezielle Rolle. Braucht es diese noch? «Natürlich», sagen die Betroffenen in der Beilage «Im Fokus».
Auch in 50 Jahren gibt es sie noch
Ortsbürgergemeinden leisten einen wichtigen Beitrag zur Kultur – und haben durchaus eine Zukunft
Milly Stöckli aus Muri ist politisch vielfältig engagiert. Unter anderem ist sie Präsidentin des Verbands der Ortsbürgergemeinden im Kanton. Als solche sieht sie der Zukunft der Ortsbürgergemeinden positiv entgegen.
Vincenz Brunner
In den meisten Freiämter Gemeinden bestehen bis heute Ortsbürgergemeinden. Es gibt wenige Ausnahmen. In Villmergen beispielsweise wurde sie in eine Stiftung überführt. Dass Ortsbürger mehr Mitspracherechte haben als andere Einwohner, kann als Anachronismus betrachtet werden.
Dass Ortsbürgergemeinden heute noch wichtig sind, davon ist Milly Stöckli überzeugt. «Ich bin der Ansicht, dass es die Ortsbürger im Kanton Aargau auch in 50 Jahren noch geben wird. Diese leisten einen wichtigen Beitrag in Bereichen wie Kultur, Vereine und Soziales», so die Präsidentin des Ortsbürgergemeinde-Verbandes. «Die Einwohnergemeinden werden vermehrt unter Spardruck kommen und werden sich genau überlegen, ob sie ihre Steuereinnahmen in Projekte wie Radwegerschliessungen, Schulhausbau, Erhaltung der öffentlichen Bauten und Sicherheit oder in kulturelle und soziale Projekte investieren», erklärt Stöckli.
«Ich bin überzeugt, dass auch in Zukunft die Bürger in jeder Aargauer Gemeinde froh sind, dass es die Ortsbürger gibt, die man anfragen kann. Zum Beispiel für einen finanziellen Zustupf für den Fasnachtsumzug, die Neueinkleidung des Musikvereins, einen Beitrag an die Bibliothek oder an das Schneesportlager. Vorausschauende und clevere Gemeinderäte und Einwohner einer Gemeinde wissen und kennen den Wert ihrer Ortsbürger.»
Leistungen sollen nicht anonym bleiben
Die Ortsbürger sind nicht frei in der Wahl ihrer Aufgaben. Diese werden im Gesetz für die Ortsbürger geregelt. Die Ortsbürger sollen, sofern ihr Vermögen ausreicht, das kulturelle Leben fördern, soziale Werke unterstützen und den Einwohnergemeinden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen. «Das machen viele Ortsbürgergemeinden. Die wertvollen Unterstützungen, wie Beiträge an Museen, Tierparks oder Traditionsanlässe, werden nicht an die grosse Glocke gehängt», sagt die Murianerin.
«Der Verband Aargauischer Ortsbürgergemeinden sammelt von den Ortsbürgergemeinden erbrachte Leistungen zugunsten der Einwohnergemeinden und wird diese bald der Öffentlichkeit zugänglich machen», erklärt Milly Stöckli.
Ein weiterer Vorteil der Ortsbürgergemeinden sei, dass sie Kapital bilden können. «Die Einwohnergemeinde kann kein Kapital bilden. Wenn Geld vorhanden ist, müssen diese den Steuerfuss senken. Ortsbürgergemeinden können und sollen Kapital bilden. Aus den Erträgen können die Einwohnergemeinden unterstützt werden», so Milly Stöckli.
Wurzeln sind wichtig
Früher waren Erträge aus der Forstwirtschaft eine der wichtigsten Einnahmequellen, Ortsbürger durften auch gratis Holz aus dem eigenen Wald beziehen. Heute wird mit der Forstwirtschaft kaum mehr Geld verdient. Zudem ist es den Ortsbürgern nicht mehr erlaubt, finanziellen Nutzen aus dem Ortsbürgergut zu ziehen. In der Regel sind heute Baurechtszinsen und Erträge aus Immobilien die Haupteinnahmequellen der Ortsbürgergemeinden.
Nicht zu unterschätzen als Einnahmequelle der Ortsbürgergemeinden seien auch Legatsbeiträge und Spenden von Privatpersonen. «Man spendet dort, wo sein Herz liegt, und das liegt oft näher bei der Heimatgemeinde. Das Wort Heimatgemeinde drückt etwas aus, was durch Finanzen nicht abgedeckt werden kann. In einer immer mehr globalisierten, unpersönlicheren, digitalisierten Welt sind Wurzeln für Menschen sehr wichtig. Eine Heimatgemeinde kann dieses Gefühl vermitteln.»
Keine Vorteile durch Zusammenlegung
Mit den Erträgen können auch Projekte unterstützt werden, die dem Spardruck zum Opfer fallen würden. «Eine Zusammenlegung von Einwohner- und Ortsbürgergemeinden würde kaum finanzielle Vorteile bringen. Aufgaben der Ortsbürgergemeinde müssten durch die Einwohnergemeinde übernommen werden», so Milly Stöckli.
Ortsbürgerrecht – mehr als Prestige
Bremgarten: Der Stadtammann ist auch ein Ortsbürger
Der Stadtammann ist traditionell ein Ortsbürger. Wenn er es noch nicht ist, wird er dazu gemacht, wie Raymond Tellenbach.
Vincenz Brunner
Wenn man Raymond Tellenbach zuhört, bemerkt man, dass er aus dem Bernischen stammt. Von dort kennt er auch die «Berner Burger», die Berner Ortsbürger, die sich oft für etwas Besseres halten. Seit er zum Stadtammann gewählt wurde, ist er nun selber Ortsbürger in Bremgarten. «Die Bremgarter sind viel offener als die Berner Burger», stellt er fest. Früher seien die Stadträte Bremgartens immer aus der Ortsbürgerschaft gekommen: «Sonst konnte man nicht gewählt werden.» Heute ist das anders, aber aus Gründen des Prestiges wird der Stadtrat gerne von den Ortsbürgern aufgenommen. Es helfe auch, die Anliegen der Ortsbürger besser zu vertreten.
Raymond Tellenbach ist nicht nur einfacher Ortsbürger, er sitzt in verschiedenen Kommissionen ein. Es sind dies die Rebbaukommission und die Fischereikommission. Die Liegenschaftskommission sowie die Vergabekommission Förderpreis präsidiert er gar. Dazu kommen Kommissionen, die nicht ständig bestehen, zum Beispiel, wenn für ein Bauprojekt eine Baukommission gebildet wird. «In der Liegenschaftskommission bin ich zum Beispiel, weil ich in der Stadtregierung für die Finanzen zuständig bin», erklärt er. Einzig in der Finanzkommission sitzt er nicht. Das Gesetz sieht hier eine gewisse Unabhängigkeit vom Stadtrat vor. «Wer das Geld ausgibt, darf nicht gleichzeitig auch kontrollieren, wofür das Geld ausgegeben wurde. Interessenskonflikte sind mir keine bekannt.» Die Zusammenarbeit zwischen Stadtrat und Ortsbürgergemeinde laufe sehr gut: «Wir haben ein gutes Auskommen miteinander. Zum Beispiel besichtigen wir Liegenschaften gemeinsam, wenn wir sie kaufen wollen.»
Offen für Einbürgerungen
Zur Ortsbürgergemeinde Bremgarten gehören 478 Bürger, davon sind 408 stimmberechtigt. «In den letzten Jahren haben sich immer wieder Leute in die Ortsbürgerschaft einbürgern lassen. Es sind in der Regel Menschen, die gut in der Gemeinde verankert sind und sich engagieren. Wir haben auch recht viele junge Ortsbürger, sie bringen neue Ideen», freut sich Raymond Tellenbach. In der Nachbargemeinde Widen zum Beispiel sind es noch 21 stimmberechtigte Ortsbürger.
Zum Wohl der Einwohnergemeinde
Früher hatten die Ortsbürger viel mehr Funktionen. So kümmerten sie sich um die Armenpflege und übernahmen auch andere soziale Aufgaben. Im Laufe der Zeit wurden viele dieser Aufgaben an die Einwohnergemeinde übertragen. Abgeschafft wurde auch der Ortsbürgernutzen. Früher hatten Ortsbürger Anrecht auf beispielsweise Holz aus dem Ortsbürgerwald. In Bremgarten kümmern sich die Ortsbürger heute um Aufgaben zum Wohl der Einwohnergemeinde. In erster Linie ist dies die Pflege der Mauern, der Türme und anderer historischer Gebäude, die in Bremgarten zahlreich vorhanden sind. Zudem fördern sie auch die Kultur, beispielsweise indem das Kellertheater, die Operettenbühne, die Stadtmusik, der Orchesterverein und viele andere Projekte unterstützt werden. Sie kümmert sich auch um die Fischenz und den Stadtberger-Wein, der ironischerweise auf Zufiker Boden wächst. Dazu kommen Projekte wie die Sanierung der Promenade oder das Naturprojekt in der Hegnau. Die Ortsbürgergemeinde Bremgarten steht finanziell auf sehr guten Beinen. Sie hatte schon immer viel Land, und als ein Teil davon dem Militär für den Waffenplatz verkauft werden konnte, wurde das Geld in Liegenschaften investiert. Heute wird Land nur noch im Baurecht abgegeben. Diese Zinsen führen zusammen mit den Mieteinnahmen und den Gewinnen aus dem Kiesabbau zu einem jährlichen Erfolg von rund drei Millionen Franken.
Eine Auflösung der Ortsbürgergemeinde oder ihre Überführung in eine Stiftung waren und sind kein Thema.
Zukunft im Wald
Zufikon: Die Pflege des Waldes wird grossgeschrieben
Die Ortsbürger Zufikons investieren im Wald. Es soll eine neue Holzlagerhalle gebaut werden, damit diese besser bewirtschaftet werden kann. Auch im Dorf wird geplant.
Vincenz Brunner
Die Ortsbürgergemeinde Zufikon zählt stattliche 225 Bürger, davon sind 201 stimmberechtigt. An der Ortsbürgerversammlung nehmen jeweils rund 60 Ortsbürger teil. In den letzten zehn Jahren konnten 18 neue Einwohner eingebürgert werden. Eine Einbürgerung setzt voraus, dass die einbürgerungswillige Person mindestens 15 Jahre in Zufikon gewohnt hat, davon die letzten fünf Jahre ununterbrochen. Sie sollte mit Zufikon verwurzelt sein und den Willen haben, sich für die Belange der Ortsbürger einzusetzen. Und natürlich das Schweizer Bürgerrecht haben. Es besteht kein Rechtsanspruch auf eine Einbürgerung. Es entscheidet die Ortsbürgergemeindeversammlung. Sie entscheidet auch, welche Projekte die Ortsbürger verfolgen und findet zweimal jährlich statt.
Verschiedene Engagements
In Zufikon unterstützen die Ortsbürger die Bibliothek und verschiedene Vereine sowie die Stiftung Emaus. Zudem beteiligen sie sich an Anlässen wie dem kantonalen Jugend- und Sporttag. Auch bei der Renovierung der Kirche beteiligten sie sich. Möglich wird dieses Engagement durch verschiedene Einnahmequellen. In erster Linie ist dies der Ertrag aus
Land und Immobilien. In sechs Gebäuden bieten die Ortsbürger 55 Wohnungen zu fairen Mietpreisen an.
Bis 150 000 Liter Heizöl einsparen
Zudem führen sie einen eigenständigen Forstbetrieb in Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Werkhof. Dabei steht nicht nur der Ertrag im Vordergrund. So wurde beim Dominiloch ein Stück Wald gekauft, das vom Sturm Lothar versehrt wurde. Es soll als Altholzinsel bestehen bleiben und nicht bewirtschaftet werden. Solche Altholzinseln sind ökologisch wichtig. «Wir haben mit Urs Huber einen super Förster, der eine sehr gute Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Naherholung gefunden hat», freut sich Karl Kaufman, Präsident der Ortsbürger und Vizeammann. Damit Urs Huber und seinem Team die Arbeit leichter fällt, soll eine neue Holzlagerhalle gebaut werden. Sie wird die alte ersetzen.
Die neue Holzlagerhalle wird mit Forstmaschinen befahrbar sein und rund 300 000 Franken kosten. Rund 60 Prozent des geernteten Holzes werden zu Holzschnitzeln verarbeitet. Die beiden Holzschnitzelheizungen der Gemeinde werden vollständig mit Schnitzeln aus dem eigenen Wald versorgt. «So kann der Rohstoff vor
Ort genutzt werden», erklärt Karl Kaufmann. Je nach Temperaturen im Winter können so zwischen 130 000 und 150 000 Liter Heizöl eingespart werden. Die Einnahmen aus den Holzschnitzeln machen etwa die Hälfte der Bruttoeinnahmen aus, die die Ortsbürger im Wald erwirtschaften.
Sensibler Naherholungsraum
Im Wald steht auch das Forsthaus Nüesch, die Waldhütte, die schon viele rauschende Partys erlebt hat. Die Waldhütte darf mit maximal 80 Personen belegt werden und wird von Pia Wertli verwaltet. Die Miete ist für Einwohner gleich hoch wie für Ortsbürger, Auswärtige bezahlen etwas mehr. Der Wald ist den Ortsbürgern wichtig. «Die Ortsbürgergemeinde Zufikon setzt sich für eine naturnahe, nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes ein und fördert das Bewusstsein für Wald und Waldpflege. Mit Anlässen wie dem jährlichen Waldumgang und weiteren Aktivitäten oder den Informationstafeln wird der Bevölkerung der Wald als wichtiger, jedoch sensibler Naherholungsraum nähergebracht», hält das Leitbild Zufikon fest.
Die Ortsbürger planen aber nicht nur im Wald, auch im Dorf soll neu gebaut werden. Bei der Kreuzung Schulstrasse/Oberdorfstrasse sollen Wohnungen und ein Café gebaut werden. Zurzeit entwickelt eine Arbeitsgruppe einen Vorschlag. «Wir nehmen uns Zeit. Wir wollen etwas bauen, das zu Zufikon passt», so Karl Kaufmann. Die Ortsbürger kennen sich mit Wohnungen aus. Bereits 1985 bauten sie die ersten Alterswohnungen.
Erfreuliche Aussichten
Berikon: Ortsbürger planen neuen Wohnraum im «Riedacher»
Mit den Einnahmen aus den Alterswohnungen «Im Feld» können die Ortsbürger verschiedene Projekte und Vereine unterstützen. Ein weiterer Bau ist geplant.
Vincenz Brunner
Vor vierzig Jahren haben die Ortsbürger im Gebiet «Im Feld» Alterswohnungen gebaut. Diese erfreuen sich bis heute einer grossen Beliebtheit. Es handelt sich dabei um 20 Wohnungen, die meisten davon eher klein mit einem bis zwei Zimmern. «Die Wohnungen wurden als Alterswohnungen geplant. Die Ortsbürger wollten kleine Wohnungen zu einer tiefen Miete, weil ältere Menschen oft bescheidener sind oder wenig Geld zur Verfügung haben», erklärt Roland Koller, Präsident der Ortsbürgerkommission. Es gibt sogar einen Mieter, der seit den ersten Tagen in der Alterssiedlung wohnt und noch immer die gleiche Miete bezahlt. Gewinn wirft die Liegenschaft dennoch ab, da keine Schuld mehr auf ihr liegt.
Wichtigste Einnahmequelle
Für Ausgaben sorgen die notwendigen Renovationen. Die Böden und Küchen wurden bereits saniert, als Nächstes stehen die Badezimmer an. «Die Ausführung der Arbeiten ist nicht einfach zu planen, weil es schwierig ist, auf das Badezimmer zu verzichten», so Koller.
Die Einnahmen aus der Liegenschaft «Im Feld 2» bildet die Haupteinnahmequelle der Ortsbürger. Früher seien Wald und Landbesitz entscheidend gewesen. «Dank diesen Einnahmen können wir diverse Vereine und Projekte unterstützen.» Verwaltet wird die Liegenschaft von der Gemeinde.
Gestaltungsplan in Arbeit
Im «Riedacher» besitzen die Ortsbürger ebenfalls Land. Dieses ist noch unbebaut. Zurzeit erarbeitet die Einwohnergemeinde zusammen mit der Ortsbürgergemeinde und privaten Eigentümern einen Gestaltungsplan. Was genau gebaut werden soll, ist noch unklar. Sicher ist, dass es sich um Wohnungen handeln wird. «Die Wohnungen werden dreieinhalb Zimmer oder mehr haben, da kleinere Wohnungen kaum mehr nachgefragt werden. Uns ist es wichtig, dass sich jeder diese Wohnungen leisten kann. Allerdings handelt es sich um sehr wertvolles Bauland», erklärt Roland Koller die Absichten der Ortsbürger. Der Spagat, bei zahlbaren Mieten dennoch einen dem Landpreis angemessenen Ertrag zu erwirtschaften, soll durch unterschiedliche Mieten für die Wohnungen erreicht werden. So könne beispielsweise eine schöne Dachwohnung zu einem höheren Preis vermietet werden als der Rest. Die Pläne für einen Wärmeverbund für die neue Überbauung zusammen mit dem Berikerhus und den Schulhäusern haben sich zerschlagen. «Es kam zu wenig Echo von den Privaten, deshalb wurde das Projekt verworfen.» Ein Wärmeverbund sei nur wirtschaftlich ab einer bestimmten Grösse. Die Kosten und die Finanzierung der geplanten Überbauung seien noch unklar, da diese vom Gestaltungsplan abhängen.
Einbürgerung erleichtert
Die Zukunft der Ortsbürger sieht Roland Koller «natürlich positiv». Die Beriker Ortsbürger haben sich 2017/18 ein neues Reglement gegeben. Es erleichtert die Einbürgerung und setzt Anreize. Das Verfahren wurde vereinfacht und die Kosten abgeschafft. «Wir wollten auch, dass Ehepartner automatisch eingebürgert werden, das ging aber gemäss dem Obligationenrecht nicht.» Das neue Reglement trägt bereits Früchte: Letztes Jahr konnten sechs Beriker eingebürgert werden, nach einer langen Zeit ohne Einbürgerungen. «Auch für dieses Jahr haben wir bereits wieder eine Anfrage», freut sich Koller. «Sobald man sich verschliesst, stösst man auf Unverständnis. Sollte es zu einer Abstimmung in der Schweiz kommen über die Auflösung der Ortsbürgergemeinden, könnte das sehr wichtig sein.»
Positiv sei auch die Arbeit in der Ortsbürgerkommission sowie ihre gute Durchmischung sowohl bezüglich Alter wie auch Geschlecht. Neben vier Ortsbürgern sitzt auch Gemeindeammann Stefan Bossard in der Kommission. Sie bereitet die Geschäfte vor, die an der Ortsbürgerversammlung behandelt werden. Es sind dies neben Budget und Rechnung Anfragen für Einbürgerungen oder Beiträge sowie weitere Projekte.
Neue Weinsorte im Rebberg
Die Murianer Ortsbürger pflegen den Rebberg
Die Klöster und der Wein, es ist eine lange Geschichte – auch in Muri. Vor rund 1500 Jahren hielt der heilige Benedikt fest: «Wein ist kein Getränk für Mönche.» Der Rebbau ist dennoch ein Kulturgut.
Vincenz Brunner
Der heilige Benedikt musste bald erkennen, dass sich diese Regel nicht durchsetzen liess. «Wir wollen uns wenigstens darauf verständigen, dass wir massvoll und nicht bis zum Überdruss trinken», hiess es. So wurde auch bei der Gründung des Klosters Muri 1027 die Regel eingeführt, dass die Hemina genannte Tagesration, die wahrscheinlich einem Viertelliter entsprach, nicht überschritten werden durfte. Der Wein damals hatte wenig mit dem Getränk zu tun, das heute unter diesem Namen bekannt ist. Die heute verwendeten Traubensorten waren im Mittelalter unbekannt. Der Wein war viel saurer, oft wurde er deshalb mit Kräutern und Honig vermischt.
Mit der Hilfe eines innovativen Winzers
Der Alkohol wurde nicht nur wegen seines berauschenden Effekts getrunken, seine Haltbarkeit war auch grösser als jene anderer Getränke. Ein wichtiger Faktor vor der Verbreitung von Kühlschränken. Ob die Murianer Mönche selber Wein angebaut haben, ist historisch nicht überliefert. Bekannt hingegen ist, dass das Kloster mehrere Rebberge in Thalwil, in Unterlunkhofen und am Rhein besass. «Wir gehen davon aus, dass in Muri Rebbau betrieben wurde, auch wenn man nicht genau weiss wo», erklärt Josef Stierli, Verantwortlicher der Ortsbürger für den Rebberg.
Trotz der unsicheren historischen Wurzeln produzieren die Murianer Ortsbürger den Klosterfelder, einen Rotwein, der aus dem Rebberg der Ortsbürger stammt, sowie einen Weisswein, den Stifeli-Ryter. Ab diesem Jahr wird ein dritter Wein angeboten, ein Gamaret. Diese Traubensorte wurde 1970 von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Pflanzenbau gezüchtet. Da in den letzten Jahren Reben ersetzt werden mussten, hat man sich für diese neue Sorte entschieden.
Der Rebberg wurde 1973 bepflanzt und drei Jahre später konnte die erste Ernte gewonnen werden. In den letzten Jahren sei die Qualität des Weines kontinuierlich verbessert worden, so Gemeinderätin Milly Stöckli, die für die Ortsbürger zuständig ist und auch den Verband der Aargauer Ortsbürgergemeinden präsidiert. «Wir bewirtschaften den Rebberg umweltschonender als früher und setzen mehr auf Qualität als auf Quantität», erklärt Josef Stierli. Zudem seien auch in der Kelterei Fortschritte gemacht worden. «Wir haben mit Thomas Lindenmann einen sehr innovativen Winzer, der auch schon verschiedene Preise mit seinen Weinen gewonnen hat», so Josef Stierli.
Früher gefragter in Restaurants
Thomas Lindenmann betreut mit einem Team von vier Teilzeitmitarbeitern den Rebberg. Der Wimmet, wie die Ernte im Rebberg genannt wird, wird jeweils unter den wachsamen Augen der Fachkräfte von freiwilligen Helfern bestritten. Dazu wird eine lange Liste mit Interessierten geführt. «Viele freuen sich richtig auf den Wimmet. In der Regel helfen zwanzig bis dreissig Leute an zwei Nachmittagen», erzählt Josef Stierli. Im Anschluss gibt es ein Nachtessen für die Helfer. Letztes Jahr konnten so rund 3500 Kilo rote Trauben, 3000 Kilo weisse Trauben und erstmals knapp 1000 Kilo Gamaret geerntet werden. Bis im Mai soll der Wein fertig sein. Die Ernte ist vom Wetter abhängig, ebenso der Ertrag. «2018 war ein super Sommer. Das Jahr davor haben wir nichts geerntet, weil alles im Frühling erfroren ist.» Je nach Ernte ist der Absatz schwieriger. «Früher wurde weniger Wein produziert und unser Wein war bei Restaurants mehr gefragt. Man muss Werbung machen. Ich würde mich freuen, wenn mehr Leute einheimische Produkte kaufen würden. Viele wissen gar nicht, wie gut unser Wein ist.» «Die Initianten des heutigen Rebbergs haben den Rebbau aus historischen Gründen wieder aufleben lassen, die Ortsbürgergemeinde leistet damit einen kulturellen Beitrag an die Bevölkerung», ist die Murianer Vizepräsidentin Milly Stöckli überzeugt. «Ein weiterer Grund war, den historischen Hügel vor einer allfälligen Überbauung zu schützen», weiss Stöckli. Der Rebberg und der Murianer Wein seien Kulturgüter, die zu Muri gehören.
Als Stiftung erfolgreich
Villmergen: Die Ortsbürgergemeinde ist seit 2007 eine Ortsbürgerstiftung
Ende 2006 entschieden sich die Ortsbürger von Villmergen, die Ortsbürgergemeinde in eine Stiftung umzuwandeln. Damit haben sie vorwiegend gute Erfahrungen gemacht.
Vincenz Brunner
Als 2004 der damalige Gemeindeammann Paul Meyer vorschlug, die Ortsbürgergemeinde in eine Stiftung zu überführen, gingen rund 40 Anfragen aus weiteren interessierten Gemeinden ein. «Viele Gemeinden hatten das geprüft, unter anderem Mühlau und Oberlunkhofen. Das Gesetz hat der Gründung solcher Stiftungen aber schnell einen Riegel geschoben», erinnert sich Roger Buchacek, Präsident der Stiftung. Nachdem man nun mit der neuen Organisationsstruktur über zehn Jahre Erfahrungen sammeln konnte, überwiegen die Vorteile. «Das Vermögen der Stiftung ist von aussen nicht antastbar», erklärt Buchacek. «Die Ortsbürgergemeinden sind vielleicht etwas freier in der Wahl ihrer Aufgaben als wir, da wir einen festen Stiftungszweck haben. Dafür sind unsere Grenzen klar definiert. Unsere Vereine können viel von der Stiftung profitieren», führt er aus.
Im Gegensatz zu den Ortsbürgergemeinden, die zweimal jährlich eine Versammlung abhalten, tagt der Stiftungsrat sechsmal jährlich, so können Entscheide zeitnah gefällt werden. Über grössere Projekte entscheidet jeweils die Stifterversammlung. Gesuche können an den Stiftungsrat gestellt werden. Diese müssen neben dem Budget auch andere vordefinierte Angaben enthalten. «Jedes Gesuch wird sauber geprüft», erklärt Rafael Koch, Vizepräsident. «Manchmal sind uns durch den Stiftungszweck die Hände gebunden, auch wenn wir ein Projekt gerne unterstützen würden, das kann schon mal ärgerlich sein», fügt Roger Buchacek an.
Verschiedene Projekte unterstützen
Nebst den Vereinen werden auch verschiedene Projekte unterstützt. Sie reichen vom Jugendfest über die Weihnachtsbeleuchtung bis zu einem Aquarium für das Seniorenzentrum. Letztes Jahr wurde der Spielplatz Bündten, ein Projekt des Elternvereins, unter anderem mit Mitteln der Ortsbürgerstiftung erweitert. Ebenso wurden 60 Festbankgarnituren angeschafft, die den Vereinen für Anlässe kostenlos zur Verfügung stehen und durch die Gemeinde verwaltet und gelagert werden.
Einen grossen Anteil an den jährlichen Ausgaben machen die zwei SBB-Jahres-Tageskarten aus, deren Kosten die Ortsbürgerstiftung seit 2007 vollumfänglich trägt. Sie kosten aktuell 28 000 Franken. Bis Ende 2017 konnte die Gemeinde einen Erlös von 265 000 Franken sozialen Zwecken zuführen. Dem Stiftungsrat steht jährlich ein Rahmen von 75 000 Franken für die Unterstützung von verschiedenen Projekten zur Verfügung.
Durchwegs positive Bilanz
Einzige Ertragsquelle der Stiftung sind Zinsen auf dem bestehenden Vermögen sowie Einnahmen aus Landverkäufen der Einwohnergemeinde. Mit Gründung der Stiftung ging das Ortsbürgerland an die Einwohnergemeinde. Verkauft sie es, was mit einem grossen Teil davon bereits passiert ist, erhält die Stiftung einen Drittel des Buchgewinns.
«Wir sind als Stiftung mit einem Vermögen von 6 Millionen Franken gestartet, haben nun rund 9 Millionen Franken und konnten mittlerweile etwa 1,5 Millionen Franken in die Vereine und unsere Dorfinfrastruktur investieren», freut sich Roger Buchacek. Die Anzahl der Stiftungsmitglieder liegt seit der Gründung stabil bei rund 335 Mitgliedern. Fast zwei Drittel besuchen jeweils die jährliche Stifterversammlung. Wer Mitglied werden kann, wird durch das Gesetz klar geregelt. Die Mitgliedschaft kann nicht erworben werden.
Viele Jugendliche, die mit 18 Jahren beitreten können, folgen der Einladung. Das freut die Stiftungsmitglieder sehr. Nach mehr als zehn Jahren als Stiftung zieht Roger Buchacek eine durchwegs positive Bilanz: «Es war eine gute Entscheidung. Für die Ortsbürgerinnen und Ortsbürger hat sich eigentlich nichts geändert. Aber was die Stiftung macht, sieht man viel besser. Sie ist präsenter und kann auch die Vereine unterstützen, welche extrem wichtig sind für das Dorfleben, unsere Gemeinde und unsere Dorf kultur. Nur eines von hundert Beispielen: Unser grossartiges Jugendfest wäre ohne den tollen Einsatz der Vereine in dem Ausmass schlicht nicht möglich.»
Auf breiter Basis
Wohlen: Die Ortsbürger investieren ins Ortsbild
Wohlen hat die grösste Ortsbürgergemeinde im Freiamt. Sie kümmert sich unter anderem um den Schutz wichtiger historischer Bauten.
Vincenz Brunner
Wohlen stellt mit über 800 Bürgern die grösste Ortsbürgergemeinde in der Region. «Wir haben immer wieder Einbürgerungen. Die Tendenz ist allerdings rückläufig. Wir machen uns aber noch keine Sorgen um die Zukunft. In anderen Gemeinden sieht die Situation ganz anders aus, wenn etwa die Ortsbürgerschaft nur noch aus zwanzig Bürgern besteht», erklärt Gemeindeammann Arsène Perroud, der auch Vorsteher der Ortsbürger ist.
Deshalb ist weder die Überführung in eine Stiftung noch ein Zusammenschluss mit der Einwohnergemeinde geplant. Wer sich in Wohlen einbürgern lassen will, muss davor mindestens zehn Jahre in Wohlen gelebt haben, das Dorf als seine Heimat betrachten sowie sich für die Belange der Ortsbürger interessieren. Über die Aufnahme entscheidet die Ortsbürgergemeindeversammlung, sie kostet nichts.
Langfristig regelmässige Erträge
Auch auf der Einkommensseite sieht es gut aus. Die Haupteinnahmequelle bilden Baurechtszinsen. «Die Idee dahinter ist, dass der Boden im Eigentum der Ortsbürger bleiben soll. So können wir ihn bei Bedarf für unsere Zwecke nutzen. Die Baurechtszinsen generieren langfristig regelmässige Erträge. Das erhöht auch die Planbarkeit.» Bei dem vergebenen Land handelt es sich grösstenteils um Gewerbeland. Der Ertrag beläuft sich auf rund 600 000 bis 700 000 Franken pro Jahr. «Das ist nicht viel Geld, gemessen an den Aufgaben», so Arsène Perroud.
Mit diesem Geld werden verschiedene Projekte finanziert. Herausstechen dabei die Investitionen ins Ortsbild. «Die Pflege des Ortsbildes ist eine Aufgabe der Einwohnergemeinde, nicht der Ortsbürger», stellt der Gemeindeammann klar.
Haus aus dem 12. Jahrhundert
Das grosse Interesse der Ortsbürger ist historisch bedingt. Bei Käufen oder grossen Investitionen berät die Ortsbürgerkommission den Gemeinderat. «Die Ortsbürger sind eine heterogene Gemeinde, genau wie die Einwohnergemeinde auch. Da gibt es unterschiedliche Positionen. Es gab auch Ortsbürger, denen war die Sanierung des Schlössli oder der Villa Isler zu teuer.» Beim Kauf der Villa Isler sei beispielsweise diskutiert worden, ob das Land darum auch gekauft werden solle. «Es funktioniert wie eine normale Gemeindeversammlung. Es werden Geschäfte vorgeschlagen und darüber wird abgestimmt.»
Das Engagements für das Schlössli und die Villa Isler gehören zu den grössten der Ortsbürgergemeinde. Das Schlössli ist das älteste Haus Wohlens und wird auf 1546 datiert. Es gibt aber Hinweise, dass das Gebäude bereits im 12. Jahrhundert gebaut und bewohnt wurde. Im Jahr 2000 wollten die Eigentümer das Gebäude abreissen lassen. In der Folge bildete sich der Verein Ortsmuseum Schlössli, um das Gebäude zu erhalten.
Ein erster Versuch führte 2005 zu einer Baubewilligung, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht wahrgenommen werden konnte. Nach mehreren Bränden zwischen 2005 und 2007 im Gebäude verabschiedete sich der Verein von der Idee eines Museums. Letztes Jahr konnte die Sanierung abgeschlossen werden und das Schlössli erstrahlt seither in alter Würde. Die Ortsbürgergemeinde beteiligte sich mit 400 000 Franken an den Kosten der Sanierung.
4,6 Millionen für die Villa Isler
Auch die Villa Isler ist ein zentrales Gebäude der Geschichte Wohlens. Die Villa, die vom Strohfabrikanten August Isler in den 1860er-Jahren erbaut wurde, konnte 2009 von den Ortsbürgern gekauft werden. Wenige Jahre später beschlossen sie einen Baukredit über 4,6 Millionen Franken für die Umnutzung und die Einrichtung eines Strohmuseums. Rund zwei Drittel der Kosten wurden von Dritten übernommen. Zudem unterstützen die Ortsbürger die Stiftung Strohmuseum Wohlen mit einem jährlichen Beitrag.












