Auf Besuch im Geburtshaus
29.06.2018 WohlenWohlen: Trudi Vock-Lüthy wird heute 100
Das Wohn- und Pflegezentrum Bifang in Wohlen ist ihre Heimat. Dort gefällt es Trudi Vock-Lüthy bestens. Und im Bifang wird sie heute Freitag ihren 100. Geburtstag feiern. Schön im kleinen Kreis. Zuvor ...
Wohlen: Trudi Vock-Lüthy wird heute 100
Das Wohn- und Pflegezentrum Bifang in Wohlen ist ihre Heimat. Dort gefällt es Trudi Vock-Lüthy bestens. Und im Bifang wird sie heute Freitag ihren 100. Geburtstag feiern. Schön im kleinen Kreis. Zuvor – zwei Tage vor dem grossen Tag – hat Trudi Vock-Lüthy ihr Geburtshaus besucht. Die Liegenschaft Steingasse 47, über 210 Jahre alt, wird zurzeit saniert. Und Trudi Vock-Lüthy erzählte dem neuen Besitzer, Simon Heusser, viel Wissenswertes über das imposante Haus. --dm
Nur schöne Zeiten erlebt
Trudi Vock-Lüthy wird heute Freitag 100 Jahre alt – ein Besuch in ihrem Geburtshaus an der Steingasse 47
Es ist ein wahres Glück, dass die über 210 Jahre alte und bedeutungsvolle Liegenschaft an der Steingasse 47 erhalten bleibt. Auch für Trudi Vock-Lüthy. Die 100-Jährige schaute in ihrem Geburtshaus vorbei. Eine wertvolle und schöne Begegnung – für sie und den neuen Besitzer des historischen Hauses.
Daniel Marti
«Das ist doch ein schönes altes Haus», sagt Trudi Vock-Lüthy, als sie die Liegenschaft an der Steingasse 47 betritt. Und das Haus steckt voller Erinnerungen. Ganz vorsichtig geht sie die paar Stufen hoch. Mitten in die Baustelle, denn das historische Gebäude wird zurzeit saniert. «Da drüben war die Küche», erinnert sie sich, «und hier das Wohnzimmer.» Dort nimmt sie auch Platz, im ehemaligen Wohnzimmer. Und entdeckt sofort, dass der Kachelofen fehlt. In der Wand klafft ein Loch. Und der Ofen, in alle Einzelteile zerlegt, liegt am Boden. Er wird restauriert und dann wieder eingesetzt.
Trudi Vock-Lüthy sieht sich neugierig um in der Liegenschaft Steingasse 47, auch als «Säckelmeisterhaus» bekannt. Ihr kommt alles sehr bekannt vor. Denn es ist ihr Geburtshaus. Heute Freitag vor 100 Jahren kam sie hier zur Welt. «Es war genau um 12.15 Uhr», sagt sie sofort.
Kurzer Schulweg ins Halde-Schulhaus
Der hundertste Geburtstag ist auch der Grund ihres Besuches. Reinschauen in das imposante Haus, das von Simon Heusser gekauft wurde und nun von ihm saniert wird. Der 30-Jährige setzt sich zu Trudi Vock-Lüthy und hört ihr interessiert zu, was sie über sein Haus so zu erzählen weiss. Und das ist eine ganze Menge.
«Wir hatten es hier immer schön», betont die Jubilarin. Zwei Familien wohnten vor 100 Jahren hier. Beide mit Namen Lüthy. «Aber wir waren nicht verwandt und hatten es immer gut untereinander.» Von hier aus ging die kleine Trudi zur Schule. Ein kurzer Schulweg war es rüber zum Halden-Schulhaus. Im «Säckelmeisterhaus» wohnte sie etwas mehr als 22 Jahre lang, zusammen mit den Eltern und den zwei Geschwistern. Und nebenan hatten die anderen Lüthys vier Buben.
Ein WC hatte das Haus damals nicht, das war draussen bei der Scheune. Und wenn man telefonieren wollte, «dann ist man runtergegangen in den ‹Krebs›», erinnert sie sich. Das Restaurant Krebs war dort, wo heute das ibw-Betriebsgebäude steht. Und zum «Krebs» wurden auch die Äpfel gebracht, das Restaurant hatte nämlich eine Mosterei. Viele Bäume und vier Kühe sicherten das Einkommen der Familie. «Wir waren Selbstversorger», erklärt sie mit ein wenig Stolz. Als der Zweite Weltkrieg begann, sei das ein Vorteil gewesen. Und manchmal habe sich das Militär in der Scheune einquartiert.
Tägliche Turnübungen
Wenig später erfolgte der grosse Schicksalsschlag: 1941 starb ihr Vater Emil. Und die Familie rund um Trudi Lüthy musste das Haus verlassen. Der Bauernverband habe damals vieles geregelt, erklärt sie. Am Mythenweg konnte die Familie ein Haus kaufen. «Wir wollten so lange wie möglich zusammenbleiben.» Und so hat sie bis 1968 für ihre Mutter Frida geschaut – dann durfte die Mutter im damals neuen Bifang einziehen.
Dort lebt heute auch Trudi Vock-Lüthy. «Im Bifang habe ich es richtig gut», sagt sie und freut sich auf ihren 100. Geburtstag am heutigen 29. Juni. Ja, natürlich werde sie feiern. Eine schlichte Feier will sie. «Ja nichts Verrücktes…» Zwei Nichten und Kolleginnen kommen vorbei. Übrigens auch auf diesem Weg: Alles, alles Gute zum Geburtstag. Zudem habe sie nie gedacht, dass sie 100 Jahre alt wird, erklärt die Jubilarin. Aber sie tut eben etwas für die Gesundheit. Täglich um 6.30 Uhr steht sie auf, und dann widmet sie sich zuerst ein paar Turnübungen. «Darum: ich fühle mich gut und habe nirgends Schmerzen.» Zudem ist sie eine leidenschaftliche Jasserin, das hält auch geistig fit.
«S’Spitzhuete» und das gute Verhältnis zur Strohindustrie
Zurück zur Vergangenheit. Zum «Säckelmeisterhaus». Erbaut in den Jahren 1803 bis 1805 von Anton Isler, Kantonsrat und Säckelmeister. Früher lag es an der Verkehrsachse Bern–Zürich. Während Ochsen- oder Pferdegespann gestärkt wurden, um die Steigung der Steingasse zu bewerkstelligen, warteten drinnen, damals wars ein Restaurant, die Reisenden aus Zürich oder Bern.
Auch die Geschichte von Trudi Vock-Lüthy geht weit zurück. Mutterseits gab es einen bekannten Grossvater. Dieser erfand den Spitzhut aus Stroh – als Angestellter des Strohindustriellen Paul Walser. Darum der überlieferte Namen: «s’Spitzhuete» wurden die Lüthys genannt.
Die Strohindustrie war stets eine Begleiterin der Familie und umgekehrt. Die Familie fand oft Arbeit bei der benachbarten Bleichi. Die Mutter schneiderte zu Hause spezielle Strohwaren für den Export nach Florenz. Und Trudi Vock-Lüthy arbeitete 26 Jahre lang als Verkäuferin bei August Webers Söhne am Chilegässli.
1952 heiratete sie Fritz Vock. Zusammen lebten sie in einem Einfamilienhaus an der Wilerzelgstrasse 3.
Fritz Vock arbeitete fast das gesamte Berufsleben als Buchhalter beim AEW in Aarau. Im 2004 ist ihr Mann gestorben. Er sei gerne zu Hause geblieben, und sie selber sei eine Wanderin. «Du kannst schon wandern gehen», habe ihr Mann jeweils zu ihr gesagt, «du musst einfach immer wieder heimkommen.» Die Lust am Wandern rührt aus der Jugendzeit. Spazieren am nahen Guggibach. Und vor der Schule musste sie jeweils die Milch der vier Kühe in die benachbarten Häuser liefern. Auch ein Pferd hat sie sich damals immer gewünscht. Das lag aber nicht drin. «Wir sind in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Im Schlafzimmer gab es nicht einmal eine Heizung.» Dafür durfte sie regelmässig die Pferde der Meiers an der Steingasse besuchen.
«Zu viele schöne, alte Häuser abgerissen»
«Ja, die Jugendzeit», sinniert Trudi Vock-Lüthy, «wir haben hier in diesem Haus nur schöne Zeiten erlebt.» Und deshalb ist die 100-Jährige Simon Heusser unendlich dankbar, dass er das «Säckelmeisterhaus» erhalten will. «Man darf doch nicht alles abreissen», kritisiert sie. «Gerade in Wohlen sind zu viele schöne Gebäude einfach abgebrochen worden. Ach, welch schöne Gebäude sind beim Wohlerhof gestanden oder an der Zentralstrasse.» Wenn sie alte Bilder anschaue, dann wird sie traurig. Ihr Geburtshaus dagegen, das wird es weiter geben. Bald in neuem Glanz. Das bereitet ihr riesige Freude.
Übrigens habe das Haus an der Steingasse, das auf einem Felsen gebaut ist, einen wunderschönen Keller, sagt sie zum neuen Besitzer Simon Heusser. Und da unten im gewölbten Keller, da sollte man suchen, rät Trudi Vock-Lüthy. «Da kommt vielleicht ein Schatz ans Tageslicht.»
Und noch etwas: Wenn dann der Kachelofen saniert, wieder eingesetzt und im ehemaligen Wohnzimmer in Betrieb ist, dann möchte Trudi Vock-Lüthy wieder reinschauen in ihrem Geburtshaus und das Werk betrachten. «Ganz sicher, versprochen», sagen alle bei der herzlichen Verabschiedung.