Unterwegs in Hinterhöfen
12.05.2018 TraditionenDer etwas andere «Gang durch Wohlen»
Der «Gang durch Wohlen», er hat längst Tradition in Wohlen. Meist führen die beiden Lokalhistoriker Heini Stäger und Daniel Güntert die Teilnehmer entlang der Geschichte der Strohindustrie ...
Der etwas andere «Gang durch Wohlen»
Der «Gang durch Wohlen», er hat längst Tradition in Wohlen. Meist führen die beiden Lokalhistoriker Heini Stäger und Daniel Güntert die Teilnehmer entlang der Geschichte der Strohindustrie durchs Zentrum. In letzter Zeit entdecken sie aber immer mehr auch die Aussenquartiere. So waren sie schon in Wohlen Ost oder im Aeschquartier unterwegs. In diesem Jahr luden sie ein auf eine Tour durchs Boll und durchs Farn. Und bewiesen: Auch abseits der bekannten Bauten lassen sich viele spannende, humorvolle und lehrreiche Geschichten erzählen. --chh
Dorf mit neuen Augen sehen
Volkshochschule lud zu einem weiteren «Gang durch Wohlen», diesmal ins Boll und ins Farn
Da rieb sich so mancher die Augen. Zu einem Rundgang durchs Boll hatte man sich angemeldet, aber dann führte der Weg von der Rösslimatte erst zum Friedhof und dann ins Bifang und zum Junkholz. Und trotzdem hatte alles seine Richtigkeit.
Chregi Hansen
Nach knapp einer Stunde ging es dann endlich vom Gewerbering durch die Unterführung beim früheren Bahnübergang, wo die Schranken minutenlang geschlossen waren und darum so mancher viel zu spät von der Schule nach Hause kam. Nun also befand sich die Gruppe doch noch im Boll-Quartier. Oder eben dort, wo der Durchschnitts-Wohler das Boll ansiedeln würde.
Das ist im Prinzip falsch, wie die beiden Lokalhistoriker Heini Stäger und Daniel Güntert schon bei der Begrüssung klarmachten. Ursprünglich galt der Begriff «Boll» für das gesamte Dorfgebiet links der Bünz – und zwar von der Südgrenze bis zum Bahnhof. Ein Gebiet, das lange Zeit übrigens unbesiedelt war. Als die Gemeinde vor gut 150 Jahren den Friedhof aus Platzgründen und auf Drängen des Arztes von der Kirche an den Dorfrand verlegte, lag dieser noch einsam und allein, wie ein Blick auf alte Karten zeigt.
«All diese heutigen Quartiere wie das Junkholz, das Bifang oder das Boll wurden erst später überbaut, die meisten sogar erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhundert», erklärte Güntert. Noch auf der Landeskarte von 1955 stehen zwischen dem Friedhof und dem Rössligut-Hof keine Häuser. Es handelt sich also um einen eher jüngeren Teil der Gemeinde Wohlen. Trotzdem wussten die beiden Stadtführer auf dem Rundgang einmal mehr viel Spannendes zu erzählen.
Sozialer Wohnungsbau bereits vor 120 Jahren
Interessant etwa der Vergleich zu den verschiedenen Wohnformen. An der Turmstrasse wurde schon vor über 50 Jahren ein sozialer Wohnungsbau realisiert, die 108 Wohnungen werden heute noch zu sehr vernünftigen Preisen angeboten. «Aber es war nicht das erste Projekt in dieser Art», erzählte Stäger. «Schon 1896 realisierte der Gemeinnützige Ortsverein an der Waltenschwilerstrasse sechs günstige Einfamilienhäuser.» Fast 100 Jahre später entstand am Drosselweg dann der erste genossenschaftliche Wohnungsbau. «Das Projekt wurde in Wohlen heiss diskutiert – es war ein Kapitel gelebter und erlittener Demokratie», erinnert sich Güntert.
Die Gemeinde stellte als Reaktion auf die steigenden Immobilienpreise Land für das Projekt zur Verfügung, doch es dauerte viele Jahre und Sitzungen, bis dann in den 90er-Jahren gebaut werden konnte. Viele, die am Anfang dabei waren, stiegen wieder aus, neue Interessenten kamen dazu. Parallel stiegen die Preise weiter an. Rückblickend kann das Projekt als Erfolg gewertet werden, die Mischung zwischen den eher kleinen, privaten Parzellen und den grosszügigen, gemeinsam genutzten Flächen geht auf, die Lebensqualität ist hoch. Im August feiert die Genossenschaft ihr 25-Jahr-Jubiläum. Und die Überbauung beinhaltet heute die wohl schmalste Parzelle in Wohlen – sie ist zwar 25 Meter lang, aber nur 4,25 Meter breit.
Zwei alte Villen neu zu haben
Ganz andere Ausmasse weisen die Villen der früheren Strohbarone auf. An zwei von ihnen führte der Rundgang vorbei: an der 1898 erbauten Theodor-Dreifuss-Villa und der benachbarten Goldschmidt-Villa. Beide stehen unter Schutz, eine ist sehr gut erhalten, die andere verfällt langsam, aber sicher. Dass sie damals ausserhalb des Dorfes gebaut wurden, hatte laut Stäger seine Gründe. «Man wollte die auswärtigen Industriellen nicht im Dorf, schon gar nicht die Juden», erzählte er. Und er wusste gleich eine Neuigkeit zu berichten. Beide Villen sind aktuell zur Vermietung ausgeschrieben, und für die Theodor-Dreifuss-Villa ist eine Totalrenovation vorgesehen.
Vorbildliche Arbeitgeber
Der Rundgang zeigte aber auch auf, wie in der Gemeinde Wohlen immer wieder wegweisende Projekte umgesetzt wurden. So etwa die Begegnungsstätte Rösslimatte, welche sogar in Italien viel gerühmt wird. Oder das Alters- und Pflegezentrum in Wohlen, wo in den Zeiten des Prager Frühlings ganz unbürokratisch leer stehende Alterswohnungen für die Flüchtlinge zur Verfügung gestellt wurden. Aber auch der Kinderhort Peter Dreifuss, der Mitte der 70er-Jahre speziell für die Kinder der Gastarbeiter gebaut wurde und mit Beiträgen der lokalen Industrie, der Kirche und von verschiedenen privaten Spendern, nachdem eine namhafte Beteiligung der Gemeinde Wohlen durch ein Referendum verhindert wurde. Das Land selber wurde vom Wohler Industriellen Peter Dreifuss zur Verfügung gestellt. «Es gab in Wohlen immer wieder Arbeitgeber, die sich ihrer Verantwortung bewusst waren», machte Stäger deutlich.
Friedhof erzählt Geschichten
Viele Geschichten und Anekdoten gibt es auch über den Friedhof zu erzählen. Etwa diejenige von Oberst Bernhard Isler, der seinerzeit im Dienste Napoleons am Russland-Feldzug teilnahm. Oder die Geschichte von Ludwig Michalski, dem früheren Schlossherrn von Hilfikon, dessen beide Töchter die beiden Söhne des Wohler Politikers Anton Bruggisser heirateten. Aber diese Geschichten lässt man sich besser von Daniel Güntert und Heini Stäger erzählen, denn bessere Kenner der Materie gibt es wohl nicht. Für die Volkshochschule ist denn auch klar, dass es auch nächstes Jahr wieder einen Gang durch Wohlen geben wird.





