Als Gehörloser rappen
04.05.2018 WohlenRap wird im Prinzip definiert als schneller und rhythmischer Sprechgesang. Doch Rap kann viel mehr sein. Das beweist beispielsweise Rolf Perrollaz aus Seon. Denn er rappt in Gebärdensprache. Dafür steht er zusammen mit Gaston Perroud auf der Bühne. Der gebürtige Wohler ist der ...
Rap wird im Prinzip definiert als schneller und rhythmischer Sprechgesang. Doch Rap kann viel mehr sein. Das beweist beispielsweise Rolf Perrollaz aus Seon. Denn er rappt in Gebärdensprache. Dafür steht er zusammen mit Gaston Perroud auf der Bühne. Der gebürtige Wohler ist der ideale Partner, beherrscht er doch selber auch die Gebärdensprache. Das macht die Zusammenarbeit leichter.
Jedem seine Ausdrucksform
Die Band Mixit vereinigt Lautsprache und Gebärdensprache – dies dank dem Wohler Gaston Perroud
Noch bis in die 80er-Jahre war die Gebärdensprache in der Schweiz verpönt. Dass es für sie keine Grenzen gibt, beweist die Aargauer Rap-Band Mixit.
Chregi Hansen
Rap wird im Prinzip definiert als schneller und rhythmischer Sprechgesang. Doch Rap kann viel mehr sein. Das beweist beispielsweise der Seoner Rolf Perrollaz. Denn er rappt in Gebärdensprache. Dafür steht er zusammen mit dem Wohler Gaston Perroud auf der Bühne.
Perrollaz ist nicht der erste und nicht der einzige Gehörlose, der als Rapper für Furore sorgt. Aber zumindest für die Schweiz ist er ein Wegbereiter. «Die Schweiz hinkt in Sachen Gebärdensprache anderen hinterher», sagt Perrollaz, der als Projektleiter in einer Metallbaufirma arbeitet. Er weiss, wovon er spricht. «Als Kind hat man mir das Gebärden verboten», erzählt der 40-Jährige. Kinder sollten Lautsprache lernen, um sich in der Welt der Hörenden zu integrieren. Eine anstrengende und zeitraubende Tätigkeit, die zulasten anderer Schulfächer ging. «Heute hat sich die Gebärdensprache zum Glück emanzipiert. Es ist meine Sprache, mit ihr kann ich mich ausdrücken.»
Zusammen mit Gaston Perroud beweist er im Projekt «Mixit», was mit der Gebärdensprache alles möglich ist. Der gebürtige Wohler, der heute in Dietikon lebt, ist der ideale Partner, beherrscht er doch selber auch die Gebärdensprache. Das macht die Zusammenarbeit leichter. Perroud rappt selber schon seit vielen Jahren, in Mundart, mit wechselnden Partnern. Das Projekt «Mixit» hat für ihn einen besonderen Stellenwert. «Es ist für mich etwas ganz Spezielles, mit einem Gehörlosen zusammen Musik zu machen. Es ist anspruchsvoll, aber es macht viel Spass», sagt er. Und den Songs ist dies anzumerken.
Rap kennt keine (Sprach-)Grenzen
Der Wohler Gaston Perroud rappt zusammen mit dem gehörlosen Rolf Perrollaz
Rap ist eine wortgewaltige Kunstform. Genau darum fällt die Band Mixit in diesem Genre auf. Denn Rolf Perrollaz ist gehörlos – er rappt seine Texte in der Gebärdensprache. Die beiden Künstler nennen ihre Zusammenarbeit einen «Glücksfall».
Chregi Hansen
Und dann tappt man selber in die Falle. Und merkt zu spät, wie dumm und unüberlegt die Frage ist. Ob denn nach dem Erscheinen des neuen Videos bald eine ganze CD geplant ist, werden Gaston Perroud und Rolf Perrollaz gefragt. Sie schauen sich lange an. «Was soll das bringen, dann hört man ja nur mich», antwortet Perroud. «Wenn schon, dann müsste es eine DVD sein», ergänzt Perrollaz.
Zur Entschuldigung muss gesagt werden, dass «Mini Sproch» eben einfach ein guter Song ist, der in die Beine und in die Ohren fährt. Mit einem Text, der hängen bleibt. Aber so denken wir Hörende. Das Video ist viel mehr als nur die Visualisierung eines Songs. Mit ihm feiern der hörende Perroud und der gehörlose Perrollaz die Freude daran, sich ausdrücken zu können – egal ob in Mundart oder Gebärdensprache. Es geht um die Schönheit der Sprache. Und: «Rolf ist nicht einfach der Übersetzer meiner Texte. Beide Sprachen sind bei uns gleichwertig, wir schreiben die Songs auch zusammen, begeben uns in einen Dialog», sagt Perroud. «Genau das ist das Problem. Viele meinen, ich mache auf der Bühne einfach den Dolmetscher», ärgert sich Perrollaz. Falsch gedacht, beide Sprachen sind bei «Mixit» gleich wichtig.
In anderen Ländern ist man viel weiter
Der aus Wohlen stammende und heute in Dietikon lebende Perroud ist schon seit Jahren als «Hobbyrapper» unterwegs, wie er sich selber nennt. Auch sein Partner beschäftigt sich schon lange mit dieser Kunstform, bereits vor 10 Jahren hat er zum ersten Mal zu Rapmusik gebärdet. Und damit Neuland betreten. «Gebärdensprache war in der Schweiz lange unterdrückt», erklärt Perrollaz, «dabei ist sie Teil der Kultur von uns Gehörlosen.» Für ihn geht es bei seinen Auftritten um mehr als nur darum, sich sprachlich auszudrücken – er macht Gebärdensprachpoesie. «In anderen Ländern ist man viel weiter. Da wird in Gebärdensprache gedichtet, da gibt es Lyrik, Poetry-Slams, Theater, sogar Opern», berichtet er.
«Mixit» rappt also in zwei Sprachen. «Die Gebärdensprache ist anders aufgebaut als die Lautsprache, sie folgt ganz anderen Regeln», erklärt Perroud. «Rolf muss die Texte ganz anders aufbauen als ich.» Aber genauso, wie Perroud einen Flow und gelungene Reime in den Text bringen will, so will sein gehörloser Partner die Gebärdensprache einsetzen, als Kunstform – da müssen die Bewegung und die Mimik sitzen. Dass die Zusammenarbeit so gut funktioniert, liegt auch daran, dass der Wohler die Gebärdensprache selber kennt – der Sozialpädagoge hat lange mit gehörlosen Jugendlichen gearbeitet. «Das ist sicher ein Vorteil», sagt er. «Nein, das ist wie ein Lottogewinn für mich», ergänzt sein heute in Seon lebende musikalischer Partner.
Die Musik spüren
Rapmusik lebt von schlagenden Beats und tollen Rhythmen. Und wie geht der gehörlose Perrollaz damit um? «Melodien kann ich nicht hören. Aber ich spüre die Bässe, damit bekomme ich den Rhythmus und das Tempo mit», erklärt er. Und er beobachtet, was Perroud macht. Trotzdem, einfach sei es nicht. «Üben, üben, üben», lacht Perrollaz. Doch inzwischen geht «Mixit» einen Schritt weiter, jetzt versuchen sich die beiden Rapper auch im Freestyle, improvisieren also auf der Bühne. Das sei anspruchsvoll, gibt der Wohler zu. «Aber wir wollen beweisen: Rap funktioniert in jeder Sprache.»
Auftritte vor Hörenden und vor Gehörlosen
Die Zusammenarbeit empfinden die beiden als sehr lustvoll, bereichernd gar. «Wir bringen zwei eigentlich unterschiedliche Sprachen und Kulturen zusammen», sagt Perroud. «Und wir haben viel Spass dabei.» Das Duo sei der beste Beweis, dass Inklusion funktioniere, fügt der gelernte Metallbauer und heutige Projektentwickler Perrollaz an. «Mixit» tritt darum oft an speziellen Veranstaltungen für Gehörlose auf oder auch in Schulen. «Aber wir haben auch Auftritte an ganz gewöhnlichen Open Airs. Die Reaktionen des Publikums sind fast immer positiv, auch wenn sie zu Beginn oft überrascht sind», erzählt der Wohler. Inzwischen können die beiden ein Set von rund 40 Minuten abliefern, musikalisch werden die beiden Rapper unterstützt von Bassist Davide Godenzi und DJ Okay.
Neuen Song veröffentlicht
Letzten Monat haben sie mit «Mini Sproch» ein weiteres Video veröffentlicht. Dazu haben sich Perroud und Perrollaz etwas Besonderes einfallen lassen. Mehr als 40 Personen machen im Video mit und gebärden den Refrain, darunter sowohl Hörende wie auch Gehörlose. «Wir haben an den Konzerten gemerkt, wie das Publikum ein Teil der Gebärden mitmacht, das hat uns inspiriert», erzählt Perroud. Zwei Tage haben die Aufnahmen gedauert. «Die Gebärden selber haben die meisten schnell gelernt. Sie aber in Einklang mit der Musik zu bringen, das war dann schon anspruchsvoll», erinnert sich Perrollaz. Das Resultat kann sich hören und sehen lassen. «Die Reaktionen darauf sind sehr positiv», weiss Perrollaz. Und er freut sich schon darauf, den neuen Song bald schon live zu präsentieren.
Doch was für Pläne haben die beiden für die Zukunft? Die Antwort ist einfach: Noch möglichst lange zusammen Musik machen. «Wir haben in den letzten Jahren eine Freundschaft aufgebaut, die über die Musik hinausgeht», sagt Perroud. Aber: «Wir wollen Grenzen überwinden zwischen Hörenden und Gehörlosen. Wir setzen uns ein für Offenheit, ich persönlich freue mich über jeden, der sich für unsere Kultur interessiert», fügt Perrollaz an. «Mixit» könne dabei als Vorbild dienen. Auch wenn Gehörlose heute in der Gesellschaft akzeptiert seien, müssten sie immer wieder um Akzeptanz kämpfen. Oder eben dumme Fragen beantworten. Wie etwa diejenige nach einer CD.
Mehr Infos: www.mixitmusic.ch">http://www.mixitmusic.ch.


