In Männerdomäne eingedrungen

  13.04.2018 Bremgarten

Gerichtspräsidentin Isabelle Wipf feierte ihr 25-Jahr-Jubiläum im Bezirksgericht Bremgarten

Sie war 1993 die erste Vizepräsidentin eines Bezirksgerichts im Aargau und bekam das erste Halbamt. Eine Frau mit zwei kleinen Kindern. «Es war ein spannendes Novum und eine tolle Herausforderung», sagt sie.

Lis Glavas

Der heutige Gerichtsbetrieb im Rathaus ist mit dem damaligen in vielerlei Hinsicht nicht mehr vergleichbar. «Damals waren wir 13 Angestellte, heute sind wir 33, manche allerdings in Teilzeit. Wir hatten drei Gerichtsschreiber zur Unterstützung, heute sind bei uns neun Schreiber und vier Praktikanten angestellt», erzählt Isabelle Wipf. Und vier Gerichtspräsidenten mit insgesamt 385 Stellenprozent, sie hat 85. Mit ihr sind es der geschäftsführende Präsident Peter Thurnherr und die Präsidenten Lukas Trost und Raimond Corboz. «Alle drei Kollegen haben hier mit mir schon als Gerichtsschreiber zusammengearbeitet», schmunzelt sie.

Um die personelle Entwicklung noch etwas weiter auszuführen: Kantonsweit gab es 1993 14,5 Stellenprozent in Präsidien der Bezirksgerichte, heute sind es insgesamt 40 Gerichtspräsidenten. Mehr allerdings in Teilämtern als damals, als Isabelle Wipf die einzige Frau und als Einzige in einem Halbamt beschäftigt war. «Bemerkenswert ist, dass es heute 19 Frauen und 21 Männer sind.»

Familie und Karriere – manche zweifelten

Isabelle Wipf trat ihr Vizepräsidentenamt am 1. April 1993 als Nachfolgerin von Hans Ulrich Meyer an. Gerichtspräsident war Hansjörg Geissmann, der später ans Obergericht berufen wurde. «Ich war von der FDP des Bezirks angefragt worden, ob ich Interesse an der Kandidatur hätte. Damals war es undenkbar, als Parteilose in dieses Amt gewählt zu werden.» Isabelle Wipf brauchte der FDP nicht pro forma beizutreten. Volljährig – damals mit 20 Jahren – trat sie der FDP Baden bei, wo sie aufgewachsen war. Als FDP-Vertreterin wirkte sie in verschiedenen Arbeitsgruppen mit, unter anderem als Referentin für das neue Eherecht. Sie gründete die Ortspartei Hermetschwil-Staffeln und engagiert sich in der FDP-Frauengruppe Aargau.

Seit 1989 wohnt sie mit ihrem Mann Peter Wipf in Hermetschwil-Staffeln. Die beiden Töchter waren klein, als sie für das Gerichtsamt angefragt wurde. Sie arbeitete in einem 40-Prozent-Pensum im Rechtsdienst der Neuen Aargauer Bank, den sie vor der Geburt des ersten Kindes geleitet hatte. Dem Amt am Bezirksgericht konnte sie nicht widerstehen. «Eine tolle und herausfordernde Aufgabe, ein spannendes Novum.» Als sie sich den anderen Bezirksparteivorständen vorstellte, spürte sie nicht Zweifel an ihrer fachlichen Qualifikation, wohl aber an der Vereinbarkeit dieses Halbamtes mit der Familie. «Ich hatte eine hervorragende Tagesmutter im Dorf. Für das Aktenstudium nutzte ich Abende und Wochenenden. Ich bin überzeugt, dass meine Berufstätigkeit den Mädchen nie schadete.»

Sie hatte vorgesorgt, wollte nicht das Schicksal ihrer Mutter teilen. Ihre Eltern waren beide Juristen. Die Mutter, Jahrgang 1921, schrieb ihre Doktorarbeit. Zur Promotion reichte es nicht mehr, sie bekam Kinder. «Sie hoffte, mit 40 oder 45 wieder einsteigen zu können. Doch das war aussichtslos.» Isabelle Wipf stellte das Anwaltspatent vor die Familiengründung. Denn als Anwältin hätte sie auch zu Hause arbeiten können.

Viel Mehraufwand
Für mehr Arbeit sorgte im Gericht unter anderem der Bevölkerungszuwachs. Ende 1992 hatte der Bezirk 57 095 Einwohner, Ende 2016 75 688. Ein erster personalintensiver Einschnitt brachten jedoch die neue schweizerische Strafprozess- und Zivilprozessordnung in den Gerichtsbetrieb. Sie traten am 1. Januar 2011 in Kraft. Lukas Trost kam 2010 als dritter Präsident hinzu. Dann folgte der Wechsel von der Vormundschaftsbehörde – zuständig bis dahin die Gemeindebehörden – zur Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde mit der Eingliederung ins Familiengericht. Raimond Corboz vervollständigte das Präsidentenquartett.

Spezialisierung war nun ein Gebot der Stunde. Als Dienstälteste durfte Isabelle Wipf entscheiden, mit Raimond Corboz für das Familienrecht und die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zuständig sein zu wollen. «Ich fühlte mich herausgefordert, mich in die neue Materie einzuarbeiten, und finde es nach wie vor spannend, interdisziplinär arbeiten zu können.» Im Familiengericht arbeiten die Juristen mit je einer Fachrichterin Soziales und Psychologie im Dreiergremium zusammen. «Das eröffnet eine neue, wertvolle Optik.» Grosse Freude bereitete es ihr, die umfangreichen Umbauarbeiten unter Leitung von Architektin Beatrix Oswald als Vertreterin des Gerichts begleiten zu dürfen. Das Gericht konnte zusätzlich die ehemaligen Räume des Grundbuchamtes und des Bezirksamtes mieten. Sie durfte auch eigene Akzente setzen. Vor allem lag es ihr am Herzen, das Kinderanhörungszimmer kinderfreundlich einzurichten.

Ruhestand im August 2019
Anders als früher werde man am Bezirksgericht mit Veränderungen nicht mehr allein gelassen. Kantonsintern sei das Weiterbildungsangebot sehr gut und auch externe Ausbildung liege im Rahmen des Budgets drin. Sie schätzt das gute Arbeitsklima im Team und die gute Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Muri Bremgarten. Nach wie vor komme sie jeden Tag gerne ins Gericht, bilanziert Isabelle Wipf. Doch im August 2019 folgt sie ihrem Mann in den Ruhestand, er wird Ende dieses Jahres pensioniert. Sie werden viel reisen und ihre Wohnung im Tessin ausgiebiger geniessen.


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