Zwischen Klinik und Rasen
19.12.2025 Sport, FussballMichelle Stierli spielt bei den Frauen des FC Aarau und arbeitet als Ärztin
Einerseits Teamcaptain bei den Frauen des FC Aarau, andererseits Ärztin in der Hirslandenklinik. Die Murianerin Michelle Stierli muss zwei anspruchsvolle Tätigkeiten unter einen Hut ...
Michelle Stierli spielt bei den Frauen des FC Aarau und arbeitet als Ärztin
Einerseits Teamcaptain bei den Frauen des FC Aarau, andererseits Ärztin in der Hirslandenklinik. Die Murianerin Michelle Stierli muss zwei anspruchsvolle Tätigkeiten unter einen Hut bringen. Sie erzählt, wie ihr das gelingt und was ihre Ziele in Sport und Medizin sind.
Josip Lasic
Beim Gespräch mit dieser Zeitung trägt Michelle Stierli trotz fordernder Monate ein Lächeln im Gesicht. Sie hat ihre gute Laune bewahrt. Und obwohl sie Fussball liebt, ist sie nicht unglücklich über die Winterpause in der Women’s Super League.
Seit zwölf Jahren spielt sie für den FC Aarau, davon zehn Jahre in der ersten Mannschaft. Vor einem Jahr begann sie nach ihrem Medizinstudium in der Hirslandenklinik in Aarau zu arbeiten. Die Ausbildung zur Fachärztin steht an. «Es ist praktisch, dass Aarau mein Arbeitsort ist. Wenn ich bis halb sieben arbeite, stehe ich um viertel vor sieben auf dem Fussballplatz», sagt sie lächelnd. Die Doppelbelastung ist jedoch gross. Die FCA-Frauen trainieren viermal abends und zweimal morgens. «In der Klinik wechseln wir zwischen verschiedenen Stationen. Auf der Notfallabteilung gibt es eine Nachtschicht. Bin ich in dieser eingeteilt, kann ich das Morgentraining besuchen. Schwierig ist es, wenn die Nachtschicht am Wochenende ist und wir Spiele haben.» In den letzten zwei Monaten arbeitete die Abwehrspielerin häufig von fünf Uhr morgens bis halb sieben Uhr abends. Normalerweise reist die Murianerin gern mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In dieser Zeit war sie aber gezwungen, mit dem Auto nach Aarau zu fahren. «So früh morgens gibt es keine Zugverbindung.» Da sie mit ihrem Freund mittlerweile in Aristau wohnt, müsste sie ohnehin erst mit dem Fahrrad zum Bahnhof in Muri fahren. «Am Abend fährt kein Bus mehr nach Aristau», erklärt sie. «Meist war ich gegen 22 Uhr zu Hause. Gleich ins Bett konnte ich nicht. Etwas kochen, essen, die Wäsche oder sonst etwas im Haushalt erledigen. Dar was mir nur dann möglich. Oft wurde es elf oder zwölf, bis ich schlafen konnte. Zum Glück war das nur eine Phase mit so langen Arbeitszeiten. Ich kam an meine Grenzen. Dauerhaft könnte ich das nicht bewältigen.»
Es kriselt beim FC Aarau
Ihre Arbeit als Ärztin möchte sie aber auf keinen Fall missen. Früher hat sie mit ihrer Cousine Julia in den Schweizer U-Nationalteams zusammengespielt. Während Julia Stierli jetzt A-Nationalspielerin ist und beim SC Freiburg in der Bundesliga kickt, kommt für Michelle dieser Weg nicht mehr infrage. «Es gab in der Vergangenheit Angebote von grösseren Schweizer Vereinen. Als ich mein Medizinstudium angefangen habe, war für mich aber klar, dass das mein Weg wird und ich keine Profilaufbahn anstrebe. Ich liebe meine Arbeit als Ärztin und sie macht mir grossen Spass.» Momentan arbeitet sie in der Inneren Medizin. Die Fussballerin lässt noch offen, ob sie sich in eine bestimmte Richtung spezialisiert. Sie kann sich gut vorstellen, eines Tages eine eigene Arztpraxis zu führen.
Fussballerisch fokussiert sie sich hingegen komplett auf den FC Aarau. Das Team ist momentan sicher froh, dass ihr Captain fit und mit an Bord ist. Die Mannschaft belegt Rang 9. Bleiben die Aarauerinnen dort, müssen sie in den Play-outs gegen den Abstieg spielen. Es wäre das erste Mal seit dem Aufstieg 2021. «Es ist uns bisher stets gelungen, den 8. Rang und die Playoffs zu erreichen. Letzte Saison war mit dem 7. Rang dann unsere erfolgreichste. Wir haben einen Schritt nach vorne gemacht. Vielleicht haben wir uns danach zu viel vorgenommen.» Stierli vertraut aber darauf, dass das Team die Wende schafft und sich für die Play-offs qualifiziert. «Die meisten Niederlagen waren knapp. Wir sind nicht schlechter als der Rest der Liga.»
Rückkehr zum FC Muri denkbar
Die Freiämterin betont, dass der Frauenfussball in der Schweiz besser geworden ist. «Mittlerweile sind alle jüngeren Spielerinnen, die in die Teams aufrücken, taktisch und technisch enorm gut ausgebildet.» Die Frauenfussball-EM im Sommer stärkt diese positive Entwicklung. Michelle Stierli erlebte das Turnier als Fan in den Stadien. Sie war bei den Spielen der Schweiz dabei, als ihre Cousine auf dem Platz stand, ebenso wie bei anderen Partien.
Im Super-League-Alltag spürt sie allerdings noch nicht so viel vom EM-Hype. «Wir durften das Eröffnungsspiel gegen Basel im St.-Jakob-Stadion vor rund 6000 Zuschauern bestreiten. Das ist nicht alltäglich für uns. Es war auch eine grössere Bereitschaft unter Sponsoren und Donatoren spürbar. Die Menschen sind eher bereit, etwas in den Frauenfussball zu investieren. Aber an normalen Spieltagen im Schachen erscheinen jetzt nicht viel mehr Leute», erzählt sie. «Ob mehr Mädchen anfangen zu spielen, merken wir wohl erst in ein paar Jahren.» Wie lange sie dem FC Aarau erhalten bleibt, lässt Stierli offen, obwohl sie mit 28 Jahren im besten Fussballalter ist. «Das hängt auch davon ab, wo ich arbeite. Meine Ausbildung erfordert, dass ich eine Zeit lang in einem grösseren Spital arbeite. Im Aargau kommen dafür nur Aarau und Baden infrage.» Was sie aber mit Sicherheit sagen kann: Selbst wenn sie in einer Stadt wie Zürich arbeiten würde, könnte sie sich keinen Vereinswechsel innerhalb der Super League mehr vorstellen. «Entweder spiele ich weiterhin bei Aarau oder ich gebe eines Tages mein Comeback beim FC Muri», sagt sie, wieder mit einem Lächeln auf den Lippen. «Ich nehme es Saison für Saison. Aber ich habe mit dem FC Aarau noch Ziele. Wir können besser werden und vielleicht eine Überraschung im Cup schaffen. Mit dem Play-off-Modus ist auch in der Meisterschaft nichts ausgeschlossen.» Das Feuer für Fussball brennt nach wie vor in ihr. Ebenso wie ihr Feuer für ihren Beruf. So gelingt es ihr, beides unter einen Hut zu bringen.

