Von der Armenanstalt zur zeitgemässen Pflegi
27.05.2025 MuriUm die historische Einordnung der Pflegi Muri war am Frühlingsfest Franz Hold besorgt
Der Präsident des Vereins Pflegi Muri nimmt sein Publikum im Raum Gerold mit auf eine Zeitreise zur Entwicklung der Pflegeinstitution. Dabei setzt Franz Hold schon im Jahr 1841 an. So ...
Um die historische Einordnung der Pflegi Muri war am Frühlingsfest Franz Hold besorgt
Der Präsident des Vereins Pflegi Muri nimmt sein Publikum im Raum Gerold mit auf eine Zeitreise zur Entwicklung der Pflegeinstitution. Dabei setzt Franz Hold schon im Jahr 1841 an. So weit geht nämlich die Klosteraufhebung zurück. Rund 20 Jahre standen die Räume danach leer. Die landwirtschaftliche Schule, die darauf einzog, wurde bereits 1872 wieder aufgelöst, weil sie zu wenig abgeworfen habe, so Hold. 1887 wurde dann eine kantonale Pflegeanstalt für «heimatlose Gebrechliche» eröffnet. Unter anderem für Altersschwache und unheilbar körperlich Kranke, aber auch von «Idioten», «epileptischen Kretinen» und «Krüppeln» war ganz offiziell die Rede.
Früher über 800 Bewohner
Der Klosterbrand, der 1889 das Dach komplett zerstörte und auch das Dach der Klosterkirche in Mitleidenschaft zog, setzte dem Betrieb dann ein Ende. Später sollte eine Brauerei einziehen, dann übernahmen die Brüder Keusch aus Hermetschwil den Bau und schliesslich die Gemeinnützige Gesellschaft Aargau, die 1908 den Verein «Kantonale Pflegeanstalt Muri» gründete. «Vier reformierte Pfarrer machen aus einem katholischen Kloster ein Pflegeheim», bringt der Referent die Brisanz auf den Punkt.
In der neuen Institution sollten arme unheilbar körperlich Kranke eine Heimat finden, aber «keine gefährlichen Geisteskranke» und «Störenfriede» hiess es unter anderem in den Bestimmungen. Bis 1973 war auch ganz klar gefordert, dass der Verwalter im Haus wohnen musste. 1909 nahm die Pflegeanstalt mit vier Bewohnern den Betrieb auf. Ein Jahr später sollten es bereits 108 sein. In den 1950er-Jahren wurde dann der Peak von 802 Bewohnerinnen und Bewohnern erreicht, wobei diese selbstverständlich nach Geschlecht getrennt wurden, sogar im Esssaal und im Lift.
Naturalgaben sind dokumentiert
Die grossen Schlafsäle, die Hold in seiner Bildpräsentation zeigt, wirken heute befremdlich. Und doch: Für viele Bewohner bedeutete es einen markanten Fortschritt, überhaupt in einem Bett schlafen und eine geregelte Struktur mit Mahlzeiten erhalten zu dürfen. Die dazu erforderlichen Lebensmittel wurden im eigenen Bauernbetrieb weitgehend selbstständig produziert.
Was fehlte, kam in Form von Spenden dazu. Nebst den Geldbeträgen wurden auch die Naturalgaben fein säuberlich dokumentiert. Hier zwei Stumpen, da ein Dutzend Taschentücher oder eine Herrenhose. Und auch Parfüm, Tabak und Schokolade waren sehr begehrt.
Kein Gehör fand die heutige Pflegi in der Mitte des letzten Jahrhunderts mit ihrem Ansinnen einer Erweiterung nach Westen. Das würde das Bild von Boswil her auf die Klosterkirche zu stark beeinträchtigen, befand damals der Regierungsrat. Stattdessen wurde 1949 das Hotel Löwen erworben und an seiner Stelle ein Ökonomiegebäude errichtet. In den 70er-Jahren habe der Kanton dann die Pflegi aus dem Kloster verbannen wollen, berichtet Hold weiter aus der bewegten Geschichte.
Gleichzeitig ermöglichte man es aber auch, Investitionen über die Betriebsrechnung zu finanzieren.
Mit Verstand und Herz
Als Meilensteine der jüngeren Geschichte nennt Franz Hold den Dach-Umbau 1989 und die Reduktion auf Einer- und Zweierzimmer, die Gründung der Stiftung Roth-Haus für Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung und natürlich die aufwendige Gesamtsanierung von 2000 bis 2013, die Bausünden aus Jahrzehnten des Pragmatismus behob. Nicht zuletzt sparte die Umstellung auf Schnitzelheizung 400 000 Liter Öl ein.
Heute ermöglicht die Pflegi ihren Bewohnerinnen und Bewohnern trotz Pflegebedürftigkeit ein hohes Mass an Selbstbestimmung und damit Lebensqualität. Was bedeutet das konkret? «Meine Angehörigen dürfen jederzeit zu Besuch kommen», verrät eine Bewohnerin, «ich darf hier so lange schlafen, wie ich möchte», ein Bewohner. «Den Verstand eines Volkes erkennt man an der Fürsorge für die Jugend, das Herz an der Fürsorge für das Alter», bringt es Franz Hold auf den Punkt. --tst