Von Bremgarten West ans West End
23.12.2022 Widen, MutschellenMit «Sister Äct» steht Benjamin Fröhlich auf der Bühne der Maag-Event-Hall
Benjamin Fröhlich hat in London als Musicaldarsteller Fuss in einer der grossen Theater- und Musical-Metropolen gefasst. In der Schweiz rettet er zurzeit als ...
Mit «Sister Äct» steht Benjamin Fröhlich auf der Bühne der Maag-Event-Hall
Benjamin Fröhlich hat in London als Musicaldarsteller Fuss in einer der grossen Theater- und Musical-Metropolen gefasst. In der Schweiz rettet er zurzeit als Kantonspolizist Edi Bingisser das Leben von Deloris van Cartier, gespielt von Sängerin Fabienne Louves.
Celeste Blanc
Musik, Gesang, Geschichte – und im Idealfall alle drei Komponenten miteinander vereint: Benjamin Fröhlich lebt für das Musical – sowie den ganz grossen Auftritt. Und der 39-jährige Wider hat es geschafft: Mittlerweile steht er im Londoner Stadtteil West End, der berühmt für seine vielen Theater ist und als britisches Pendant zum New Yorker Broadway gehandelt wird, auf den Bühnen und wirkt in verschiedenen Inszenierungen mit. «Wenn ich heute auf meinen Werdegang zurückblicke, ist das schon ziemlich verrückt», meint Fröhlich und fügt lachend an: «Zumal meine erste grosse Rolle ein singender maskierter Elefant im Zirkusspiel im Kindergarten in Bremgarten West war.» Von Bremgarten West ans Londoner West End also. Und dabei hätte Fröhlich mit dem angefangenen Medizinstudium doch eigentlich in die Krebsforschung gewollt.
Facettenreiche Rolle
In der Schweiz spielt Fröhlich als Kantonspolizist Edi Bingisser im Musical «Sister Äct», das aktuell in Zürich läuft, im Haupt-Cast von einem der grossen Schweizer Musicals. An seiner Seite: Sängerin und «Music-Star»-Gewinnerin Fabienne Louves, welche die Hauptrolle Deloris van Cartier verkörpert. Sie gilt es zu beschützen – und je länger, je mehr verliebt er sich in sie.
An der Rolle des verschrobenen Polizisten reizt Fröhlich vor allem, dass diese nicht statisch ist. Bingisser sei alles andere als der Macho-Typ, dem die Frauen zu Füssen liegen, sondern eher ein bemitleidenswerter Underdog, der sich immer wieder behaupten muss. «Ihn zu spielen, ist facettenreich, das macht die Rolle spannend.» Dabei liebt es der Wider, mit dem Publikum zu spielen. «Bingisser ist unbeholfen und man macht sich – hauptsächlich ungewollt – über ihn lustig. Und das Publikum merkt erst zum Schluss, wie fest der Charakter während des Stücks zum Helden mutiert.»
Statt Labor die grosse Bühne
Um solche Rollen spielen zu können, braucht es eine gute Vorbereitung. Eine solche besteht aus viel Fleissarbeit, wie Fröhlich weiss. Die Aufgabe eines Schauspielers sei es, die Form des Charakters mit Fakten aus dem Skript, aber auch durch das Lesen beziehungsweise Erfinden zwischen den Zeilen zu füllen. Wie im echten Leben zeige sich dies vor allem in der Mimik und Gestik und im Nonverbalen. «Natürlich kann man einfach auswendig gelernte Zeilen aufsagen. Aber die Kunst liegt darin, das ganze Mosaik an Eigenschaften, Absichten, Gedanken und Zielen eines Charakters durch das Schauspiel dem Publikum ersichtlich zu machen.»
Schon früh ist Fröhlich, der in Merenschwand, Bremgarten und zum grössten Teil in Widen aufgewachsen ist, mit dem Singen in Berührung gekommen. Seine Grossmutter sei es gewesen, die seine Leidenschaft dafür geweckt und dann auch immer wieder mit finanziellen Zuschüssen zu Musikstunden beigetragen hat. «Bei jedem familiären Anlass, sei es ein runder Geburtstag oder eine Weihnachtsfeier gewesen, hat sie etwas Musikalisches vorgetragen. Das ist mir geblieben und ich habe es geliebt.»
Das Singen begleitete den Musicaldarsteller durch seine Schul- und Studienzeit. Fröhlich, der ursprünglich Lehrer werden wollte, schlug nach der Matur den naturwissenschaftlichen Weg ein und studierte Medizin an der Universität Zürich. Dies ziemlich erfolgreich: Während der Forschungen für seine Dissertation entdeckte Fröhlich eine genetische Mutation, die eine vererbbare Lungenerkrankung verursacht. «Wir konnten zeigen, dass diese genetische Mutation verantwortlich ist für die Erkrankungen in einigen Schweizer Familien», erklärt er. Für diese Entdeckung wurde er sogar nach San Francisco an einen Fachkongress eingeladen, um die Ergebnisse und die Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift zu präsentieren. Nebst dem Medizinstudium präsidierte er den Akademischen Chor Zürich, war Scharleiter der Jubla Eggenwil-Widen, unterstützte seine Mutter bei der Leitung des Kinder-Erwachsenen-Chors «Jubla-Singers» in Widen und arbeitete Freitag- und Samstagnacht als Nachtportier in einem Zürcher Hotel. «Es war eine unglaublich intensive Zeit», lacht Fröhlich. «Ich frage mich manchmal, wie ich das alles unter einen Hut gebracht habe.»
Naiver Schritt
Diese Zeit sei gleichzeitig aber auch wegweisend gewesen – und hat den Werdegang des vielseitigen Mannes für immer verändert. Von der Chorleiterin des Akademischen Chors Zürich, Anna Jelmorini, wurde er gefördert, sie verhalf ihm zu wertvollen Kontakten mit erfahrenen Gesangslehrern, einem Chorleiterkurs und brachte ihn schliesslich an den Tag der offenen Tür an der «StageArt Musical & Theatre School» in Adliswil. «Bis dahin hatte ich immer Angst, dass, wenn ich meinem Hobby zu sehr nachgehe, ich keine Lust mehr habe, zu singen.» Doch das Gegenteil sei der Fall gewesen: «Fortan wollte ich nichts anderes mehr machen, als zu schauspielern und zu singen.»
Fröhlich schmiss sein Medizinstudium, um kurze Zeit später an der «StageArt Musical & Theatre School» sein Schauspiel- und Gesangsstudium aufzunehmen. Finanziert hat sich das der Musicaldarsteller durch Engagements in Theatern, Operetten sowie Musicalproduktionen. Es folgte die Zusatzausbildung an der Zürcher Hochschule der Künste in Kirchenmusik und Chorleitung, in dieser Zeit dirigierte er den gemischten Chor Songria auf dem Mutschellen und übernahm die Leitung der «Jubla-Singers» in Widen.
Doch dem ambitionierten Multitalent, das zwischenzeitlich im Musicaltheater seine Leidenschaft gefunden hatte, war das noch nicht genug. Und da die Musicalszene in der Schweiz und in Deutschland sehr jung und eher traditionslos war, zog er 2012 nach London, um am Ort des Geschehens zu sein. «Von heute aus betrachtet war das ein sehr naiver Schritt», muss sich Fröhlich lachend eingestehen. Das Business in London sei taff. Als Darsteller brauche man Agenten, die für einen vorsprechen und dann Rollen an Land ziehen. «Die man aber nur bekommt, wenn man einen adäquaten Abschluss hat.» So absolvierte der damals 34-Jährige noch zusätzlich einen Master an der renommierten Royal Academy of Music in London.
Etwas im Menschen bewegen
Seit seinem Wegzug aus der Region sind mittlerweile zehn Jahre vergangen und Benjamin Fröhlich hat es geschafft, erfolgreich als Theater- und Musicaldarsteller im Spagat zwischen London und der Schweiz Fuss zu fassen. Der Mann, der nicht stillzusitzen vermag, hat 2014 zusätzlich mit dem «London International Choir» einen neuen Chor gegründet, den er auch mehrere Jahre dirigierte.
Seinen einzigartigen Weg würde der Wider nicht missen wollen. «Es ist gut, dass ich alles auf die Karte ‹Musical› und nicht auf die Medizin gesetzt habe. Wäre ich nicht jeden einzelnen Schritt und scheinbaren Umweg gegangen, wäre ich heute nicht hier und so, wie ich bin.»
Und zuletzt haben das Medizinstudium wie seine Tätigkeit als Musicaldarsteller eine wesentliche Komponente gemein, der Benjamin Fröhlich bereits sein ganzes Leben folgt: «Als Mediziner wären es die Momente gewesen, wenn man jemandem Schmerzen nehmen und Hoffnung geben kann. Im Theater und in der Musik sollen die geweckten Emotionen genau dasselbe und noch viel mehr tun.»