Eigentlich liebe ich Italien. Wetter, Essen, Sprache – alles so schön und verheissungsvoll, wie das Leben nur sein kann. Und doch empfinde ich unwillkürlich immer wieder ein dumpfes, schwer zu beschreibendes Gefühl von Deprimiertsein, wenn mit dem Zug die Schweizer Grenze ...
Eigentlich liebe ich Italien. Wetter, Essen, Sprache – alles so schön und verheissungsvoll, wie das Leben nur sein kann. Und doch empfinde ich unwillkürlich immer wieder ein dumpfes, schwer zu beschreibendes Gefühl von Deprimiertsein, wenn mit dem Zug die Schweizer Grenze passiert ist und dieser alsbald beginnt, mit 250 km/h Richtung Mailand zu brettern (und von dort aus etwa weiter nach Venedig).
Nicht wegen der ärgerlichen Zugverbindung, deren Verspätung stets so sicher ist wie das Amen in der Kirche (was mich in der Modestadt schon so manche nervtötende Stunde bei verpasstem Anschluss verbringen liess). Nein, es ist die landschaftliche Monotonie der Poebene, die mich deprimiert. Weit und breit keine Geländeerhebungen, keine Berge, keine Hügel. Alles flach, besiedelt von Ortschaften, die sich beim Vorbeisausen nicht voneinander unterscheiden, von eintönigen Wiesen und öder Landwirtschaft. Der Blick in die Ferne verliert sich irgendwann in einem nebulösen Dunst ohne Konturen – die Unendlichkeit der Langeweile, so kommt es mir vor. Fast sicher, dass ich jenem Landstrich unrecht tue – er hat gewiss ganz viele schöne Fleckchen, doch mein Gefühl der Leere beim Passieren kann ich beim besten Willen nicht negieren.
Typisch Schweizer, könnte man jetzt sagen. Wir sind halt Bergmenschen. Doch das greift bei mir zu kurz. Denn ähnlich geht es mir beim anderen Extrem. Ferien im Wallis sind grossartig. Skifahren, Wandern und heile Bergwelt. Und doch beschleicht mich in den Tälern jeweils schon bald ein diffuses Gefühl des Eingeengt-Seins. Die monumentalen Bergriesen auf allen Seiten wirken erdrückend auf mich. Die Sonne verschwindet viel zu früh. Und das darauf folgende Schattendasein wird zwar vom Après-Ski launenmässig kompensiert – aber das ganze Jahr durch wäre so was gewiss nichts für mich. Wie die Absenz der Geländeerhebungen würde mich auch ihr Übermass auf Dauer deprimieren.
Eine wahre topografische Wohltat deshalb jeweils die Rückkehr in unser Mittelland, mit seinen abwechslungsreichen Hügeln, Wäldern, Flüssen und Seen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und in der gewohnten Umgebung fühlen sich viele deshalb am wohlsten. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn wir leben wirklich auf einem der schönsten und privilegiertesten Plätzchen dieser Erde. Dem ist man sich manchmal zu wenig bewusst.