«Sind das Herzstück des Spitals»
28.02.2025 MuriDie Enttäuschung ist gross
Die geplante Schliessung der Geburtenabteilung am Spital Muri löst riesiges Echo aus
Ende Jahr schliesst die Geburtenabteilung des Spitals Muri. Eine Petition will sich nun dagegen wehren.
...Die Enttäuschung ist gross
Die geplante Schliessung der Geburtenabteilung am Spital Muri löst riesiges Echo aus
Ende Jahr schliesst die Geburtenabteilung des Spitals Muri. Eine Petition will sich nun dagegen wehren.
Annemarie Keusch
Dass dieser Entscheid Emotionen auslöst, dürfte niemanden wirklich überraschen. Schliesslich ist ein Grossteil der Freiämter Bevölkerung selbst im Spital Muri geboren oder hat dort Kinder zur Welt gebracht. Gross war der Aufschrei darum in der ganzen Region, als letzte Woche verkündet wurde, dass die Geburtenabteilung schliesst. Man richte sein medizinisches Angebot auf die demografische Entwicklung aus, hiess es seitens des Spitals. Ausgebaut und gestärkt werden Bereiche mit wachsender Nachfrage wie die Orthopädie und die Akutgeriatrie. Mehr finanzielle Stabilität erhofft sich der Stiftungsrat davon.
Betroffen sind viele. Frauen, die für eine Geburt einen weiteren Weg auf sich nehmen müssen. Aber auch Mitarbeiterinnen, die auf der Wochenbettstation tätig sind. Sie waren es auch, die vor wenigen Tagen eine Petition lancierten. «Herz und Seele bewahren – Nein zur Schliessung der Geburtenabteilung in Muri» fordern sie darin und stossen auf viel Unterstützung. Rund 6000 Unterschriften waren es gestern. «Diese Solidarität tut gut», sagt eine Mitarbeiterin der Wochenbettstation. Sie spricht über die aktuelle Situation und über ihre riesige Enttäuschung, dass «ihre» Abteilung geschlossen wird.
Eine Mitarbeiterin der Wochenbettstation des Spitals Muri spricht über die letzten Tage
Neben den Frauen, die ab Ende Jahr nicht mehr im Spital Muri gebären können, sind vor allem sie die Betroffenen: die Mitarbeiterinnen der Wochenbettstation. Eine von ihnen erzählt, was der Entscheid der Schliessung bei ihr auslöst und wie gut die grosse Solidarität vonseiten der Bevölkerung tut.
Annemarie Keusch
Sie will ihren Namen nicht nennen. Aber sie will reden. «Weil sonst unsere Ansicht nie an die Öffentlichkeit gerät.» Nicht nur aus Angst, ihren Job zu verlieren, will sie dennoch anonym bleiben. «Es geht mir um die Wöchnerinnen und um unsere Abteilung.» Ein Team, das laufend mehr unter Druck sei, Ausfälle kaum mehr kompensieren könne. Ein Team, das wie viele andere, in immer weniger Zeit immer mehr leisten muss. «Wir haben keine Zeit mehr, um den Patientinnen so gerecht zu werden, wie wir das wollen.» Sie spricht von Massenabfertigung, davon, dass das nicht die Grundsätze waren, weswegen sie einst diesen Beruf gewählt habe.
Von stressigem Alltag können wohl alle Abteilungen des Spitals, allgemein Mitarbeitende im Gesundheitswesen, berichten. Bei der Wochenbettstation des Spitals Muri kommt hinzu, dass die Abteilung trotz dieses Stresses nicht rentabel geführt werden konnte. Die Schliessung per Ende Jahr war für den Stiftungsrat der Schritt, um auch künftig ein finanziell stabiles Spital zu ermöglichen (siehe Berichterstattung vom letzten Freitag, 22. Februar). Eines, das bereit ist für anstehende Investitionen. Die Enttäuschung darüber steht der Mitarbeiterin ins Gesicht geschrieben. «Nein, aktuell macht die Arbeit keine Freude», sagt sie. Die Stimmung sei gedämpft. «Und das, obwohl wir das Herzstück des Spitals sind. Hier entsteht Leben. Ohne die Gebärabteilung gäbe es doch nur Trauriges im Spital. Gebären gehört doch zur Grundversorgung.»
Viel investiert in letzten Jahren
Genau diese medizinische Grundversorgung im Freiamt hat sich das Spital Muri auf die Fahne geschrieben. In vielen Reaktionen, etwa in Leserbriefen, wird auf sie abgestellt. «Ja, natürlich bin auch ich der Meinung, dass eine Wochenbettstation zwingend dazugehört.» Und sie betont, dass die Station zwar wirtschaftlich nicht rentabel, aber trotz allem Stress gut lief. «Die familiäre Situation wurde geschätzt. Bei uns ist keine Wöchnerin nur eine Nummer.» Und man habe in den letzten Jahren einiges dafür unternommen, dass Frauen ihre Kinder im Spital Muri gebären. Familienzimmer wurden errichtet, Kurse aufgebaut, etwa zur Geburtsvorbereitung, zur Rückbildung oder zum Stillen, die Kreisssäle wurden erneuert und das Stillambulatorium aufgebaut. «Man hat investiert, um die Abteilung jetzt zu schliessen. Das verstehe ich nicht.»
Zumal es gemäss der Mitarbeiterin weitere Ideen gab, um die Rentabilität zu steigern. «Aber die wollte man nicht hören.» Überhaupt hätte sie sich mehr Dialog mit dem Stiftungsrat oder der Geschäftsleitung gewünscht, mehr Wertschätzung. «Wir müssen immer um Anerkennung kämpfen», sagt sie. Sie vermute, dass dies daran liege, dass im Gegensatz zu anderen Abteilungen viel Arbeit verrichtet werde, die nicht verrechnet werden kann. Etwa weil die Neugeborenen im Bettenplan nicht aufgeführt werden – entsprechend auch die Arbeit mit ihnen nicht. «Kommt hinzu, dass in der Wochenbettstation Gespräche und Beratungen nun mal dazugehören.» Die Mitarbeiterin weiss, dass der Fehler hierfür beim Tarifsystem liegt. «Dass sich da dringend etwas ändern muss, dessen sind sich wohl alle im Gesundheitswesen bewusst», sagt sie. Es könne doch nicht sein, dass es bei Geburten in erster Linie um Geld gehe. «Ich bin überzeugt, dass man eine defizitäre Geburtenabteilung querfinanzieren könnte, wenn es auf allen anderen Abteilungen gut läuft. Es gibt verschiedene Fehler im System und wir müssen es nun ausbaden.» Dabei betont sie, dass die Wochenbettstation eine interdisziplinäre Station ist. «Die 25 Betten sind immer ausgelastet.» Das beziehe sich auch auf die Familienzimmer, die pro Nacht 510 Franken in die Kasse spülen würden. «Diese sind nun aber zum grössten Teil durch medizinische, chirurgische, gynäkologische, urologische oder akutgeriatrische Patienten belegt. Gebärende haben gar nicht mehr die Möglichkeit, diese Zimmer zu nutzen. Das spricht sich schnell herum und lässt uns in einem falschen Licht erscheinen.»
Anzeichen gabs, bei Fragen wurde man vertröstet
Die Mitarbeiterin nimmt die Entscheidungsträger im Spital Muri in die Pflicht. «Vielleicht hätte man in Sachen Tarifsysteme mehr Druck machen müssen.» Aber auch im Bereich der Wertschätzung der Abteilung gegenüber, wünscht sie sich eine Besserung. «Dass mit den Mitarbeitenden so umgegangen wird, wie es im Leitbild definiert ist. Respektvoll und basierend auf Vertrauen.»
Denn, dass etwas nicht stimme, das habe man in der Abteilung schon länger gespürt. Gute Mitarbeitende verliessen das Spital. «Solche, die tiefere Einblicke hatten als ich.» Auf Fragen, ob sie sich Sorgen machen müssten, seien sie immer wieder vertröstet worden. «Es wurde uns stets versichert, dass es zu keiner Schliessung kommen würde. Als Grund wurde uns angegeben, dass wir einen Leistungsauftrag des Kantons erbringen müssen und zur Grundversorgung gehöre auch das Wochenbett», schreibt das Team in einem Leserbrief. Und sie wünscht sich eine klarere Kommunikation. «Per 1. Januar wurde das Spital mit einem neuen Label ausgezeichnet, darf Hebammengeführte Geburten machen. Davon haben wir bisher nichts gewusst. Ich frage mich, warum.» Zudem spreche man innerhalb des Betriebes immer nur von Wirtschaftlichkeit und Rentabilität, «aber uns werden keine Zahlen präsentiert».
Mit Petition ein Zeichen setzen
Dass werdende Mütter nun weit fahren müssen, um in einem Spital zu gebären, ist für die Mitarbeiterin noch unvorstellbar. Auch weil in der weiteren Region andere Geburtenabteilungen schlossen. Hinzu kommen Geburtenstopps in anderen Spitälern. «510 Geburten müssen neu verteilt werden. Das ist nicht nichts.» Obwohl die Ernüchterung bei ihr gross ist, obwohl sie sagt, dass die Hoffnung zwar zuletzt sterbe, aber diese nur noch aus einer kleinen Flamme bestehe – kampflos aufgeben will sie nicht. Das will das gesamte Team der Wochenbettstation nicht. Gemeinsam haben sie diese Woche eine Petition lanciert. Das Ziel von 200 Unterschriften mag schon nach zwei Tagen lächerlich klingen. Über 6000 Leute haben diese Stand gestern Vormittag unterschrieben. «Diese Solidarität quer durch alle Altersklassen tut gut. Damit setzen wir gemeinsam ein Zeichen. Wir wollen nicht, dass unsere Abteilung schliesst. Aber das reicht wohl nicht.»
Sie appelliert an die Politik, die Entscheidungsträger. «Das ist erst der Anfang. Die Blase im Gesundheitswesen droht zu platzen. Ganz viele machen den Job nur noch aus Verpflichtung gegenüber den Patienten und dem Teams – auch ich.» Die Mitarbeiterin der Wochenbettstation weiss: die politischen Mühlen mahlen langsam. «Aber irgendwann müssen sie beginnen.»
Petition: www.petitio.ch/petitions/1tpRl