Kein wirklicher Abschied
12.07.2024 KelleramtPfarrerin Cindy Studer verlässt nach elf Jahren die Reformierte Kirche Kelleramt
Etwas weiterentwickeln, das sagt Cindy Studer zu. Und das hat sie in der Reformierten Kirche Kelleramt auch getan. Angst davor, anzuecken, hatte sie dabei nie. Nun verlässt sie die ...
Pfarrerin Cindy Studer verlässt nach elf Jahren die Reformierte Kirche Kelleramt
Etwas weiterentwickeln, das sagt Cindy Studer zu. Und das hat sie in der Reformierten Kirche Kelleramt auch getan. Angst davor, anzuecken, hatte sie dabei nie. Nun verlässt sie die Kirchgemeinde mit «einem lachenden und einem weinenden Auge».
Annemarie Keusch
Sie spürt die Dankbarkeit. «Das haben viele Leute an mir geschätzt», sagt Cindy Studer. Sie spricht ihre initiative Art an, ihre Fähigkeit, sich durchzubeissen, über die Region hinauszudenken. «Und ich darf sagen, dass ich die Kirchentüren auch für Leute wieder öffnen konnte, die sie vorher geschlossen hatten.» Cindy Studer hat im Kelleramt Spuren hinterlassen. Das sagt sie selbst, das spürte sie aber ganz besonders beim Abschiedsgottesdienst. Studer hat die Reformierte Kirche Kelleramt nicht weitergeführt, wie es ihre Vorgänger getan haben. «Das bin nicht ich. Ich habe viele Ideen, viel Elan, viel Drang nach Entwicklung und Veränderung», sagt sie. Die Gottesdienste hiessen schnell «Spiritual Sundays», die Abläufe waren anders, statt herkömmlicher Gottesdienste wurde auch mal meditiert oder Yoga gemacht. «Offene Spiritualität war für mich immer sehr wichtig, ich habe mich in diesem Bereich auch weitergebildet», erzählt sie. Eine der vielen Weiterbildungen, die sie absolvierte. «Das gehört für mich dazu. Ich will mich weiterentwickeln.»
Es ist einer der Gründe, weshalb Studer die Reformierte Kirche Kelleramt nun verlässt. «Ich habe mir von Anfang an vorgenommen, spätestens 2026 weiterzuziehen, um Platz für Neues zu schaffen, in der Gemeinde, aber auch bei mir.» Der Abschied erfolgt nun früher, Ende Monat endet ihre Tätigkeit bei der Reformierten Kirchgemeinde. Warum? «Anfang Jahr durfte ich mein zweimonatiges Sabbatical nehmen. Ich habe mich schon länger damit befasst, wie meine Zukunft aussehen wird, in dieser Zeit aber besonders.» Aus dem Nichts, als «Geschenk des Himmels», kam der Anruf der Klinik Meissenberg. Dort trat Studer Anfang April die Tätigkeit als Klinikseelsorgerin an. «Vom Spital und nicht von der Kirche angestellt, was noch selten ist.»
Brücken schlagen
Studer geniesst die neue Herausforderung. Weil sie das Gesundheitswesen immer faszinierte und sie im Herbst eine Management-Weiterbildung in diesem Bereich antritt. Und auch, weil die Schnittstellen zwischen den Branchen, das Miteinander in verschiedensten Bereichen genau das ist, was Cindy Studer erreichen will. Das zeigen ihre verschiedensten Projekte. Das ehemalige Hobby Personal Pastor, das derart florierte, dass sie nicht mehr alle Abdankungen von konfessionslosen und konfessionellen Familien mit besonderen Wünschen selber abdecken kann. Aber das zeigt auch ihre Meinung in gewissen Diskussionen. «Ich verstehe nicht, warum Leute, die aus der Kirche ausgetreten sind, oder sogar noch Mitglieder sind, in einigen Kirchen keine Feiern nach ihren Wünschen bekommen. Und die Kirchen zugleich mit Mitgliederschwund kämpfen und somit immer mehr Probleme haben, die anstehenden Ausgaben zu stemmen.» Offen sein, den Weg miteinander gehen, den Menschen ins Zentrum stellen – darum geht es ihr.
Auch in der neuen beruflichen Herausforderung versteht sich Studer als Brückenbauerin. «Immer mehr Spitäler setzen auf eigene seelsorgerische Ausbildungen und rüsten in diesem Bereich auf. Eine grosse Chance für die Kirchen, wenn sie diesen Trend nicht verpassen und entsprechend ausbilden», ist sie überzeugt. Und genau für diese Chancen will sie arbeiten, beide Seiten einander näherbringen. «Und genau deshalb freue ich mich auch darauf, sowohl angehende Seelsorgerinnen und Seelsorger wie auch medizinisches Personal im Bereich Spiritual Care und Palliative Care auszubilden.»
Gewünscht, dass sich auch andere aus dem Fenster lehnen
Cindy Studer weiss, dass sie damit auch provoziert. «Ich brauche und suche Gegenwind durchaus auch.» Weil es Diskussionen auslöst. Weil es etwas in Bewegung bringt. «Ich will damit überhaupt nicht sagen, dass nur das der richtige Weg ist. Ich finde, dass es sowohl auf katholischer wie auch reformierter Seite viele Pfarrerinnen und Pfarrer gibt, die ihre Sache sehr gut machen. Aber ich kann auch sagen, dass ich mir manchmal gewünscht hätte, dass sich auch andere Pfarrpersonen aus dem Fenster lehnen.» Meint sie damit auch ihren seit über zwei Jahren getrennt lebenden Mann und bisherigen Stellenpartner Reto Studer? «Nein, wir haben uns stets gegenseitig unterstützt und uns in all den Jahren bestens ergänzt. Er hat mich ein bisschen gebremst, ich ihn animiert, mehr zu wagen. Einzigartigkeit, Verschiedenheit und Gemeinsamkeit – für mich bis heute ein Erfolgsgeheimnis von Top-Teams.»
2013 kam Cindy Studer ins Kelleramt, zwei Jahre lang übernahm sie Konfirmandenunterricht. «Ich habe mich sofort verliebt», sagt sie. Schon als sie mit dem Bus von Arni her ins Kelleramt fuhr. «Das ist das Paradies.» Verliebt hat sie sich auch in die Pfarrschüür. «Wo findet Kirche sonst in einem ehemaligen Schweinestall statt? Einmalig.» Auch dass ihr Vorgänger Martin Hess sie vorwarnte, dass hier ohne reformierte Kirche als Gebäude alles anders sei, schreckte sie nicht ab. «Im Gegenteil, das passt zu mir. Und auch jetzt, elf Jahre später, kann ich sagen, dass es kein Problem ist, ohne eigentliche Kirche. Schliesslich wuchs das Christentum einst auch dank Wanderpredigern.»
Von sich selbst und von anderen viel erwartet
Cindy Studer bezeichnet sich selbst als Macherin. «Viel lieber als zigmal darüber diskutiert, wie wir dem Mitgliederschwund entgegenwirken wollen, habe ich versucht, mit Projekten etwas dagegen zu machen», erzählt sie. Nicht immer sei das geglückt, «ganz oft aber schon, wenn auch nur im Kleinen. Denn der soziologische Megatrend der Individualisierung lässt sich nicht aufhalten.» Würde sie im Nachhinein etwas anders machen? «Ja», sagt die Pfarrerin. «Es würde bedeutend weniger Ressourcen brauchen, wenn politisch-strategische Vorarbeit und Machergeist sich die Waagschale halten. Aber das bin ich nicht. Mein Naturell ist zu ungeduldig und authentisch. Bei mir wissen die Leute, woran sie sind. Das mag manchmal etwas rumplig wirken. Aber ich scheue mich auch nicht davor, mich zu entschuldigen, weiss um meine Schwächen.» Zudem sei sie ein Mensch, der von sich sehr viel erwarte. «Manchmal habe ich das wohl auch unbewusst auf andere Leute projiziert. Das würde ich nicht mehr so machen.» Da sei sie heute – nach rund 20 Jahren Kirchenerfahrung – einiges gelassener geworden.
Der Abschied als Pfarrerin fällt Cindy Studer nicht leicht. Wobei sie eigentlich gar nicht von Abschied sprechen will. «Schliesslich bleibe ich in Jonen wohnhaft, zum einen, weil hier unsere Tochter zur Schule geht, und zum anderen, weil sich über die Jahre hinweg viele Freundschaften entwickelt haben. Ich sehe viele Menschen also weiterhin und will mich für ihre Anliegen einsetzen.» Cindy Studer betont, dass ihr Abschied von der Reformierten Kirche Kelleramt und ihre beruflichen Zukunftspläne nicht bedeuten, dass sie der Reformierten Kirche den Rücken kehrt. «Im Gegenteil. Die Institution hat mich viel gelehrt und ich bin dankbar für alles. Kurz: Ich setze mich weiterhin für sie ein, einfach in neuen Funktionen.»
Ganz nach dem Motto einer Liedzeile ihres Abschlussgottesdienstes: «Es ist Zeit, zu gehen, wenn es am schönsten ist.»