Jung, wild und ein wenig verrückt
01.09.2023 Ringen, SportRingen, Nationalliga A: Der neue RS-Freiamt-Trainer Michi Bucher vor dem Saisonstart
Die Freiämter haben den jüngsten Trainer der NLA-Geschichte. Der 26-jährige Michi Bucher ist ein richtiger Ringerspinner. Denn er ist nebst dem Cheftrainer der 1. ...
Ringen, Nationalliga A: Der neue RS-Freiamt-Trainer Michi Bucher vor dem Saisonstart
Die Freiämter haben den jüngsten Trainer der NLA-Geschichte. Der 26-jährige Michi Bucher ist ein richtiger Ringerspinner. Denn er ist nebst dem Cheftrainer der 1. Mannschaft auch Nachwuchsboss – und wäre auch als aktiver Ringer einsetzbar.
Stefan Sprenger
Als kleiner Junge leuchten Michi Buchers Augen. Er schaut sich einen NLA-Kampf der Ringerstaffel Freiamt an und ist fasziniert. Diese Sportler, diese Stimmung, dieser Zusammenhalt. «Ich wollte das auch», sagt er. Als Knirps hat er andere Sportarten ausprobiert. «Aber nichts war so geil wie das Ringen.» Er ist für diesen Sport geboren. Er lebt für die Ringerstaffel Freiamt. Und er ist hochtalentiert. Schon mit 15 Jahren kommt er ins NLA-Team. Wenig später bringt er sich als Trainer im Nachwuchs ein (obwohl er selbst noch Junior ist), wird gar Jugendobmann – und feiert in jener Rolle viele Erfolge.
Könnte das junge Alter ein Problem sein?
Nachdem klar geworden war, dass Marcel Leutert auf Ende der letzten Saison sein Traineramt in der 1. Mannschaft ablegt, ging der Verein auf die Suche nach einem Nachfolger. Die Topshots Pascal Strebel (Olympionike, Captain des Teams) und Randy Vock (EM-Bronze, Leistungsträger) sagten ab – hauptsächlich aus familiären Gründen (beide wurden in den letzten Jahren erstmals Vater). Dann wurde Michi Bucher angefragt. «Ich habe mir das gut überlegt», erklärt er. Mit 26 Jahren ist er ein sehr junger Trainer und eigentlich im besten Aktivalter. «Aber diese Aufgabe hat mich sehr gereizt. Auch, dass ich die Nachwuchsleute weiterbegleiten kann», so Bucher.
Er sagte «Ja» und wird am Samstag zum Saisonauftakt auswärts in Einsiedeln erstmals als Cheftrainer der NLA-Mannschaft am Mattenrand sein. Er ist – ohne in den Geschichtsbüchern genauer recherchiert zu haben – der jüngste Trainer der Nationalliga-A-Historie. «Mir ist kein jüngerer Trainer bekannt», meint er. Könnte sein Alter ein Problem sein? «Im Team sicher nicht. Der Respekt ist gross untereinander. Und ich bin ja auch schon seit über 10 Jahren im Team», sagt er. Von aussen ist aber eine gewisse Skepsis zu spüren. Kann dieser Jungspund diese NLA-Truppe als Cheftrainer führen? Bucher hat eine klare Meinung: «Das Alter ist nicht entscheidend. Ich vertraue mir, ich reflektiere mich selbst sehr oft, ich höre auf mein Bauchgefühl, ich frage um Rat bei Leuten, die erfahrener sind, wenn es nötig ist.»
«Ein Jahr lang beide Ämter»
Das Alter ist nicht das Problem. Die Erfahrung wohl auch nicht. Denn er ist zwar erst 26 Jahre jung, doch zählt schon fast zu den alten Hasen. Auf die Frage, ob er vor dem Saisonstart nervös ist, antwortet er lachend: «Ach, da habe ich schon zu viel erlebt in meiner Karriere, als dass ich gross nervös werde.»
Bucher ist nicht nur Trainer des NLA-Teams, sondern auch weiterhin der Chef vom Nachwuchs der Ringerstaffel Freiamt – und auch im Vorstand vertreten. «Ich will nicht, dass der Eindruck entsteht, ich sei ein Ringer-Diktator», sagt er und verweist auf die Wichtigkeit beider Funktionen. «Ein Jahr lang mache ich diese beiden Ämter zusammen, dann schauen wir weiter», so Bucher, der erklärt, dass es auch bei den Ringern immer schwieriger wird, Leute zu finden, die sich ehrenamtlich einbringen möchten. Er tut das, ohne mit der Wimper zu zucken. Und hat sogar finanzielle Einbussen aufgrund seines Trainerjobs.
Sein Antrieb ist die Liebe zum Sport und zum Verein
Er arbeitet auf seinem elterlichen Bauernhof in Merenschwand und ab und an ist der gelernte Elektroinstallateur auch für die Beltech in Muri unterwegs. «Aktuell arbeite ich etwa 50 Prozent», sagt er. Der Rest der Zeit gilt dem Ringsport. Ein Hobby, das für ihn Erfüllung bedeutet. Bucher kriegt für seine Arbeit keinerlei Entschädigung – ausser ein wenig Vorstandsspesen. Und das, obwohl er pro Woche rund 20 Stunden für den Sport opfert. Als Nachwuchsboss, als Cheftrainer, als Ringer, als Mensch. Er erledigt auch viele Dinge, die eher im Verborgenen passieren und dennoch unheimlich wertvoll sind. «Gestern Abend habe ich mit diversen Ringern telefoniert und die unterschiedlichsten Sachen diskutiert. Das dauerte drei Stunden», erzählt er. Wieso tut er das alles? Was ist sein Antrieb? «Es gibt nur einen Grund: aus Liebe zum Sport und zur Ringerstaffel Freiamt.»
Bucher entstammt einer grossen Familie. Acht Kinder. Drei Jungs und fünf Mädchen. Die Jungs sind alle Ringer. Sein (Halb-)Bruder Adi Bucher war vor wenigen Jahren auch Trainer der RS Freiamt. «Ich habe noch eine Familie – und die ist noch grösser», sagt er und meint damit natürlich die Ringerstaffel Freiamt. Und für die Familie tut er alles. Nachwuchs, NLA-Team, Vorstand – und irgendwie ist er immer noch ein aktiver Ringer. «Wenn es hart auf hart kommt während der Saison, würde ich nochmals auf die Matte. Aber nur, wenn es sein muss», sagt er und weiss, dass er körperlich nicht mehr in Topform ist. Bucher, der immer wieder mit gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen hatte (Rücken, Knie, drei Mal Pfeiffersches Drüsenfieber), sagt: «Ich bin sensibel.» Wohl auch, weil er im Alltag oft am Belastungslimit lebt. Aber er braucht das.
Vor ein paar Wochen – am Grenzlandturnier in Kriessern – stellte die RS Freiamt kein Team, doch Bucher streifte sich dennoch das Ringertrikot über. Bei Weinfelden ist ein Ringer ausgefallen und er wurde angefragt. Er trat bei zwei Kämpfen an, siegte zwei Mal und sagt: «Auf der Matte zu stehen, kitzelt immer noch.» Wenn man ihm so zuhört, muss man ihn irgendwann stoppen und die Frage stellen: «Sind Sie verrückt?» Bucher lächelt. «Ja, ringerverrückt. Mir ist das sehr bewusst.»
«Seien wir doch mal ehrlich ...»
Er hört immer auf sein Bauchgefühl. Deswegen würde er sich auch keine Freundin zulegen, nur damit er in einer Beziehung ist. «Wenns passt, dann passts», meint er dazu. Sein Herz schlägt gelb-blau. «Seien wir doch mal ehrlich, das Freiamt ist einfach eine wunderbare Region. Die Menschen hier sind toll, die RS Freiamt einfach richtig geil.» Und dass er in jenem Verein so eine tragende Rolle übernehmen darf, macht ihn stolz. Er will inspirieren, eine treibende Kraft sein, ein Vorbild für Junge.
Michi Bucher zeigt mit seinen Taten, wie sehr ihm dies alles am Herzen liegt. Und er beweist es auch mit Worten. So haut er Sätze raus wie: «Ringen ist Therapie» oder «In mir brennt das Ringerfeuer» oder «Die RS Freiamt ist Familie». Dieser kleine Junge, dessen Augen am Mattenrand vor 20 Jahren leuchteten, ist zu einem riesigen Vorbild herangewachsen und für die RS Freiamt unverzichtbar. Michi Bucher bringt nun selbst die Kinderaugen zum Strahlen. Und das ist doch genau das, was er wollte.
«Wir sind ready, aber ...»
Erster Kampf auswärts in Einsiedeln (Samstag, 20 Uhr)
Neue Saison, alte Vorzeichen. Auch 2023 ist Willisau der Favorit auf den Titel. Dahinter kommen Kriessern und Freiamt. Und dann noch der Rest (Schattdorf, Oberriet-Grabs und Einsiedeln). «Wer den Titel will, muss an Willisau vorbei», so Bucher. Und natürlich ist dies das Ziel der Freiämter. «Ich rede nicht vom Titel», sagt Bucher und fügt an: «Der Fokus liegt jetzt in der Qualifikationsphase, dann im Halbfinal, dann schauen wir weiter», so der Trainer. Es ist aber klar, dass die RS Freiamt – die in den letzten vier Jahren drei Mal knapp im Final an Willisau scheiterte – den Pokal erstmals nach 2014 wieder holen will. «Dieses Team ist fähig, einiges zu erreichen», meint er.
Am Samstag (20 Uhr) startet die RS Freiamt auswärts in Einsiedeln in die neue Meisterschaft. Es ist die letzte Saison von Captain und Olympionike Pascal Strebel. Zu Beginn fehlen Nino und Nils Leutert, die an der WM in Belgrad (16. bis 24. September) dabei sein werden. Dafür steht Magomed Ayskhanov nach seiner einjährigen Sperre wieder bereit. «Das macht uns stärker.» Die Leistungsträger heissen Strebel, Ayskhanov, Christian Zemp, Marc Weber, Randy Vock und die Leutert-Zwillinge.
Ein Neuzugang aus den USA
Vor dem Kampf gegen Einsiedeln meint der Trainer: «In den oberen Gewichtsklassen wird es keine Überraschungen geben, da sind wir stark. In den unteren Gewichtsklassen sind wir unerfahrener. Der Start in den Kampf könnte somit harzig werden, der Sieg sollte aber möglich sein.» Die grössten Talente im Team heissen Saya Brunner und Kimi Käppeli, die der Trainer als «engagiert, akribisch und reif» bezeichnet. Mit River Perlungher (aus Oberwil-Lieli) stösst zudem ein Ringer ins Team, der eine Verstärkung ist. Er stammt ursprünglich aus Zürich, war die letzten Jahre an einem College in den USA, um sich dort dem Ringsport zu widmen. «Wir sind ready», sagt Bucher und fügt ein «Aber» an. Er erklärt, dass man noch enger zusammenrücken muss. «Ich erwarte absoluten Einsatz von jedem. Wir wollen einander mitreissen, motivieren. Es soll eine richtig positive Gruppendynamik entstehen. Das ist noch nicht ganz so, wie ich mir das wünsche.» Dafür haben er und sein Team aber noch die ganze Qualifikationsphase über Zeit, um daran zu arbeiten.
Erster Heimkampf am 9. September
Die Halbfinals starten am 18. November. Der erste Heimkampf ist am Samstag, 9. September (20 Uhr), in Merenschwand gegen Schattdorf. Die zweite Mannschaft mit Trainer Ivan Kron in der 1. Liga startet in Brunnen. Die Gegner heissen SchattdorfII und EinsiedelnII. --spr