«Ich spiel’ Lieder – ihr hört zu»
02.12.2025 MuriLennart Schilgen bietet mit «Verklärungsbedarf» Schabernack vom Feinsten
Seine Berliner Schnauze läuft derart geschmiert, dass das Publikum atemlos an seinen Lippen hängt. Hinter jedem versöhnlichen Ansatz lauert der schwarze Humor, und Happy ...
Lennart Schilgen bietet mit «Verklärungsbedarf» Schabernack vom Feinsten
Seine Berliner Schnauze läuft derart geschmiert, dass das Publikum atemlos an seinen Lippen hängt. Hinter jedem versöhnlichen Ansatz lauert der schwarze Humor, und Happy Ends gibts nicht. Dennoch erobert Lennart Schilgen die Herzen im Nu – auch im Cabarena.
Er singe Lieder vom Schwarzmalen und Schönfärben, erzählt Lennart Schilgen und betrachtet das Publikum dabei hinterhältig unschuldig aus grossen braunen Augen. Von diesem Mann, denkt man spontan, brauchen wir nichts Böses zu erwarten – und man lehnt sich entspannt zurück.
Weit gefehlt! Schilgen ist ein wortakrobatisches und musikalisches Schlitzohr. Kaum sind seine Gäste im erwartungsfrohen Konsummodus, fordert er sie heraus, zwingt sie charmant zum Mitmachen, macht ihnen die Komfortzone streitig. Dabei versprüht er seinen schwarzen Humor mit so viel Geschick, dass einem das Lachen erst mit Verspätung im Hals stecken bleibt. Wenn überhaupt. Schilgen ist der klassische Wolf im Schafspelz.
Was ist Dichtung?
Es sind Alltäglichkeiten, aus denen der 36-Jährige seine kleinen Tragödien zusammenzimmert, die immer unschuldig beginnen, um schliesslich in einem absurden Finale ins fiese Gegenteil zu kippen: wenn er seiner Ex-Freundin einen Besuch abstattet und vor ihrem Fenster Zärtlichkeiten säuselt, bis er sich als übler Stalker entpuppt. Oder wenn er seine Hände in Unschuld wäscht und jede Verwerflichkeit damit rechtfertigt, sie nicht begangen zu haben: «Ich lass es nur geschehen» ist eines jener wunderbar selbstironischen Lieder, die trotz ihrer schweren Kost von betörender Leichtigkeit getragen werden. «Verklärungsbedarf» ist gleichermassen Konzert und Kabarett, Beichtstunde und Protestkundgebung, Liederabend und Lesung. Auf jeden Fall kaum in eine Schublade zu zwängen und gerade deshalb so unterhaltsam. Und es ist nur eines von verschiedenen Projekten, mit denen der mehrfach ausgezeichnete Lennart Schilgen zurzeit auf den Kleinkunstbühnen im deutschsprachigen Raum unterwegs ist. «Ich spiel’ Lieder – ihr hört zu», erklärt er die Regeln des Abends, die er natürlich schon nach Kurzem bricht, um seinen Gedichtband «Gesammelte Werke. Band 1» hervorzuholen und – ganz ohne Musik – eine Kostprobe seiner verwegen komponierten Wort- und Satzgebilde zum Besten zu geben. Die Ankündigung, dass es im Folgenden um Dichtungen gehe, wird auch hier erst verzögert zur Pointe: nämlich dann, als man realisiert, dass es sich um einen vermeintlichen Werbetext für eine Dichtungsfirma handelt.
Armer Reinhard Mey
Der nur schwer einzuordnende Lennart Schilgen hat eine klassische Ausbildung in Klavier, brachte sich selber das Gitarrespielen bei und pendelt heute zwischen allen möglichen Genres der Kleinkunst – und darüber hinaus. Seine Affinität zum Chanson sorgte einst für einen Konflikt mit dem Grandseigneur der Deutschen Liedermacherei. Weil er Reinhard Meys «Ich wollte wie Orpheus singen» rotzfrech umdichtete, erhielt er dicke Post von dessen Anwalt.
Seither gibt Schilgen anstelle von «Orpheus» eine echt köstliche Persiflage auf den Meister zum Besten, wobei er seinem «Vorbild» so verblüffend nahekommt, dass man meint, Reinhard Mey persönlich zu hören. Ob dieser jemals darauf reagiert hat, erzählt Lennart Schilgen nicht. Beim Publikum in Muri sorgte sie aber für viel hämische Heiterkeit. --zg

