«Gespräche anbieten und da sein»
16.05.2025 Mutschellen, BerikonNach Tötungsdelikt in Berikon: Schulpsychologischer Dienst Aargau im Gespräch
Der tragische Todesfall der 15-Jährigen beschäftigt die Menschen. Wenn Erwachsene das alles schon nicht verstehen können, wie geht es dann den Kindern und Jugendlichen ...
Nach Tötungsdelikt in Berikon: Schulpsychologischer Dienst Aargau im Gespräch
Der tragische Todesfall der 15-Jährigen beschäftigt die Menschen. Wenn Erwachsene das alles schon nicht verstehen können, wie geht es dann den Kindern und Jugendlichen damit? Wie bespricht man ein solches Thema am besten mit seinem Nachwuchs? Hilfestellung dazu gibt die Fachpsychologin für Kinder und Jugendliche Simone Bernardoni-Rodig.
Sabrina Salm
Die Betroffenheit, der Schock, die Fragen nach dem Warum sind in der Bevölkerung gross. Antworten bleiben aus. Der Gemeinderat Berikon ist von diesem unfassbaren Ereignis, das sich am vergangenen Sonntag in einem Wald in der Nähe des Schützenhauses ereignet hat, zutiefst erschüttert und betroffen. «Dass sich ein solch tragischer Vorfall ereignen konnte, versetzt uns in tiefe Fassungslosigkeit», schreiben sie in einer Medienmitteilung. «Im Namen des Gemeinderats und der gesamten Beriker Bevölkerung sprechen wir den trauernden Familien, den Angehörigen und Freunden unser aufrichtiges, tief empfundenes Mitgefühl aus.»
Was alles zu lesen ist, wer die Mädchen waren, wie ihr Verhältnis war oder was an diesem Nachmittag geschehen ist, sind alles nur Spekulationen. Bekannt ist nur, dass eine Jugendliche gestorben ist, eine 14-Jährige unter Tatverdacht steht und ein Messer im Spiel war. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft halten sich bedeckt. Die Ermittlungen laufen noch. «Vorläufig werden wir auf Rücksicht des Jugendschutzes keine neuen Informationen geben», sagt Bernhard Graser, Mediensprecher der Kantonspolizei Aargau.
«Eigene Gefühle nicht ungefiltert weitergeben»
Wenn dieser unbegreifliche Fall schon die Erwachsenen belastet, bedrückt und nicht loslässt, wie ist es dann für die Kinder und Jugendlichen? Wie soll man damit umgehen? Wie bespricht man ein solches Thema am besten mit seinen Kindern? Ob nun mit Jugendlichen, die in der gleichen Schule waren, oder auch mit Jüngeren, die in die Primarschule gehen. Es sind Fragen, die sich viele Eltern stellen. «Ab welchem Alter man das Geschehene thematisiert, kommt auf den Entwicklungsstand und die Stärke der Betroffenheit des Kindes an», sagt Simone Bernardoni-Rodig, Fachpsychologin für Kinder und Jugendliche beim Schulpsychologischen Dienst Aargau, und erklärt: «Stellt ein Kind aktiv Fragen, kann schon im Kindergarten altersentsprechend geantwortet werden. Dabei dürfen auch offene Gespräche mit den Kindern entstehen. Was denkt das Kind selbst darüber?» Wenn Kinder sich Sorgen machen, aber nicht darüber sprechen möchten, können ihnen die Bezugspersonen signalisieren, dass sie jederzeit kommen können, sie da sind für das Kind und die Gefühle. Wichtig sei, die konkreten Fragen der Kinder zu beantworten und auf ihre Gefühle einzugehen. Wenn Eltern auf eine Frage keine Antwort haben, können sie dies ruhig zugeben, sagt Simone Bernardoni-Rodig. «Es ist normal, nicht alles erklären zu können.»
Bezugspersonen sollten ihre eigenen Gefühle aber nicht ungefiltert an die Kinder weitergeben und sich bei Bedarf Unterstützung bei anderen Erwachsenen holen. «Die Kinder sollen spüren, dass sie und ihre Gefühle ernst genommen werden und sich die Erwachsenen Zeit für die Themen nehmen.» Das gelte grundsätzlich auch für Jugendliche. «Bei ihnen werden Gleichaltrige jedoch immer wichtiger bei der Verarbeitung und dem Austausch.»
Einordnung der Informationen ist schwierig
Gerüchte, wie über das Opfer und Verdächtige oder den Tathergang, entstehen schnell. Gestreut von Sozialen Medien oder «vom Hörensagen» und von den Medien. «Heutzutage gibt es mehr Möglichkeiten der Kommunikation und damit mehr Wege, wie die Informationen zu den Kindern und Jugendlichen gelangen und wie sie damit konfrontiert werden.» Das Einordnen dieser Infos sei schwierig. «Bezugspersonen sind in solchen Situationen Vorbilder: Streuen sie selbst Gerüchte oder bleiben sie bei den Infos, welche bekannt gemacht werden? Wo informieren sie sich? Wie ordnen sie unterschiedliche Infos ein? Eltern sollten den Medienkonsum ihrer Kinder altersentsprechend begleiten», so die Psychologin. In diesem Fall umso mehr.
Eltern können sich bei Fragen und Anliegen in Zusammenhang mit ihrem Kind an den Schulpsychologischen Dienst oder andere Beratungsstellen wie zum Beispiel Erziehungs- und Familienberatungsstellen in ihrer Region wenden. «Hilfe und Unterstützung holen ist nicht verkehrt.»
Von belastenden Ereignissen betroffene Schulen können beim Care-Team und ebenfalls beim schulpsychologischen Dienst Unterstützung beziehen.»
Kinder und Jugendliche mit ihren Emotionen begleiten
Auch die Primarschule Rudolfstetten hat das tragische Ereignis thematisiert. Sowohl das 15-jährige Opfer als auch die 14-jährige Tatverdächtige stammen aus dem Dorf. «Die Lehrpersonen haben Handlungsleitfäden und Vorgaben zur Kommunikation erhalten, welche mit den verantwortlichen Fachstellen rückbesprochen sind», so Co-Schulleiter Simon Zehnder. Auf dem Pausenplatz haben sie ein kleines Bäumchen hingestellt, um eine Möglichkeit zum Trauern zu geben. «Die Bedürfnisse variieren von Kind zu Kind sehr stark und heben sich auch von jenen der Eltern ab.» Wie Zehnder versichert, versucht die Schule dieser hohen Individualität bestmöglich gerecht zu werden.
Die Kreisschule Mutschellen hat drei Care-Teams aus den Kantonen Aargau und Zürich zur Unterstützung in Anspruch genommen. Die ersten Tage waren Teams vor Ort. Nun kümmert sich die Schulsozialarbeit um die Schülerinnen und Schüler. Insbesondere um die beiden Klassen, in welche die Mädchen gingen, wie Patrick Stangl, Mitglied des Schulvorstands erzählt. «Trotz der schweren Krisensituation und des Trauerprozesses funktioniert der Schulbetrieb jedoch», so Stangl.
Die Rückkehr zum «normalen» Alltag für die Schülerinnen und Schüler sei auch gut, sagt Simone Bernardoni-Rodig. «Die einen wollen so schnell wie möglich Ablenkung und einen regulären Schulbetrieb. Für andere braucht es mehr Gespräche, kleine Rituale oder Ähnliches. Wichtig ist einfach, dass die Jugendlichen und auch die Kinder mit ihren Emotionen begleitet werden. Jeder findet in seinem eigenen Tempo in den Alltag zurück.»
Bei fachlichen oder persönlichen Anliegen kann man sich an den Schulpsychologischen Dienst Aargau unter, 062 835 40 60, wenden. Dieser kann beispielsweise bei Fragen rund um den Umgang mit den Kindern beraten.
Um Informationen bedrängt
Wie Simon Zehnder erzählt, hätten in dieser Woche verschiedene Reporter auf dem Schulareal Kontakt zu den Kindern gesucht oder sie auf dem Schulweg abgefangen, um Aussagen von diesen für die Berichterstattung zu verwenden. «Das Vorgehen gewisser Reporter ist unterirdisch», sagt der Co-Schulleiter der Primarschule Rudolfstetten. «Einige Kinder wurden per Tik Tok kontaktiert und dazu aufgefordert, mit dem Journalisten zu telefonieren und Informationen zu den betroffenen Kindern zu erzählen.» Simon Zehnder macht deutlich: «Als Schule verurteilen wir dieses Vorgehen zutiefst.» Die Schulleitung hat der Presse für das Schulareal ein Hausverbot erteilt und sich bei verschiedenen Zeitungen über deren Vorgehen beschwert. --sab