Felix Bingesser, ehemaliger Sportchef beim «Blick», wohnt in Waltenschwil.
Der Mensch in der Not
Als Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg London bombardiert, ist die Absicht klar. Den ...
Felix Bingesser, ehemaliger Sportchef beim «Blick», wohnt in Waltenschwil.
Der Mensch in der Not
Als Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg London bombardiert, ist die Absicht klar. Den Willen der Engländer brechen, die Moral in der Bevölkerung zerstören, das Land schwächen und zur Kapitulation zwingen. «Das Volk wird unter dem Terror der Bomben einknicken. Die Stadt wir in ein totales Chaos abrutschen, das Militär wird damit beschäftigt sein, die hysterischen Massen zu kontrollieren», sagt ein britischer General.
Eingetreten ist genau das Gegenteil, wie das im Buch «Im Grunde gut» von Rutger Bregman eindrücklich beschrieben ist. 80 000 Bomben gehen über London nieder. Aber die Engländer fliehen nicht und verlieren nicht den Kopf. Sie rücken zusammen, jeder hilft jedem. Und einige behalten auch in diesen furchtbaren Monaten den schwarzen Humor. Ein Pubbesitzer stellt ein Schild an den Eingang. «Unsere Fenster sind weg. Aber unser Geist ist nicht gebrochen. Kommen Sie herein und überzeugen Sie sich.»
Das Buch von Bregman stellt die These auf, dass der Mensch im Grunde ein gutes Wesen ist. Dass sich das Gute aber vor allem in der Krise zeigt. Je schlimmer die Zeiten sind, je schlechter es den Leuten geht, desto enger rücken sie zusammen. Das wenige, was man hat, wird geteilt. Der Gemeinsinn wächst, die Widerstandskraft auch.
Natürlich, die Entbehrungen und Leiden eines Krieges können wir nicht ansatzweise nachvollziehen. Aber trotzdem kann man feststellen, dass die Zeiten auch hierzulande schon besser waren. In unserem reichen Land sind bald eine Million Menschen armutsbetroffen. Auch solche, die jeden Morgen zur Arbeit fahren.
Trotzdem ist von Solidarität wenig zu spüren. Im Gegenteil, der Ton ist härter geworden, die Wortwahl deftiger, die Kluft zwischen den politischen Polen wird selbst auf lokaler Ebene immer grösser. Es wird gezankt und gestänkert. Dabei müssten wir doch zusammenrücken.
Mehr Solidarität, vielleicht etwas mehr Gemeinsinn, Nachsicht, Toleranz. Das würde doch guttun.
Aber es bleibt ein frommer Wunsch. Dafür geht es uns immer noch viel zu gut.
Auch in London ist von der Solidarität nicht viel übrig geblieben.