Galionsfigur für Polit-Frauen
28.03.2025 Kelleramt, OberlunkhofenPionierin im Nationalrat
Ursula Mauch feiert den 90. Geburtstag
Sie vertrat das Freiamt ab 1973 im Grossen Rat und von 1980 bis 1995 als einzige Aargauerin im Nationalrat. Dies zu einer Zeit, in der das Stimmund Wahlrecht für Frauen noch jung und ...
Pionierin im Nationalrat
Ursula Mauch feiert den 90. Geburtstag
Sie vertrat das Freiamt ab 1973 im Grossen Rat und von 1980 bis 1995 als einzige Aargauerin im Nationalrat. Dies zu einer Zeit, in der das Stimmund Wahlrecht für Frauen noch jung und geschlechtsspezifische Vorurteile weitverbreitet waren. Morgen Samstag darf Ursula Mauch ihren 90. Geburtstag feiern.
Im Gespräch beweist sie, dass sie das politische Geschehen nach wie vor genau verfolgt. Und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Europa und sogar in den USA, wo sie sechs Jahre gelebt hat, ehe sie in Oberlunkhofen Wurzeln schlug. --tst
Ursula Mauch, Grande Dame der nationalen Politik aus Oberlunkhofen, feiert den 90. Geburtstag
Sie hat sich schon in den 70er-Jahren gegen die Atomkraft starkgemacht – und als Türöffnerin für Aargauer Politikerinnen. Morgen Samstag startet sie ins neunte Lebensjahrzehnt – und verfolgt das politische Geschehen nach wie vor.
Thomas Stöckli
Beim Besuch des Journalisten liegt auf dem Stubentisch – halb verdeckt durch andere Papiere – der 700-Seiten-Wälzer «Freiheit», die im Herbst erschienenen politischen Memoiren der deutschen Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel. Grosse Literatur sei das zwar nicht, sagt Ursula Mauch, darauf angesprochen. Aber doch spannend: «Insbesondere, wie die DDR-Frau den politischen Weg in den Westen gefunden hat», beschreibt die Kellerämterin, die auch schon verschiedene Bücher von Joachim Gauck gelesen hat. Dieser, ein früherer DDR-Bürgerrechtler, wurde 2012 als erster Ostdeutscher zum Staatsoberhaupt des vereinigten Deutschland gewählt.
USA-Erinnerungen getrübt
Mit Merkel verbinde sie eigentlich nichts, winkt Ursula Mauch auf die entsprechende Frage ab. Ausser natürlich die grosse Leidenschaft für die Politik. Als erste Aargauerin überhaupt schaffte die Kellerämterin 1979 die Wahl in den Nationalrat. Und sie sollte auch 16 Jahre lang die einzige bleiben, bis 1995 mit Christine Egerszegi, Doris Stump und Agnes Weber weitere Frauen aus dem Kanton nachzogen. «Die Session in Bern verfolge ich immer noch», sagt sie, die am 29. März den 90. Geburtstag feiern wird. Wobei: richtig gefeiert wird erst im Juni. Dann steht eine Zusammenkunft mit der ganzen Familie im Restaurant Fahr in Künten auf dem Programm. «Mein Enkel arbeitet dort als Koch», verrät sie.
Noch intensiver als nach Bern schaut die Polit-Pionierin derzeit in die USA. «Was da abgeht, da stehen mir die Haare zu Berge», sagt sie, die sechs Jahre in den Staaten gelebt hat, bevor sie 1964 nach Oberlunkhofen zog. Als Beispiel nennt sie Errungenschaften der Gleichberechtigung, die nun in kürzester Zeit zunichtegemacht werden. Wobei sie der desolaten Situation um Trump und Musk zumindest etwas Positives abgewinnen kann: «In Europa setzt sich der Gedanke durch, dass wir auch eine Macht sein könnten, wenn wir denn zusammenarbeiten würden.» Ein Grund zur Hoffnung? «Es bleibt uns ja nichts anderes übrig», sagt Ursula Mauch. Dabei baut sie auf den neu gewählten Bundesrat Martin Pfister. Nämlich, dass er Schwung in die Europa-Diskussion bringen möge.
Kampf um Gehör und Respekt
Vor ihrem Einzug in den Nationalrat hat sie das Kelleramt von 1974 bis 1980 im Grossrat vertreten. Dem Kanton, der Region und ihrem Wohnort Oberlunkhofen fühlt sie sich nach wie vor verbunden. «Wenn ich hinausschaue, denke ich immer wieder, dass wir es hier doch wunderschön haben», sagt sie und lobt den positiven Umgang: «Wir gehen uns nicht an die Gurgel.» Schon zu ihrer Zeit habe es heftige Auseinandersetzungen gegeben, blickt sie zurück. Wobei sie feststellt, dass man zunehmend lauter werden müsse, um Beachtung zu bekommen. Eine Ursache dafür ortet sie bei den Neuen Medien: «Da bekommt vieles Aufmerksamkeit, was diese nicht verdient hätte», rügt sie. Dafür schaffe es manch relevantes Thema kaum noch in die öffentliche Wahrnehmung.
Von ihrer Wahl in den Nationalrat 1979 bis zu ihrem Rücktritt 1995 hat sich Ursula Mauch vor allem für Umwelt- und Bildungsthemen sowie europapolitische Anliegen eingesetzt. Sie galt parteiübergreifend als kompetente, gradlinige und konsensfähige Politikerin. Und als Galionsfigur für Frauen in der Politik. Dies zu einer Zeit, in der es fest in den Köpfen verankert war, dass nur Männer das «Politik-Gen» in sich tragen. Als Frauen noch schräg angeschaut wurden, wenn sie eine Grafik nur schon interpretieren, geschweige denn selber erstellen konnten, wie das für die Technikum-Absolventin keine grosse Sache war.
Beitrag zur Energiewende
Gefragt nach einem Schlüsselmoment in der Energie- und Umweltpolitik der letzten 30 Jahre, nennt die Kellerämterin den Bundesratsbeschluss zum Atomausstieg im Jahr 2011. Eigentlich seien es die Bundesrätinnen gewesen, präzisiert sie, indem sie die weibliche Form verwendet. Mit der Wahl von Simonetta Sommaruga 2010 stellten die Frauen damals die Mehrheit in der nationalen Exekutive. «Für mich war das ein wesentlicher Akt», blickt Mauch zurück.
Doch wie kann die Energiewende auch tatsächlich gelingen? «Dazu braucht es viel Überzeugung», sagt die Jubilarin. Positiv stimmt sie, wenn sie sich in ihrem Wohnquartier Waldegg in Oberlunkhofen umsieht: «Da haben schon mehrere Häuser eine Photovoltaikanlage auf dem Dach», freut sie sich. «Wenn die Leute merken, dass sie selbst etwas tun können, scheint mir das Wichtigste angekommen zu sein.» Dagegen bekundet sie Mühe mit dem «Gstürm» gegen die Nutzung der Windenergie auf dem Lindenberg: «Da habe ich wenig bis gar kein Verständnis.»
Selber gehen Mauchs mit gutem Beispiel voran. Auf dem eigenen Einfamilienhaus liefert eine Solaranlage mit 10 kWp Leistung Sonnenstrom, insbesondere für den Betrieb der Wärmepumpe. Vor rund fünf Jahren haben sie die Anlage installiert, verrät sie nach Rückfrage an ihren Mann Samuel Mauch. Damals haben sie bei ihrem Haus aus den 1960er-Jahren das Dach saniert und besser isoliert. Beim Besuch dieser Zeitung führt sie flotten Schritts die Treppe hoch zum Dachfenster, von wo die Anlage zu sehen ist. Ausserordentlich flott. «Ich turne jeden Morgen etwas», verrät sie auf Nachfrage. Und zudem gehe es ihr gut, innerhalb der Familie, nennt sie einen weiteren Grund für ihre geistige und körperliche Fitness.
Politisches Erbe
Wer heute den Namen Mauch hört, dürfte zuerst an die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch denken. Ursula Mauch verhehlt nicht, dass sie stolz ist auf ihre Tochter: «Sie hat es geschafft, im Stadtrat für eine gute Atmosphäre zu sorgen», lobt sie. So sei es ihr gelungen, alle einzubinden, trotz unterschiedlicher Ansichten, «und das ist in solch einer Behörde sehr wichtig». Im kommenden Jahr wird die berühmte Tochter nicht mehr antreten. Welche Tipps kann ihr die Mutter mit auf den Weg in die Zeit nach dem politischen Mandat geben? «Ihr wird sicher viel einfallen», winkt Ursula Mauch ab. Sie habe x-mal erlebt, wie Politikerinnen und Politiker abgewählt wurden oder ausgestiegen sind. «Ich hatte immer den Eindruck, dass Frauen dies viel besser verkraften als Männer», beschreibt sie, «Männer hängen danach in der Luft.» Wie war es denn, als sie selbst zum letzten Mal als Nationalrätin aus dem Bundeshaus kam? «Da wusste ich: Das wars», sagt sie – und wird erst auf Nachfrage konkreter: Emotional sei es schon gewesen. «Wenn man als Mitglied des Nationalrats in Bern ist, dann ist man jemand. Jetzt kann ich nicht mehr einfach ins Bundeshaus reinlaufen und mich in den Sälen frei bewegen.»
Und hat sich das Politik-Gen auch auf die übernächste Generation übertragen? «Bis jetzt noch kaum», winkt Ursula Mauch ab. Die ältesten Enkel sind gut 30, eine Anwältin und ein Mathematiklehrer, die jüngeren noch in der Ausbildung. «Wenn es um Politik geht, wissen sie oft gar nicht, von was ich rede», bedauert die Grossmutter.
Gutes Verhältnis zur EU finden
Doch nun steht erst mal der 90. Geburtstag an. Was wünscht sich Ursula Mauch zu diesem besonderen Tag? «Dass die Schweiz ein gutes Verhältnis mit der EU findet und das vertraglich regelt», sagt sie. «Wir müssen uns bewusst sein, dass es dazu Kompromisse braucht, die Bereitschaft, andere Haltungen zu akzeptieren und zu schätzen.»
Dazu gehöre, sich intensiver mit der Schweizer Geschichte zu befassen: «Wenn es 1815 Europa nicht gegeben hätte, gäbe es auch die Schweiz nicht», ruft sie den Wiener Kongress in Erinnerung, an dem die inneren und äusseren Grenzen der Eidgenossenschaft neu bestimmt und erstmals international anerkannt wurden. «Und dass es den Kanton Aargau gibt, dafür ist Napoleon verantwortlich», sagt sie, wohl wissend, dass die meisten das nicht hören wollen.