«Er war in ganz Europa unterwegs»
13.06.2025 Film, WohlenErfolgreich nur in der Ferne
Der Film «Eine Fabrik in Katalonien» zeigt das Leben von Unternehmer Cäsar Dubler aus Wohlen
Er ist ausgewandert, um in Barcelona als Unternehmer erfolgreich zu sein – der Wohler Cäsar ...
Erfolgreich nur in der Ferne
Der Film «Eine Fabrik in Katalonien» zeigt das Leben von Unternehmer Cäsar Dubler aus Wohlen
Er ist ausgewandert, um in Barcelona als Unternehmer erfolgreich zu sein – der Wohler Cäsar Dubler. Filmemacherin Helena Dali nahm seine Spur auf.
Daniel Marti
In Wohlen ist er praktisch vergessen gegangen. Irgendwie nicht nachvollziehbar. Denn in Barcelona war Cäsar Dubler ein erfolgreicher Unternehmer. Mit zeitweise bis zu 1000 Mitarbeitenden. 1888 in Wohlen geboren, als 20-Jähriger ausgewandert, zwischenzeitlich zurückgekehrt, aber Spanien wurde seine Heimat. Trotz Diktatur. Vor allem in Barcelona hat sein Name eine gewisse Präsenz. Helena Dali verfilmt das ereignisreiche Leben von Dubler, samt Erfolgen, Misserfolgen und Vermächtnis. «Er war in erster Linie ein Unternehmer, gut vernetzt. Ein ruheloser Geist», so Dali über die Hauptfigur. Wohl aus der Verantwortung heraus habe er versucht, «seinen Besitzstand zu wahren und die Familienexistenz zu sichern», sagt Dali im grossen Interview.
Helena Dali geniesst den Vorteil einer familiären Verbindung. Cäsar Dubler war der Vater ihrer Schwiegermutter. «Aber Dublers Leben verläuft entlang der grossen Geschichte», sagt sie. «Erster Weltkrieg, Russische Revolution, Weltwirtschaftskrise, Revolution und Bürgerkrieg, Zweiter Weltkrieg.» Diese Epoche erlebte Cäsar Dubler. «Wie überlebt man als Unternehmer in solchen Zeiten?», fragt die Filmemacherin. Sie suchte Antworten. Nicht alles liess sich ganz klären, wie auch Dublers zwischenzeitliche Rückkehr nach Wohlen. Die Vorpremiere soll in Wohlen stattfinden.
Interview mit Helena Dali: Sie realisiert den Film «Eine Fabrik in Katalonien» über den Wohler Unternehmer Cäsar Dubler
Cäsar Dubler ist als 20-Jähriger im Jahr 1908 von Wohlen aus nach Spanien ausgewandert. Er lebte das pralle Leben, gründete in Barcelona ein Unternehmen, feierte den Aufstieg und verkraftete den Niedergang. Helena Dali hat seine Spur aufgenommen und realisiert zurzeit den Film «Eine Fabrik in Katalonien». Cäsar Dubler war «ein ruheloser Geist», sagt sie.
Daniel Marti
Wie sind Sie überhaupt auf die Person Cäsar Dubler gestossen?
Helena Dali: Cäsar Dubler war der Vater meiner Schwiegermutter. Allerdings hat meine Schwiegermutter zu Lebzeiten wenig über ihn erzählt. Es hiess immer, er habe eine Fabrik gehabt. Das Interesse entstand also gerade wegen der Lücken in der Familienerzählung.
Was fasziniert Sie an dieser Person, dass Sie gleich einen Dokumentarfilm realisieren?
Cäsar Dubler verkörpert die Figur eines Abenteurers. Er war ein erfolgreicher Auswanderer. Wenn jemand auswandert, muss es einen Beweggrund geben und ein Ziel, also da habe ich Grundzüge einer Heldenreise erkannt. Dublers Auszug aus Wohlen in die Fremde, sein Aufstieg, die Tiefpunkte und Bewährungsproben. Und dies alles filmisch umzusetzen, ergab sich aus dem Zugang zum Fotonachlass, den mein Partner Gregor Binkert von seiner Mutter geerbt hat.
Ihre Schwiegermutter Margrith Binkert-Dubler (1926–2018) ist die älteste Tochter von Cäsar Dubler und letzte Zeitzeugin. Wie viel hat sie beigetragen zu Ihrem Filmprojekt?
Meine Schwiegermutter verstarb, bevor ich die Idee zum Film hatte. Indirekt war sie natürlich der Auslöser für mein Interesse, denn kurz vor ihrem Tod hatte ich sie einmal gefragt, ob sie denn nicht wolle, dass man die Geschichte ihres Vaters aufarbeite. Sie meinte, das interessiere doch niemanden mehr. Bei einer früheren Gelegenheit – das war 1994, als die Rehabilitierung der Spanienkämpfer öffentlich diskutiert wurde –, da hatte meine Schwiegermutter heftig reagiert. Es sei eine Verherrlichung von Mördern. Irgendetwas war da unverarbeitet, aber ich habe dann nicht nachgebohrt, aus Rücksicht.
Vor etwas mehr als einem Jahr haben Sie mit einem Filmteam Wohlen besucht. Was davon hat Ihnen speziell imponiert?
Ich wohne in der Gemeinde Wohlen bei Bern, da haben wir die typischen ländlichen Strukturen – Weiler, Bauernhöfe, grosse landwirtschaftliche Gebiete. In Wohlen Aargau ist es anders: Da dominieren die grossen Gewerbeviertel, historische Industriebauten, der Glanz einer ruhmvollen Vergangenheit. Und dieses Industrieerbe wird gepflegt und erhalten, man ist stolz darauf. Industriebauten sind für mich faszinierend, aber auch zwiespältig: Sie lösen bei mir etwas zwischen Bewunderung und Missbehagen aus.
Lokalhistoriker Daniel Güntert hat Sie und das Filmteam mitgenommen zu Orten, wo die Dublers einst gewirkt haben. Welche werden es effektiv in den Dokumentarfilm schaffen?
Der Geburtsort, da, wo heute das Gemeindehaus steht, die Fassaden der Industriegebäude und Fabrikantenvillen, die sein Aufwachsen geprägt haben, die familiären Verflechtungen und Zerwürfnisse, der Glanz eines Verwaltungsgebäudes wie von Georges Meyer. Daran sieht man, dass die Messlatte für Erfolg hoch lag. Es hätte noch viele Nebenstränge gegeben – die Geschichten zur Arbeiterbewegung beispielsweise –, aber letztlich ist genau so viel eingeflossen, wie für die Erzählung notwendig war. Es sollte ja keinen Film über Wohlen geben. Das wäre dann ein anderes Projekt.
Haben Sie herausgefunden, warum man in Wohlen so wenig von Cäsar Dubler weiss?
Nein, nicht wirklich. Aber das ist ein Element, das in der filmischen Erzählung für Spannung sorgt. Ein Teil der Dubler-Stämme ist ja auch weggezogen, zum Beispiel nach Luzern oder ins Ausland.
Als in Spanien der Bürgerkrieg ausgebrochen ist, kehrte er zwischenzeitlich nach Wohlen zurück. Was haben Sie über diese Rückkehr herausgefunden?
Da gibt es mehr Lücken als Gewissheit. Die Briefe der ersten Monate im Exil sind mit «Wohlen» signiert. Er muss sich also zwischenzeitlich in Wohlen aufgehalten haben, wohl bei seiner Schwester Melanie Pfister-Dubler, «Nini». Allerdings ist über das Exil wenig überliefert worden, die Erzählungen der Enkel beruhen auf unsicheren Fakten. Sicher ist, dass Dubler inklusive Frau und Kindern früh in die von den Nationalisten kontrollierten Gebiete im Baskenland zurückkehrte.
War er mehr Spanier, Schweizer oder Wohler, Einwohner von Barcelona oder ein Weltmann?
Er war in erster Linie ein Unternehmer, gut vernetzt, der in ganz Europa unterwegs war. Ein ruheloser Geist, wohl aus der Verantwortung heraus, den Betrieb am Leben zu erhalten, seinen Besitzstand zu wahren, die Familienexistenz zu sichern. Sein Lebensmittelpunkt lag bei seinen Unternehmungen.
Sie sind an den Wirkungsort von Cäsar Dubler in Barcelona gereist. Wie stark ist er dort noch präsent?
Der Film zeigt die Spuren von Dublers Wirken in der Stadt und der Provinz Barcelona – so viel, wie heute noch davon sichtbar ist, im öffentlichen Raum, im Museum von Sant Boi de Llobregat. Aber ich möchte jetzt nicht vorgreifen und alles preisgeben.
Die Fabriken von Cäsar Dubler stehen lange nicht mehr. Was haben Sie dort vorgefunden?
Im Film wird an die Ergebnisse der Suche herangeführt, denn alles, was einmal war, hinterlässt irgendwie Spuren. Mehr möchte ich nicht verraten.
Dubler hatte einst eine Belegschaft von 1000 Mitarbeitenden. Gibt es spezielle Überlieferungen oder besondere Storys?
Zur Belegschaft unter Dubler Vater ist nicht viel bekannt, ausser dass viele Frauen beschäftigt waren. Und dass er nach dem Bürgerkrieg Leute aus unterschiedlichen ideologischen Lagern beschäftigt hat, auch ehemalige linksrevolutionäre Kräfte oder die Tochter eines Nazis … Es gibt auch eine Personalakte im Archiv von Sant Boi, die interessant ist: Der letzte von Franco unter massiven Protesten der Weltöffentlichkeit hingerichtete «Terrorist», Salvador Puig Antich, war scheinbar auch mal Angestellter in Dublers Betrieben. Über diese Figur gibt es ja auch einen Spielfilm mit Daniel Brühl in der Hauptrolle, «Salvador – Kampf um die Freiheit». Aber zurück zu Dubler: Der bewegte sich politisch halt zwischen den Fronten, hat sich dem Wind angepasst. So, wie Unternehmer es in der amerikanischen Politik machen, man spendet für die Demokraten und die Republikaner gleichzeitig.
Das Regime von Diktator Franco und Cäsar Dubler, gibt es Parallelen, Nähe, war die Diktatur für ihn Glück oder Pech?
Dublers Leben verläuft entlang der grossen Geschichte: Erster Weltkrieg, Russische Revolution, Weltwirtschaftskrise, Revolution, Bürgerkrieg, Zweiter Weltkrieg … Wie überlebt man als Unternehmer in solchen Zeiten? Auch in Diktaturen gibt es sachpolitische Tatsachen, die sich auf Industrie, Handel und Gewerbe in vielerlei Hinsicht auswirken können – positiv wie negativ. So war es unter der Diktatur von Primo de Rivera, in den 1920er-Jahren, und danach auch unter der Franco-Diktatur. Dass sich der Unternehmer Dubler in Zeiten von Aufständen und Unsicherheit nach Ruhe und Ordnung sehnte, ist nachvollziehbar. Aber ja, die Frage nach der Unternehmensethik stellt sich in diesem Falle sicher, allerdings ist die Antwort darauf nicht einfach. Unter Franco wurde es für Handel und Industrie schwierig wegen der Sanktionen; der internationale Zahlungsverkehr und die Devisengesetzgebung, all das war kompliziert.
Alle seine Kinder sind in die Schweiz zurückgekehrt. Warum eigentlich?
Der Jüngste, Eduardo, ist nach Australien ausgewandert, war aber oft in der Schweiz. Die enge Bindung zur Schweiz ergab sich durch Heirat und Ausbildung in der Schweiz. Alle sind zumindest bis in die 70er-Jahre oft in Spanien gewesen. Daran können sich die Enkel noch erinnern. Mit Spanien gibt es noch eine Verbindung in Form eines Sommerhauses an der Costa Brava.
Sie sind Autorin, Regisseurin, Produzentin. Wie viel opfern Sie für diesen Dokumentarfilm?
Es braucht viel Durchhaltevermögen. Aber ich mache das mit viel Lust, opfern tue ich nichts, ausser einem Teil meiner Ersparnisse. Und ich verzichte auf die Möglichkeit, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Aber ab und zu mache ich wieder Stellvertretungen an der Volksschule im Kanton Bern. Vom Filmemachen allein können die wenigsten leben.
Die Finanzen. Wie ist die Unterstützung und wie hoch ist das Gesamtbudget?
Mein Film fällt in die Kategorie Low-Budget-Filme, also weit unter der halben Million, die in der Schweiz gang und gäbe ist für einen Kinodokumentarfilm. 80 Prozent finanziere ich mit Eigenmitteln und Eigenleistungen, den Rest über Beiträge vom Kanton Bern, von Gemeinden, Stiftungen und privaten Beiträgen. Leider ist aufgrund der Förderkriterien keine Unterstützung durch den Kanton Aargau, also das Kuratorium, möglich. Im Moment ist die Fertigstellung gesichert, aber es kommen noch Kosten für Übersetzung und Auswertung an Festivals dazu. Ich überlege mir noch ein Crowdfunding. Auf der Einnahmenseite ist vielleicht eine TV-Auswertung möglich, aber zurzeit gibt es noch keine Vereinbarung. Dann gibt es mögliche Einnahmen von den Vorführungen, aber auch die Kinosäle und Filmklubs sind auf Fördergelder angewiesen. Solche Filme wie meiner sind keine Strassenfeger, sie tragen aber zur Vielfalt des kulturellen Angebots bei.
Welches ist Ihr persönliches Hauptziel für diesen Film?
Ich möchte, dass der Film in der Region und schweizweit gezeigt werden kann. Zwar ist der historische Kontext etwas kompliziert – nicht mal Hemingway oder Orwell konnten den Spanischen Bürgerkrieg restlos erklären, geschweige denn die politischen Verhältnisse in Spanien davor und danach –, aber es geht ja um die Themen, die immer noch relevant sind: die Rolle der Schweiz, die Vergangenheit, die nicht vergeht, der Status von Katalonien. Und ich hoffe, dass ich den Film auch an internationalen Festivals unterbringen kann.
Sie möchten mit dem Film verschiedene Fragen in den Fokus rücken. Eine davon lautet: Warum gibt es späte Anerkennung für Dublers Wirken in Katalonien, nicht aber in der Familie? Wie lautet Ihre Antwort darauf?
Ich habe keine genaue Antwort, es waren die Umstände, also eine Mischung von Bescheidenheit über die Herkunft, aber besonders, wie Erlebtes verarbeitet wurde. Aber vielleicht ist es auch eine kulturelle Frage. Es hat zu tun mit dem Stellenwert der mündlichen Überlieferungen in der Familie, die Höherwertung von Fakten auf Kosten einer lebendigen lebensgeschichtlichen Erzähltradition. In Katalonien selbst ist die Erinnerungskultur im Alltag spürbarer und auf der Ebene der Institutionen präsenter.
Die Vorpremiere des Films wird in Wohlen sein, im Herbst. Gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Filmklub Wohlen?
Der Filmklub Wohlen ist an einer Zusammenarbeit interessiert, in welchem Rahmen, wissen wir noch nicht genau. Eine Vorpremiere wird ausserhalb des jährlichen Filmzyklus stattfinden.
Was geschieht noch alles, bis der Film gezeigt werden kann?
Sounddesign, Farbkorrektur, Tonmischung, Übersetzung und Untertitel anlegen, die Rechte am Film sichern, den Film bei Festivals anmelden. Die Arbeit geht mir nicht aus.
Der Film
Der Dokumentarfilm «Eine Fabrik in Katalonien» sieht Cäsar Dubler aus Wohlen und sein Wirken in der Hauptrolle. Er ist 1888 in Wohlen geboren, 1908 ausgewandert und im Jahr 1948 in Barcelona gestorben. Der Film beleuchtet etliche Lebensabschnitte: Auswanderung und Unternehmensgründung in Barcelona, Familie, Revolution, Flucht, Enteignung, Bürgerkrieg und Franco-Spanien. Sein Handlungsmotiv war klar: Wiederherstellung der verlorenen Familienehre und Wohlstand. Dubler gründete 1910 die erste Firma und baute 1917 bis 1919 seine Textilfabrik südlich von Barcelona, die «Can Dubler».
Die Autorin will dem Vergessen entgegenwirken. Sie begibt sich auf Spurensuche an Originalschauplätzen, in Archiven und im Museum von Sant Boi de Llobregat, wo eine Ausstellung zur Bedeutung der «Can Dubler» entsteht. --dm
Persönlich
Helena Dali ist Filmemacherin, Autorin, Regisseurin, Produzentin von «Eine Fabrik in Katalonien». Sie wohnt in Wohlen bei Bern. «Ich glaube, in meinem Temperament verbinden sich die Kreativität der Literatur und die Nüchternheit der sozialwissenschaftlichen Denkweise», sagt sie über sich selbst.
Studium der Iberoromanistik und Erziehungswissenschaften an den Universitäten Fribourg, Granada, Lissabon. Anfängliche Tätigkeit als Lektorin für Portugiesisch und als Gymnasiallehrperson, danach fast 20 Jahre lang in der internationalen Zusammenarbeit, meistens im Bildungssektor, in Afrika, den USA und in Südostasien tätig. – «Eine Fabrik in Katalonien» ist ihr erster Dokumentarfilm, ein zweiter ist in Planung. Zudem arbeitet sie auf eine Ausstellung hin zum Thema «Reisen in Spanien, damals» mit Fotos aus dem Nachlass Dubler. --dm