Ein Treffpunkt verschwindet
15.09.2023 Oberlunkhofen, KelleramtDas Restaurant Central geht per Ende September zu
Erst im Sommer 2021 hat der 63-jährige Fredi Seedorf das Restaurant Central im Herzen von Oberlunkhofen übernommen. Nun muss er es schliessen. Grund dafür sind unter anderem die steigenden ...
Das Restaurant Central geht per Ende September zu
Erst im Sommer 2021 hat der 63-jährige Fredi Seedorf das Restaurant Central im Herzen von Oberlunkhofen übernommen. Nun muss er es schliessen. Grund dafür sind unter anderem die steigenden Kosten.
Celeste Blanc
Schon letztes Jahr war es so gewesen: Die Wintermonate liefen sehr gut, die Sommermonate hingegen sehr verhalten. So auch in diesem Sommer, wo das Restaurant täglich nur wenige Besucherinnen und Besucher hatte. «Ein Spiegelbild des letzten Jahres», resümiert Betreiber Fredi Seedorf. Erklären kann sich das der gelernte Koch und ehemalige Hotelbetreiber nicht. Die Lage sei super, die Gartenbeiz wunderschön. «Vielleicht hat sich das Bedürfnis gewandelt, eine Beiz im Dorf zu haben.» Ende September schliessen somit die Türen eines der zwei Restaurants im Dorf. Danach gibt es einzig das Restaurant zum Bauernhof.
Über 20 Prozent mehr Kosten
Erst vor zwei Jahren hat Seedorf das Restaurant Central übernommen. Es sollte seine letzte berufliche Station sein, bevor es für den Gastronom aus Leidenschaft in den Ruhestand geht. «Ich wollte so lange beizen, bis es nicht mehr geht. Niemand sollte mir sagen, wann ich in Pension gehen sollte», erzählt er und lacht.
Der Luzerner fand in Oberlunkhofen die perfekte Lokalität. Doch die grossen Pläne sollten nicht von langer Dauer sein. Schon im ersten Jahr harzte es in den Sommermonaten. Im letzten Herbst kam der grosse Anstieg der Strompreise in der Gemeinde hinzu. Und obendrauf noch die Teuerung der Lebensmittel. «Insgesamt sind die Preise seit der Eröffnung um über 20 Prozent gestiegen», erklärt Seedorf. Und so reichen mittlerweile auch die guten Wintermonate, in denen man zeitenweise nur mit Reservation im «Central» einkehren konnte, nicht mehr aus. «Es geht einfach nicht mehr. Ich kann nicht nur von fünf guten Monaten leben.»
Bedürfnis nicht mehr gegeben
Dabei hat Fredi Seedorf vieles ausprobiert, um die Leute ins Lokal zu holen. Für ihn ist eine Beiz im Restaurant gleichgestellt mit der Seele im Dorf. «Vor allem für ältere Leute ist das wichtig. Hier können sie sich treffen, sich austauschen und Kontakt zu anderen haben», meint er. Deshalb initiierte der Wirt jeweils am Dienstag einen «Frauen-Nachmittag», am Mittwoch lud er Spielfreudige zum Jassen ein. Anlässlich dieser Nachmittage kreierte der Koch jeweils spezielle Desserts oder Fleischplättli. Doch auch diese Bemühungen fruchteten nicht. «Es kamen jeweils nur fünf Frauen am Dienstag, und der eine Jasstisch, der zustande gekommen ist, war nach kurzer Zeit passé.» Vor allem für diejenigen, die das Angebot nutzten, tut es dem Wirt leid. «Es zeigt, dass es immer Leute geben wird, die ein Restaurant als Treffpunkt nutzen.» Obwohl Oberlunkhofen mehr als 2000 Einwohnerinnen und Einwohner hat, sehe Seedorf kein intaktes Vereins- und Dorfleben. «Es ist praktisch inexistent», meint er. Aus Erfahrung wisse er, dass viele Vereine nach einem Training oder einer Probe noch gemeinsam in die Beiz gehen. In Oberlunkhofen sei das höchstens mal der Musikverein oder der Chor gewesen. Und auch den Oberlunkhofer selbst hat Seedorf wenig bedient. «Ich spreche mit jedem Gast, bevor er das Restaurant verlässt. Viele Gäste sind aus den umliegenden Gemeinden, aus Jonen, Arni oder Unterlunkhofen, gekommen. Nur die wenigsten aus Oberlunkhofen selbst.» Seedorf verortet das darin, dass viele, die in Oberlunkhofen leben, in Zürich arbeiten und nur zurück ins Dorf kommen, um zu wohnen. «Oberlunkhofen ist eine Schlafgemeinde.»
«Austrinkete» mit Überraschungsbuffet
Seedorf habe es versucht. Nun muss er weiterziehen. Anfang nächstes Jahr übernimmt er ein Hotel in Perlen, mit drei Restaurants, verschiedenen Festsälen und ein paar Zimmern. Dort möchte er so beizen, wie es ihm Freude macht: für Menschen, die einund ausgehen. Für ältere Leute, für Vereine. Dort, wo etwas geht und man immer auf Zack sein muss. Er freut sich auf die neue Herausforderung, verlässt die Kellerämter Gemeinde aber nicht ohne Wehmut. «Ich finde das sehr schade. Ich habe die Region und die Menschen sehr geschätzt.» Mit einer grossen «Austrinkete» am Freitag, 29. September, und Samstag, 30. September, hofft er nochmals, dass das Dorf sich bei ihm einfindet. «Dann gibt es ein spezielles Überraschungsbuffet, wo auch für mich immer eine Überraschung ist, was es gibt», lacht er. Und danach wünscht er sich, dass für das Restaurant eine Nachfolge gefunden wird. Auch Oberlunkhofen tut ein zweiter Seelenort gut.
Wie weiter mit dem «Central»?
Wie es mit dem Restaurant Central weitergehen soll, das könne man zurzeit noch nicht einschätzen, meint André Bächinger, Vorsitzender der Bankleitung der Raiffeisen Kelleramt-Albis, der die Liegenschaft gehört. Die Ausschreibung wird nächste Woche gestartet. «Dann hoffen wir sehr, dass es uns gelingt, für das ‹Central› einen neuen Pächter oder eine neue Pächterin zu finden.»
Zwar dürfe nicht alles Corona zugewiesen werden. Dennoch habe die Pandemie der Branche stark zugesetzt. «Und in vielerlei Hinsicht auch das Verhalten unserer Gesellschaft geändert», so Bächinger. «Vielleicht muss man sich die Frage stellen, ob sich in Oberlunkhofen das Bedürfnis nach einem Restaurant verändert hat.»
Solle es nicht möglich sein, eine Nachfolge zu finden, müsse man sich mit Alternativen befassen, so Bächinger weiter.
Verschiedene Indikatoren
Auch Gemeinderat bedauert Schliessung
Auch aus Sicht des Gemeinderates sei es nicht förderlich, dass die zweitletzte Beiz im Dorf zumache. «Im Dorf wird ein Treffpunkt mehr fehlen, wo sich die Leute und Vereine treffen können», so Gemeinderat Roland Geier. Es sei ein Problem, mit dem viele Gemeinden zu kämpfen haben. Der Gemeinderat hoffe, dass das Restaurant Central nur für kurze Zeit geschlossen bleibe. Und verweist darauf, dass es mit dem Restaurant zum Bauernhof und der neu eröffneten Oldtimer-Bar im Rank am Freitagabend nach wie vor Möglichkeiten gebe. Wo die Gründe für die Schliessung des «Central» liegen können, sei schwer einzuschätzen. «Wir massen uns nicht an, zu beurteilen, was man hätte machen können, damit mehr Leute das Restaurant besuchen», so Geier weiter. Er verweist auch darauf, dass aktuell die Leute aufgrund der Teuerung und der steigenden Lebenshaltungskosten vielleicht weniger auswärts essen gehen. Zur Aussage, dass Oberlunkhofen eine Schlafgemeinde sei, meint Geier, dass von aussen der Eindruck entstehen könnte. Die guten ÖV-Verbindungen nach Zürich ermöglichen es, einem Ausgangsleben ausserhalb des Dorfes nachzugehen. Dennoch sieht er das Vereinsleben im Dorf intakt. «Die über 30 Ortsvereine beweisen den guten Zusammenhalt.»