Ein Fahrzeug für den Mond
24.05.2024 Mutschellen, BerikonStephan Tarnutzer entwickelt einen Mondrover mit
Der Weltraum und wie man da hingelangt, ist für viele ein grosses Rätsel und ein Traum. Der 50-jährige Stephan Tarnutzer wanderte vor 30 Jahren von Berikon in die USA aus. Aktuell entwickelt er ein ...
Stephan Tarnutzer entwickelt einen Mondrover mit
Der Weltraum und wie man da hingelangt, ist für viele ein grosses Rätsel und ein Traum. Der 50-jährige Stephan Tarnutzer wanderte vor 30 Jahren von Berikon in die USA aus. Aktuell entwickelt er ein Mondfahrzeug mit.
Roger Wetli
«Ja, ich habe in den 80er-Jahren mit Weltraumfahrzeugen von Lego gespielt. Mein 18-jähriger Sohn tat das bis vor etwa zwei Jahren ebenfalls. Einmal an einem richtigen Mondrover mitzuarbeiten, hätte ich mir aber nie erträumt», lacht Stephan Tarnutzer. Und doch war es der ausgewanderte Beriker, der es dank persönlichen Kontakten vor vier Jahren schaffte, dass seine Firma überhaupt auf den Radar der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA kam. Stephan Tarnutzer führt den amerikanischen Ableger des im österreichischen Graz beheimateten Unternehmens «AVL Mobility Technology». Weltweit beschäftigt die Firma rund 12 000 Mitarbeiter. Der Beriker ist in den USA für die 600 dort beschäftigten Mitarbeiter verantwortlich.
Aus der Automobilentwicklung heraus
«Dass wir an einem Mondrover mitarbeiten, erscheint vielleicht auf den ersten Blick komisch. Auf den zweiten Blick macht es aber Sinn», gibt Stephan Tarnutzer Einblick. Beheimatet in der Umgebung der amerikanischen Autostadt Detroit entwickelt die AVL Technologien für Personenfahrzeuge und Lastwagen, zunehmend aber auch für die Eisenbahn und für Flugzeuge. Dazu gehören etwa Batterien, Brennstoffzellen, Testgeräte, Software, Hardware und Simulatoren. «Mit Letzteren wird die Entwicklung von neuen Fahrzeugen viel günstiger und schneller, weil sie nicht mehr 1:1 gebaut werden müssen, um getestet zu werden. Mit den Simulatoren schauen wir, ob sie funktionieren, und bauen sie erst danach.» Verschiedene Produkte entwickelt die Firma selbst und verkauft sie danach. Andere werden im Auftrag von Fahrzeugfirmen und anderen Zulieferern entwickelt und gebaut.
Vier Jahre lang dauerte der Offertenprozess der NASA. Tarnutzers Firma hat jetzt diesen Frühling den Zuschlag für die erste Phase zur Entwicklung des Mondrovers erhalten als Mitglied des Teams unter der Leitung von Intuitive Machines. Intuitive Machines hat im Februar dieses Jahres als erste private Firma ein Weltraumfahrzeug (Odysseus) erfolgreich auf dem Mond gelandet – die erste Soft-Landung seit 1972. Das Auftragsvolumen beträgt rund 30 Millionen US-Dollar. Im Boot mit dabei sind ausser der AVL auch bekannte Grössen wie Boeing für das Chassis und die Kontrollsysteme sowie Michelin für die passende Bereifung. AVL zeichnet für die Entwicklung des Elektroantriebsstrangs, der Batterien und der Simulation verantwortlich. Bereits in einem Jahr müssen Ergebnisse vorliegen. Denn das Fahrzeug sollte schon 2027 über den Mond fahren. «Wir sind im Stress. Der Druck ist hoch. Aber wir sind alle mit Begeisterung an diesem Prestigeprojekt dran.»
Nutzen für die Menschen auf der Erde
Als grosse Herausforderungen an das Fahrzeug nennt er unter anderem die starke Strahlung der Sonne, die ohne Atmosphäre auf dem Mond besonders gross ist. Zudem schwanken die Temperaturen zwischen Tag und Nacht von etwa plus 130 und minus 160 Grad Celsius. Der sehr feine Mondstaub sollte nicht ins Fahrzeug eindringen können und die Batterien müssen nicht nur zehn Jahre halten, sondern das Fahrzeug pro Batterienladung auch möglichst weit bringen können. Da bei einer Weltraummission aufgrund des Starts von der Erde aus jedes Gramm ins Gewicht fällt, muss das Fahrzeug möglichst leicht und trotzdem robust gebaut sein. «Bisher bewegte man sich auf dem Mond vielleicht 50 Meter weg vom Landeplatz. Das neue Projekt sieht viel weitere Fahrten vor. Das Fahrzeug soll neben Personen auch Material transportieren können», gibt Stephan Tarnutzer Einblick.
Oft werde er gefragt, wieso man denn jetzt plötzlich wieder Menschen auf den Mond bringen muss. «Ich glaube, die Erforschung und Nutzung des Erdtrabanten und langfristig auch des Mars stehen hier nicht ausschliesslich im Zentrum der Überlegungen. Es geht auch darum, Technologien zu entwickeln, die wir auf der Erde anwenden können.» So würden heute viele Alltagsprodukte ihren Ursprung aus der Raumfahrttechnologie haben. Tarnutzer selbst faszinieren generell nicht primär die Autos, sondern die Technologie, die darin verbaut ist. «Es ist unglaublich, wie heute moderne Autos funktionieren», strahlt er. Im Bereich der Batterien könne die aktuelle Forschung am Mondrover zu leichteren, effizienteren und länger lebenden Geräten führen.
Keine Ambitionen als Astronaut
Bis nächstes Jahr entwickelt seine Firma einen Prototyp. «Wir möchten jetzt der NASA mit Innovationen beweisen, dass wir der richtige Partner sind», so Tarnutzer. «Und so den endgültigen Auftrag erhalten.» Als Geschäftsführer des amerikanischen Ablegers der AVL setzt er persönlich alles daran, dass dieses Ziel erreicht wird. Sei die «Mondwirtschaft» nach den Missionen in den 60er- und 70er-Jahren etwas eingeschlafen, würde sie sich jetzt wieder entwickeln. Selbst auf den Mond fliegen möchte Stephan Tarnutzer nicht. Er bleibt lieber mit beiden Füssen auf der Erde. «Aber ein Mondfahrzeug mitzuentwickeln, finde ich spannend. Dort testen soll es dann jemand anderes», lacht er.
Teil des Artemis-Programms
Der Mondrover gehört zum Artemis-Programm. Mit Artemis möchte die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA zusammen mit internationalen Partnerorganisationen Menschen auf den Mond bringen. Dies soll nach 2027 wieder jährlich passieren. Der Rover spielt dabei eine wichtige Rolle bei der Erforschung des Mondes.
Als Basketballer in die USA
Stephan Tarnutzer wuchs in Berikon auf und studierte Elektronik in der Schweiz. 1995 erhielt er ein Basketball-Stipendium in den USA und wanderte aus. Dort lernte er seine heutige Frau kennen und wurde Vater von drei heute erwachsenen Kindern. Tarnutzer erlangte zwei Bachelors in Wirtschaft und in Business Management. Danach folgten zwei Masterabschlüsse in Finanzen und General Management. Mit seiner Familie wohnt er im Staat Michigan etwa eine Autostunde entfernt von Detroit.