Ein Dorfbrauch mit langer Tradition
12.12.2023 MuriDas Klausjagen in Küssnacht am Rigi und vor allem die Iffelen sind ein Thema im Museum Kloster Muri
«Advent! Advent!» heisst sie, die diesjährige Weihnachtsausstelllung von Murikultur. Der Hauptteil befindet sich im 1. Stock, doch auch im ...
Das Klausjagen in Küssnacht am Rigi und vor allem die Iffelen sind ein Thema im Museum Kloster Muri
«Advent! Advent!» heisst sie, die diesjährige Weihnachtsausstelllung von Murikultur. Der Hauptteil befindet sich im 1. Stock, doch auch im Äbtekeller sind Exponate zu bestaunen. Hier dreht sich alles um die Tradition des Klausjagens in Küssnacht.
Thomas Stöckli
Von einem «heiligen Tag für die Küssnachter» spricht Hanstoni Gamma. Gemeint ist der 5. Dezember. Dann schlägt sich fast das ganze Dorf die Nacht um die Ohren, vom ersten Böllerschuss um 20.15 Uhr bis in die Morgenstunden – um 6 Uhr ist offiziell Schluss. Und auch viele Auswärtige kommen jeweils, um sich das eindrückliche Spektakel nicht entgehen zu lassen. Die Hotels sind schon Monate im Voraus ausgebucht, viele Küssnachter nehmen Gäste privat bei sich auf. Ist das nun der schönste Tag im Jahr? Die Antwort von Gamma auf die Frage von Kurator Rudolf Velhagen überrascht. Doch dazu später mehr.
Von Dämonen und Gymnasiasten
Diesmal sei die Stimmung am 5. Dezember dank reichlich Schnee besonders mystisch gewesen, blickt Hanstoni Gamma zurück. Er ist im elfköpfigen Vorstand der St. Niklausengesellschaft Küssnacht am Rigi. Ein Amt, das – so tuschelt man in der Innerschweiz – schwieriger zu ergattern sei als ein Sitz im Bezirksrat. Wer das mal geschafft hat, tritt nicht so schnell wieder zurück. 1928 wurde der Verein gegründet. In diesen 95 Jahren wechselte der Präsident nur vier Mal. In diesem prestigeträchtigen Gremium ist Gamma für das Ressort Iffelen zuständig. Sie sind das auffälligste, das einzigartigste Requisit eines gelebten Brauchtums, dessen Wurzeln bis in die vorchristliche Zeit zurückgehen.
Gestartet hat der heutige Brauch des Klausjagens wohl als Ritual, um dem steten Kürzerwerden der Tage vor der Wintersonnenwende Einhalt zu gebieten. Mit Licht und Lärm ging es darum, die bösen Dämonen zu vertreiben und so die Basis zu legen für eine erntereiche nächste Vegetationsperiode. Im 6. Jahrhundert wurde dem Treiben mit dem Samichlaus ein christlicher Inhalt übergestülpt.
Eine andere Theorie geht davon aus, dass die Wurzeln des Brauchs in nordfranzösischen Internaten des frühen Mittelalters liegen könnten, wo jeweils am Klaustag ein Schüler zum Bischof gewählt wurde und einen Tag lang regieren durfte. Wie auch immer, vom 18. bis Anfang 20. Jahrhundert sei der Brauch immer mehr ausgeartet, berichtet Gamma: «Teils wurde mit Pistolen geschossen.» Manche nutzten den quasi rechtsfreien Rahmen auch, um Abrechnungen untereinander handfest zu begleichen.
Jugendstreiche mit dem Dorfpolizisten
Um einem drohenden Verbot zuvorzukommen, setzten die Küssnachter schliesslich auf Selbstregulierung. Durch die Gründung eines Vereins mit Statuten wurde der Brauch 1928 in Bahnen gelenkt. Was nicht hiess, dass fortan gänzlich auf Schabernack verzichtet wurde. Gamma erinnert sich gerne an die eigene Jugend zurück. Zum Klausjagen hatten ihn seine sonst sehr korrekten Eltern eine Stunde vor dem bewilligten Start rausgelassen. So machte sich die Jugend einen Spass daraus, den Dorfpolizisten mit ihrem Krachmachen vom einen Ende Küssnachts ans andere zu locken.
Der eigentliche Umzug vereint dann verschiedene Gestalten. Allen voran die «Chlöpfer» mit ihren Schafs- oder Fuhrmannsgeisseln. Dann bringen die Iffelenträger mit ihren Kunstwerken Lichterzauber in die verdunkelten Strassen. Diesmal waren es 235 Stück, die am Umzug präsentiert wurden, drei davon hat die Klausengesellschaft eigens aus der Ausstellung in Muri abgeholt und anschliessend wieder zurückgebracht. Weiter folgen Samichlaus und Schmutzli, Instrumentalisten – die sich auf den F-Dur-Dreiklang beschränken –, Treichler und Hornbläser. «Bei 700 Treicheln wackelt einem das Herz, wenn man am richtigen Ort steht», beschreibt Gamma, was sich eigentlich gar nicht beschreiben lässt. «Das muss man unbedingt im Dorf erlebt haben», betont er und schwärmt mit strahlenden Augen von der Mystik, dem Lichterzauber und der Menschenmasse.
Bis zu 1000 Stunden Arbeit
Für fast alle beschränkt sich die Chlausenstimmung auf diese eine Nacht im Jahr. Nur nicht die Iffelen-Macher. Sie haben das ganze Jahr hindurch zu tun. Auf 200 bis 1000 Stunden beziffert Hanstoni Gamma den zeitlichen Aufwand, bis eine Iffele fertiggestellt ist. Gefertigt werden sie aus schwarzem Karton. In diesen werden in Handarbeit mit Stechbeiteln die filigranen Muster hineingearbeitet, die anschliessend mit farbigem Transparentpapier überklebt werden.
In der Gestaltung gilt es einiges zu berücksichtigen. Auf eine Küssnachter Iffele gehört vorne die Figur des St. Nikolaus und auf die Rückseite ein Kreuz sowie die Jesus-Inschrift JHS. Darüber hinaus soll sich die Gestaltung auf nicht-gegenständliche Ornament-Motive beschränken. Wobei durchaus auch Familienwappen auf den Kunstwerken platziert werden dürfen. Das Filigranhandwerk wird in Kursen vermittelt. Vorlagen gibt es aber auch da keine: «Die Leute müssen ihre eigenen Ideen mitbringen», so Gamma. Wenn da nebst den «erlaubten» Motiven auch mal ein Eseli, ein Engel oder ein Schmutzli auf den Iffelen landet, werde das im Sinne der Vielfalt geduldet. Den AC/ DC-Schriftzug habe er einem Jugendlichen allerdings ausgeredet. Und dieser habe sich einige Jahre später dafür bedankt.
Frauen nur im Hintergrund
Ein wunder Punkt, den Ausstellungskurator Rudolf Velhagen natürlich auch ansprach, ist die Frauenfrage. Während das Klausjagen wie etwa auch das Zürcher Sechseläuten grundsätzlich ein Männer-Anlass ist – nicht unumstritten –, werden Iffelen häufig auch von Frauen gestaltet. «Zu über 50 Prozent», wie Gamma festhält. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich der Umzug auch den Frauen öffne. Wobei es durchaus auch Frauen gebe, die finden, dass man den Männern den Anlass lassen solle.
Ein anderer Wermutstropfen sei, dass das Treiben gerade unter Jugendlichen auch mal ausartet. «Wir geben uns im Vorstand grosse Mühe, das in Bahnen zu halten – auch bezüglich Alkohol», betont Gamma. So gehe man dazu präventiv in die Klassen, was sich auch bewährt habe.
Die Zuhörer verfolgen das Gespräch zwischen dem Gastkurator und dem Iffelen-Chef mit grossem Interesse. Manche haben sich die Ausstellung im Äbtekeller bereits vorgängig angesehen, andere tun dies im Anschluss an die Veranstaltung. Die Objekte beeindrucken sichtlich. Die älteste unter den gezeigten Iffelen stammt aus dem Jahr 1938. Gefertigt habe sie der «Sternen»-Franz Sidler, verrät Gamma. «Böse Zungen behaupten, dass der Wirt so viel Zeit ins Iffelen-Machen investierte, dass ihm seine Frau den Karton versteckte», so der Iffelen-Chef.
Wie Schätze verwahrt
Ein anderes, etwas ausgebleichtes Modell hat eine Witwe dem Klausenverein überlassen, weil sie ins Altersheim musste und keinen Platz mehr hatte. Zuvor hatte die Iffele einen Ehrenplatz im Wohnzimmer gehabt, zur Erinnerung an ihren verstorbenen Mann. Dass die Werke einen Platz im Haushalt haben, sei allerdings eher die Ausnahme, verrät Gamma. Die meisten verhüllen ihre Schätze das ganze Jahr und verstauen sie in einem dunklen Raum, um ein Ausbleichen und weitere Alterungsspuren möglichst lange hinauszuzögern. Für den 5. Dezember können sie dann jeweils in voller Frische wieder hervorgeholt werden.
Und welcher ist denn nun der schönste Tag im Jahr, Hanstoni Gamma? «Der 6. Dezember», sagt er. Und begründet: «Dann kann man sich am längsten wieder auf den Chlaustag freuen.» Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude.
Die Iffelen im Äbtekeller sind Teil der Weihnachtsausstellung «Advent! Advent!» im Rahmen der Reihe «Wunderbare Weihnachtsbräuche aus aller Welt». Die Ausstellung läuft noch bis 7. Januar. Infos unter www.murikultur.ch.