«Das ist ein Traumfinal»
29.11.2024 SportSwiss-Wrestling-Präsidentin Nadine Pietschmann-Tokar vor dem Final RS Freiamt – RC Willisau (Sa, 19 Uhr, Muri)
Über ein Jahrzehnt war Nadine Tokar – wie sie damals hiess – Mitglied der RS Freiamt. Heute führt die 39-Jährige mit der Wrestling Academy Bern den jüngsten Ringerclub der Schweiz, ist Mutter von zwei Kindern und Verbandspräsidentin. Sie spricht über die aktuellen Finalkämpfe in der NLA, den Stellenwert des Ringens und über allfällige Modus-Änderungen.
Stefan Sprenger
Sie fliegen schon mal 6500 Kilometer, um an einem ringerischen Gala-Abend teilzunehmen.
Nadine Pietschmann-Tokar: (Lacht) Ja, das war vor drei Wochen. Ich war eingeladen in Washington D.C., in den USA, kurz vor den dortigen Präsidentschaftswahlen. «Wrestle like a girl» hiess der Event, ein Abend nur für die Frauen im Ringsport. Diese Einladung war eine Ehre, deshalb habe ich den langen Weg auch auf mich genommen.
Und hat es sich gelohnt?
Ja. Eine inspirierende Reise, voller Freundschaften und guten Geschichten und vor allem die Chance, eventuell wertvolle Kontakte und Netzwerke für künftige Kooperationen aufzugleisen. Wir müssen als kleine «Ringerschweiz» nicht nur zu den Grossen aufschauen, sondern können dank der Pflege vorhandener Kontakte auch profitieren.
In den USA ist Ringen weitaus populärer, es gibt über 3000 Vereine. Konnten Sie als Verbandspräsidentin etwas mitnehmen aus Amerika, um auch hierzulande den Ringsport bekannter zu machen?
Es sind unterschiedliche Länder und Kulturen. Aber ich glaube, man muss klein anfangen. Wortwörtlich.
Erklären Sie.
Der Ringsport muss in der Schweiz in die Schule und die Kinder und Jugendlichen abholen. Es gibt Vereine, die das bereits vorbildlich machen. Aber wir brauchen ein nationales Konzept. Wir sind daran, dies anzustossen, aber es braucht Zeit. Wenn Sie mich um einen Vergleich mit den USA bitten: Dort ist Ringen ein fester Bestandteil im Schulsport bis hin zu den Universitäten.
Sie selbst sind ja vorbildlich unterwegs, um den Sport zu fördern. Im Jahr 2018 gründeten Sie die Wrestling Academy Bern.
Und es läuft gut, auch wenn der zeitliche und finanzielle Aufwand enorm sind. Und seit diesem Frühling bin ich Präsidentin von Swiss Wrestling – in einem Ehrenamt, was mich dazu zwingt, die Arbeit im Verein in andere vertrauensvolle Hände zu legen. Ich möchte viel bewirken für diesen Sport, den ich so sehr liebe, aber wie für uns alle hat auch mein Tag nur 24 Stunden.
Sie haben als 5-Jährige mit Ringen begonnen. Sie wurden eine der erfolgreichsten Schweizer Ringerinnen der Geschichte. Als eine der ersten Frauen überhaupt durften sie die Spitzensport-RS machen, haben an 12 Welt- und 16 Europameisterschaften teilgenommen, drei Olympiaqualifikationen versucht – und wurden achtfache Schweizer Meisterin. Lange Rede, kurze Frage: Wieso dieser riesige Aufwand?
Weil Ringen mein Leben war. Und immer noch ist. Es ist mehr als ein Sport, es ist eine Lebensschule.
Wie sehr schmerzen dann solche Entscheide wie jener von Swiss Olympic, der kürzlich das Ringen von Stufe 2 auf Stufe 3 zurückstellte, was beispielsweise weniger finanzielle Mittel bedeutet?
Das ist nicht optimal. Aber es liegt nun an uns, dies wieder zu ändern und das Ringen attraktiver und populärer zu machen. Auch hier hilft das Mindset, das mir der Sport über Jahre vermittelt hat: Rückschläge gehören dazu, aber sie bedeuten auch immer eine Chance, mögliche Schwachpunkte zu erkennen und daran zu wachsen.
Wie soll das klappen?
In der Breite muss etwas passieren. Und an Orten, an denen der Ringsport noch nicht so verbreitet ist. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir in die Schulen gehen. Aber das ist nicht das einzige Projekt, das momentan läuft. Der Ringsport ist noch zu wenig sichtbar, es gibt viel zu tun. Wir haben vor Kurzem auch jemanden eingestellt, der für mehr Aufmerksamkeit auf Social Media sorgen wird. Auch das ist in unserer Zeit sehr wichtig, um Geschichten und Emotionen zu transportieren und neue Zielgruppen für den Sport zu begeistern. Wir können in der Schweiz stolz sein auf eine sehr eingeschworene Ringerfamilie. Dieser Zusammenhalt wirkt jedoch für Aussenstehende unter Umständen wie eine Zutrittshürde. Ich möchte dabei mitwirken, insgesamt noch offener und nahbarer zu werden.
Und es wäre doch auch an der Zeit, den Modus in der Nationalliga A zu überdenken. Man kann die Tabelle nach der Qualifikationsphase eigentlich schon vor der Saison mit grosser Wahrscheinlichkeit voraussagen.
Ich würde es etwas diplomatischer ausdrücken, da jeder Kampf immer erst gekämpft werden muss, doch im Kern haben Sie leider recht. Es sind immer die gleichen drei, vier Teams, die vorne dabei sind. Natürlich nicht zu Unrecht – es geht nicht darum, die starke Arbeit, die in diesen Clubs seit vielen Jahren geleistet wird, zu kritisieren. Mehr Spannung in der Premium League ist jedoch schon lange ein Bedürfnis der Ringerschweiz. Es ist eines der strategischen Ziele, die ich mir für meine Präsidentschaft vorgenommen habe. Eine Modus-Änderung ist daher ganz konkret in Planung. Details folgen zu gegebener Zeit. Es könnte eine kleine Revolution geben.
Wie könnte der neue Modus aussehen?
Für die Teams aus der Challenge League – der Nationalliga B – ist es aktuell nicht attraktiv aufzusteigen, weil die Mannschaften wissen, dass sie ohne Chance sind gegen die grossen Vereine. Deshalb bleiben sie lieber in der Challenge League und die Auf-/Abstiegsduelle werden zu einer Pro-Forma-Übung, die weder für die Mannschaften noch für das Publikum attraktiv ist. Das macht niemanden glücklich. Und es ist für keinen Sport der Welt ein gutes Zeichen, wenn Teams bewusst nicht das sportliche Maximum aus sich herausholen. Deshalb könnte es beispielsweise sein, dass die Nationalliga A aufgestockt wird, auf acht Teams, vielleicht auch zehn. Auch ein Thema sind die vielen Doppellizenzen, die zweifelsohne eine grosse Wettbewerbsverzerrung verursachen. Aber es ist aktuell noch zu früh, um etwas Konkretes zu sagen. Wir werden in naher Zukunft in Zusammenarbeit mit allen Vereinen die Vorschläge diskutieren und sauber ausarbeiten.
Verbandspräsidentin, Akademiebesitzerin, Trainerin – und dazu Mutter von zwei Kindern, die fünf und sieben Jahre alt sind. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
(Lacht) Das ist in der Tat nicht ganz einfach: Emotional gesehen kommt die Familie zuerst, wobei sich diese Aussage in der Realität meines Tagesablaufs nicht immer widerspiegelt. Ich bin sehr dankbar, auf die grosse Unterstützung meiner Mutter zählen zu dürfen, die mich schon am Mattenrand begleitet hat, als ich ein kleines Mädchen war, und auch nun in dieser neuen Form meine Leidenschaft mitträgt. Auch mein Mann steht mir mit Rat und Tat zur Seite und hat vor allem in der Wrestling Academy Bern die Leitung vollständig übernommen.
Sie leben heute in Bern, wo Sie auch aufgewachsen sind. Ringerisch war Ihre Heimat aber über ein Jahrzehnt lang bei der Ringerstaffel Freiamt. Wieso gerade die RS Freiamt?
Im Raum Bern gab es keinen Klub, der solche starken Bedingungen hatte wie die Freiämter. Die Ringerstaffel Freiamt hat schon damals sehr Richtung Leistungssport gedacht und hatte und hat eine Vorreiterrolle. Ich bin sehr dankbar für die langjährige Unterstützung, die ich bei der RS Freiamt erhalten habe. Wohlgemerkt ohne, dass ich wie meine männlichen Kaderkollegen dies in Form von Einsätzen in der Premium League hätte zurückgeben können. Selbstverständlich habe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten immer sehr gerne für Freiamt in der 1. Liga gerungen und versucht dort meine Mannschaftspunkte beizusteuern. Und ja, die RS Freiamt war mir von Anfang an sehr sympathisch, sonst wäre ich kaum so lange geblieben (lacht).
Und jetzt steht die Ringerstaffel Freiamt im Final gegen Willisau. Morgen Samstag ist der erste Kampf in Muri. Ihre Gedanken?
Ich bin enorm gespannt, wie das ausgeht. Willisau ist der Favorit, aber die Freiämter können eine Dynamik und einen Spirit entwickeln, der sie zu Höchstleistungen anspornen wird. Der dramatische und hochemotionale Bronze-Kampf vom letzten Jahr ist mir noch immer sehr präsent. Die grosse Enttäuschung, die Verabschiedung der Legende Pascal Strebel. Das waren pure Emotionen, die damals auch mich überwältigt haben. Ich bin fest überzeugt, dass sich diese Emotionen in die laufende Saison kanalisiert haben, besonders da eben jener Pascal Strebel nun auf dem Trainerstuhl sitzt und mit einer Mischung aus unbedingtem Siegeswillen und dem Bedürfnis nach Wiedergutmachung Berge versetzen kann. Mit den starken Fans im Rücken traue ich der RS Freiamt zu, dass sie die Finalserie ausgeglichen gestalten kann. Was ganz sicher ist: Freiamt gegen Willisau ist ein Traumfinal.
Wem drücken Sie die Daumen?
(Lacht) Als Verbandspräsidentin bin ich neutral. Ich werde den Pokal mit Freude überreichen, egal, wer gewinnt. Auf der anderen Seite werde ich aber auch aufmunternde Worte finden und sicher mit allen auf eine gelungene Saison anstossen. Ich drücke mich diplomatisch aus und sage: Der Bessere soll gewinnen.