Brücke zwischen Medizin und Alltag
12.12.2025 Mutschellen, GewerbePilotprojekt im Doktorzentrum Mutschellen entlastet Patienten und Ärzte mit niederschwelliger Sozialbegleitung
Das Doktorzentrum Mutschellen bietet seit November ein neues Projekt an: Eine Sozialberaterin unterstützt direkt in der Hausarztpraxis Patienten mit ...
Pilotprojekt im Doktorzentrum Mutschellen entlastet Patienten und Ärzte mit niederschwelliger Sozialbegleitung
Das Doktorzentrum Mutschellen bietet seit November ein neues Projekt an: Eine Sozialberaterin unterstützt direkt in der Hausarztpraxis Patienten mit administrativen, psychosozialen und behördlichen Herausforderungen. Das Angebot soll Lücken schliessen, Notlagen früh erkennen und Hausärzte entlasten.
Sabrina Salm
Gesundheit wird durch körperliche und psychische Faktoren beeinflusst. So viel ist klar. Doch die soziale Dimension wird oft vernachlässigt, obwohl sie entscheidend für die Gesundheit ist. «Wir Hausärzte sind in den Sprechstunden zunehmend mit diesen nichtmedizinischen Themen konfrontiert», erzählt Michela Iten, Hausärztin im Doktorzentrum Mutschellen. Die Bandbreite der Betroffenen sei gross: ältere Menschen, Alleinstehende, psychisch belastete Personen, chronisch Erkrankte – Menschen, die sich durch Anträge und Dokumente von Versicherungen oder Behörden kämpfen müssen. «Es braucht eine Station, an der Anliegen niederschwellig aufgefangen werden, bevor sie zu Notfällen werden», findet Praxiskollege Andreas Weisshaar. Gerade jüngere Menschen seien zunehmend betroffen – und viele hätten ein Schamgefühl, sich Hilfe zu holen. «Uns Hausärzten erzählen sie es, aber niemandem sonst.»
Stossen an Grenzen
Die Patientinnen und Patienten vertrauen ihren Hausärzten, doch diese stossen mit ihren Mitteln an Grenzen. Weisshaar erklärt: «Wir können zuhören, aber nicht handeln. Unsere Ressourcen und unser Fachwissen reicht schlicht nicht aus, um all die sozialrechtlichen Wege zu überblicken.» Schon lange ist beim Doktorzentrum-Team der Wunsch präsent, dieser Problematik entgegenzuwirken. In einer Projektgruppe, in der neben Weisshaar und Iten auch die Medizinische Praxiskoordinatorin Kelly Kilchmann und Onkologe Johannes Lukaschek involviert sind. «Wir kamen zum Schluss, dass wir eine interne Sozialberatung brauchen», so Weisshaar. Sozialberatung in Hausarztpraxen ist in der Schweiz noch wenig etabliert. «Doch es scheint uns, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit der richtige Weg ist.»
Begleiten und vermitteln
Für das Pilotprojekt konnte das Team die erfahrene Sozialarbeitsfachperson Jacqueline Rez gewinnen. «Ich brenne dafür, dieses Projekt aufzubauen und mitzugestalten», sagt sie. Jeden Mittwochmorgen ist sie im Doktorzentrum vor Ort. Ausschliesslich führt sie auf Überweisung der Hausärzte Gespräche, erklärt Unterlagen, begleitet bei Anträgen, koordiniert Dienste oder hört einfach zu. «Ich stelle das Bindeglied zwischen Ärzten, Praxisteam, Behörden, Organisationen und Patienten dar», zeigt Rez auf. Informationen fliessen sofort, Wege werden kürzer, Missverständnisse kleiner. Viele Betroffene seien überfordert von Formularen und vom Amtsdeutsch. «Ich mache es verständlich, damit sie selbst wieder handeln können.»
Ihre Aufgabe reicht von Sozialversicherungen über Wohnfragen bis hin zu psychischen Belastungen. «Manchmal ist das Wichtigste, den ersten Kontakt zu einer Stelle überhaupt möglich zu machen», weiss sie. Gerade dieser erste Schritt sei es, an dem viele scheiterten. «Wir helfen aufzuräumen – im Kopf, im Alltag, in den Unterlagen. Oft steckt hinter körperlichen Beschwerden ein ungelöstes soziales Problem», informiert die Sozialbegleiterin weiter. So liessen sich psychosoziale Notfälle auffangen, bevor sie zu akuten stationären Fällen würden. «Wir begleiten, bevor die gesundheitliche Abwärtsspirale beginnt.»
Entlastung und Prävention in einem
Die ersten Wochen zeigen Wirkung. «Unsere Patienten sind unglaublich dankbar für dieses niederschwellige Angebot», bemerkt Kelly Kilchmann. Es gebe keinerlei Hürden oder Bedingungen, die Beratung finde in einem vertrauten Umfeld statt – direkt im Haus der Hausärzte. Für das Ärzteteam bedeutet dies spürbare Entlastung. «Wir wissen nun, dass das Zuhören nicht das Ende der Hilfe ist», sagt Iten. «Wir können unsere Patienten guten Gewissens in erfahrene Hände geben und bleiben gleichzeitig eng verbunden.» Auch Andreas Weisshaar bekräftigt die Relevanz: «Die Lücke zwischen Medizin und Sozialwesen ist seit Jahren bekannt. Studien zeigen klar, wie notwendig solche Angebote sind – doch oft scheitert es an der Finanzierung.»
Finanzierung: Notwendig – aber noch ungeklärt
In der Pilotphase finanziert das Doktorzentrum das Angebot selbst. «Wir wollen es den Patientinnen und Patienten, die es brauchen, kostenlos zur Verfügung stellen», betont das Team des Doktorzentrums Mutschellen. Bis zum Sommer soll das Projekt laufen, anschliessend wird es ausgewertet. Die Gemeinden des Mutschellen wurden angefragt, prüfen die Unterstützung noch. «Die Finanzierung steht noch in den Wolken», sagt Kelly Kilchmann. Dabei sei der Nutzen für die Gemeinden offensichtlich. «Teure Hospitalisierungen können verhindert werden. Das spart Kosten – und stärkt die Lebensqualität.»
Ein dauerhaftes, strukturiertes Modell sei das Ziel. «Wir wollen ein System schaffen, das auffängt, bevor es zu spät ist», macht Michela Iten deutlich. «Denn Prävention ist immer besser – für die Patientinnen, die Angehörigen, die Ärzte und die Gemeinden.» Die Fragezeichen im Leben der Menschen sollen minimiert werden. «Niemand bleibt allein. Auch diejenigen nicht, die sonst durch die Maschen fallen.»

