«Baumgarten» in Jonen feierte
27.08.2024 Jonen, KelleramtDie 30-jährige Wohnsiedlung eine mutige Initiative der Ortsbürger – sie investierten zwölf Millionen Franken
«Ihr seid die Tessiner unseres Dorfes» benannte der damalige Gemeindeammann Albert Rüttimann junior die Baumgärtler einst, ...
Die 30-jährige Wohnsiedlung eine mutige Initiative der Ortsbürger – sie investierten zwölf Millionen Franken
«Ihr seid die Tessiner unseres Dorfes» benannte der damalige Gemeindeammann Albert Rüttimann junior die Baumgärtler einst, «weil ihr von der Sonne verwöhnt seid». Passend dazu schenkten ihnen die Ortsbürger neben fünf Bäumen die übergrosse Risottopfanne, die noch heute an jedem Anlass im Quartier zum Einsatz kommt.
Hans Rechsteiner
Damals läuteten pünktlich um 16 Uhr alle Joner Kirchenglocken. Mitten im neuen Quartier hatten die Planer einen Mittelgang platziert, der sich dank einer einfachen Konstruktion als bedeckte Festhütte bewährt. Genau dort haben sich kürzlich die «Baumgärtler» zum fröhlichen Jubiläum zusammengefunden, um miteinander das Dreissigste zu feiern: einfach, locker, freudig, bescheiden – rund um die beliebte Risottopfanne. Der «Baumgarten» ist ein interessantes Experiment. Immer noch mit 24 Wohneinheiten, architektonisch und gestalterisch gluschtig, von 5½-Zimmer-Doppelhäusern bis zu 2½-Zimmer-Wohnungen als kleinste individuelle Einheiten am südlichen Rand zu den mannshohen Maisfeldern, darunter eine taugliche Tiefgarage.
Gemeinsam anpacken
Das Quartier funktioniert ausgezeichnet. Mit einer Altersdurchmischung von der Siebenundachtzigjährigen bis zum lustigen Zweijährigen, der in Windeln am Boden Kieselsteine einsammelt. Hier herrscht nachbarliche Freundschaft vor, man hilft sich jederzeit gegenseitig aus. Präsident der Eigentümer-Gemeinschaft ist aktuell der «Mitgründer» Erwin Bissig. Ab April haben sie im Hinblick auf das Jubiläum die ganze Siedlung in ihrem traditionellen Feinblau aufgehübscht. Zweimal im Jahr findet der «Baumgartentag» statt: Frühmorgens treffen sie sich mit Schaufeln, Heckenscheren und anderen tauglichen Werkzeugen, dann werden Plätze von Gras befreit, Büsche geschnitten, Wege instandgesetzt, öffentliche Räume gesäubert, Gemeinsambauten neu bemalt – und abends die Risottopfanne unterfeuert. Dass Förster Urs Huber in der Siedlung wohnt, hilft schon mal beim Anfeuern.
Zum 30-Jahr-Quartierjubiläum kamen unter allen Quartierbewohnern auch der damalige Gemeindeammann Albert Rüttimann junior dazu und der damalige Gemeinderat Hans Kuster, legendärer Volg-Geschäftsführer. Die achtzigjährige Monika Rüttimann, weltgereiste interessierte Fotografin, die oft auch an die Dorfschule eingeladen wurde, um ihre Erlebnisse zu zeigen, brachte eine berührende Fotostrecke ein, zeigte die Bauetappen des «Baumgarten» herrlich auf. Bilder aus der Vergangenheit. Vor dem Bildschirm spontan kommentiert durch zwei lustige Kids: «He lueg do, diis Mami», «Das besch jo du», «Ond mini Tante».
Eine Besonderheit ist noch hervorzuheben: Einer der damaligen Erstbezüger war Albert Rüttimann senior – Nationalrat, Verwaltungsratspräsident des Volg Winterthur, Vater des Islisbergtunnels. In den nächsten Tagen bezieht nun Sohn Herbert dessen Alterssitz im «Baumgarten».
Ortsbürger als Bauunternehmer
Das Quartier «Baumgarten» wurde zum erfolgreichen Vorzeigeprojekt. Begonnen hat das vielbeachtete Wagnis 1988, als sich Landwirt, Ortsbürger und Grundeigentümer Bernhard Staubli-Christen zur Aussiedlung entschloss und zur Finanzierung seines Vorhabens die Parzelle 343 «Baumgarten» einwarf. Der ausserordentlichen Ortsbürgerversammlung lag am 31. August 1988 der Antrag vor, 48,52 Aren Bauland zum Preis von 1,915 Millionen Franken zu kaufen, in einem zweiten Schritt konnte das ganze Landstück von 59,56 Aren übernommen werden. Danach ging es zügig. 1991 Projektwettbewerb auf Einladung mit zehn Architekturbüros. 1992 Erschliessung des Baugrundstücks. 1993 Spatenstich. Am 3. September 1994 Einweihung mit Glockengeläute. 1995 legen die Architekten die Bauabrechnung vor.
Das damalige Projekt «Woody», die blaue Siedlung am südlichsten Zipfel des Unterdorfs, wollte Preisgünstigkeit mit Wohnqualität vereinen, und ist zum Erfolgsmodell des sozialen Wohnungsbaus geworden. Darauf dürfen die Joner Ortsbürger stolz sein. «Wenn Wohnen unerschwinglich wird, dann ist es höchste Zeit für ein Eingreifen des Gemeinwesens», hatte Albert Rüttimann vor dreissig Jahren zur Eröffnung des «Baumgarten» gesagt.