Analoge Erfolgsgeschichte
04.02.2025 BremgartenEine spontane Aktion berührte Hunderte Bremgarter – geht es nach den Initiantinnen, soll sie bald eine Fortsetzung finden
Anfang Jahr haben Nina Zuffellato und Doris Dubach damit begonnen, kleine Post-it-Zettel mit Botschaften an einem leeren Schaufenster ...
Eine spontane Aktion berührte Hunderte Bremgarter – geht es nach den Initiantinnen, soll sie bald eine Fortsetzung finden
Anfang Jahr haben Nina Zuffellato und Doris Dubach damit begonnen, kleine Post-it-Zettel mit Botschaften an einem leeren Schaufenster aufzuhängen. Ihrem Beispiel sind Hunderte gefolgt. Die Resonanz war riesig. Nun steht die Aktion vor ihrem vorläufigen Ende – sie soll nach Möglichkeit aber andernorts wieder aufgenommen werden.
Marco Huwyler
Es gibt irgendwo in der Schweiz eine Frau, die wohl nicht der allergrösste Fan der Bremgarter Post-it-Aktion sein dürfte. Seit ein paar Wochen erhält sie nämlich unablässig Anrufe. Und zwar nicht irgendwelche. Es sind interessierte Single-Männer, die sich bei ihr melden. Dabei ist besagte Frau doch längst verheiratet – was sie den entsprechenden Verehrern auch mantraartig mitteilt. Mittlerweile nimmt sie es mit Humor.
«Es ist eine witzige Nebengeschichte unserer Aktion», lacht Nina Zuffellato. Gemeinsam mit ihrer Coaching-Kollegin Doris Dubach hatte die Bremgarterin Anfang Januar in der Altstadt eine Aktion lanciert, die grosse Wellen schlug. Ausgerechnet ein Video auf Tiktok hatte sie dazu inspiriert, ein Projekt ins Leben zu rufen, das zum Lesen und zum Austausch in der analogen Welt animiert. «In letzter Zeit haben viele Leute Videos von ‹Subway Therapy› in New York auf der App gepostet», erzählt Zuffellato. Ein Kunstprojekt mit vielen bunten Notizzetteln auf einer Wand in einer U-Bahn-Unterführung.
Die Idee dahinter: Menschen sollen in der hektischen Umgebung der New Yorker Subway einen Ort finden, an dem sie ihre Gedanken, Gefühle oder persönlichen Erlebnisse anonym und frei ausdrücken können. «Da dachte ich mir – so lässig – so was müsste doch auch bei uns möglich sein!»
«Wir waren überwältigt»
Und weil Zuffellato eine Frau der Tat ist, begann sie die Idee umzusetzen. Nach einem Anruf bei der Stadt und dem Citymanager entstand die Idee, die Bremgarter Zetteli-Aktion am leeren Schaufenster des ehemaligen «Städtli-Shops» entstehen zu lassen. Gemeinsam mit Dubach schrieb sie die ersten paar Botschaften auf Post-its und hängte diese ans verwaiste Schaufenster. Die beiden hinterliessen anschliessend ein paar Stapel Zettel, eine Handvoll Stifte und ermunterten die Passanten, es ihnen gleichzutun. Und tatsächlich – es dauerte nur ein paar Tage, bis mehrere Hundert beschriebene Post-its in allen Farben zu einem bunten und vielbeachteten neuen Hotspot in der Altstadt wurden. Irgendwann war das erste Schaufenster voll und auch das zweite wurde behängt.
«Es ist einfach mega. Wir sind ziemlich überwältigt, was aus dem Ganzen geworden ist», erzählt Zuffellato lächelnd. Die Menschen inspirieren sich gegenseitig. Bleiben stehen. Lesen. Schreiben. Und tauschen sich aus. «Sogar Fremde untereinander. Ältere mit Jüngeren. Es scheint eine richtig verbindende Aktion zu sein, die die Menschen berührt.» Zuffellato erzählt, wie ein älteres Ehepaar sie fragte, ob sie ein paar Zettel mit nach Hause nehmen dürften, um sie dort in Ruhe mit ihren Lebensweisheiten zu beschreiben. Oder wie ganze Schulklassen sich an der Aktion beteiligten. «Es ist einfach durchs Band megaherzig», lächelt sie.
Nur wenig Vulgäres
So sind in den vergangenen rund vier Wochen gegen 1000 Botschaften entstanden, welche die Menschen trotz frostigen Temperaturen zum Verweilen einladen und so richtig entschleunigend wirken im Städtli. Ob Weisheiten, Persönliches, Liebesbotschaften, Witze, Bibelzitate, undundund. Die Bandbreite ist so bunt wie die Farben der Zettel. «Ich fahre rund zweimal pro Woche am Schaufenster vorbei und lese mir die neusten Posts durch», erzählt Zuffellato. Manchmal habe sie einige wenige freche, vulgäre oder rassistische Zettel entfernen müssen. Doch die überwältigende Mehrheit sei positiv, ermutigend und erheiternd. «Ich habe schon oft schmunzeln müssen. Entweder, weil manches wirklich witzig und kreativ ist, oder anderes wirklich herzerwärmend», sagt Zuffellato.
Es gibt sogar solche, die suchen via Post-it-Aktion ihr grosses Glück. Wie eine «attraktive 48-jährige Single-Lady einen Single-Mann» auf einem gelben Post-it – garniert mit der Telefonnummer. Bloss ist auf der handschriftlichen Botschaft bei einer Ziffer nicht ganz klar, ob es sich um eine 5 oder eine 9 handelt. Und so hat die eingangs erwähnte Unbeteiligte ihre Dutzenden Single-Anrufe erhalten.
Neuer Standort gesucht
Weil manche die Nachricht aber richtig entziffern und im anderen Fall das Missverständnis jeweils rasch aufgelöst wird, hat sich auch die richtige Urheberin des Posts inzwischen gleich mit einer Vielzahl an Post-it-Lesenden ausgetauscht und den einen oder anderen sogar schon getroffen. Wer weiss – vielleicht resultiert aus der Bremgarter Zetteli-Aktion tatsächlich auch noch eine grosse Liebesgeschichte ... Zwar endet die Post-it-Aktion im ehemaligen Städtli-Shop heute. «Ich werde die Zetteli schweren Herzens abhängen müssen», seufzt Zuffellato. Doch angesichts der überwältigenden Resonanz würde sie das Ganze sehr gerne woanders weiterführen. Die Bremgarterin befindet sich momentan auf der Suche nach einer geeigneten Lokalität. «Wer etwas weiss, kann sich gerne bei mir melden», sagt sie. In den letzten Wochen habe sie bereits Anfragen aus Aarau, Baden und Zürich erhalten. Doch am liebsten würde Zuffellato die Aktion in Bremgarten weiterbetreiben.
Falls sie fündig wird, werden wohl nicht alle der bisher aufgehängten Post-its den Umzug mitmachen. «Das wäre zu aufwendig. Ausserdem bräuchten wir auch Raum für Neues», lächelt sie. Doch die schönsten Botschaften und Weisheiten will Zuffellato mitnehmen. Sie sollen am neuen Ort überdauern und den Passanten als Denkanstoss und Inspiration dienen. Geht es nach der Bremgarterin, betreibt sie die Postit-Aktion so lange als möglich irgendwo weiter. Auf dass auch künftig ganz viele schöne Botschaften im Herzen der Altstadt platziert werden. Dass eine davon Zuffellatos bisherigen Lieblingszettel toppt, ist aber unwahrscheinlich. Er stammt von ihrer 8-jährigen Tochter: «Das ist meine Mami gewesen. Sie ist die Beste», steht da in herzigster Kleinkinderschrift – wie nur die analoge Welt sie bieten kann.