An ein neues Projekt gewagt
31.12.2024 NiederwilMenschen mit einem besonderen Jahr: Lukas Vock, neuer Gemeinderat in Niederwil
Lukas Vock hat das Erbe seines Vaters fortgeführt und den Wendelinhof ob Niederwil zu einem Vorzeigebetrieb in Sachen Biolandbau und tierfreundliche Haltung gemacht. Nachdem er sich stets ...
Menschen mit einem besonderen Jahr: Lukas Vock, neuer Gemeinderat in Niederwil
Lukas Vock hat das Erbe seines Vaters fortgeführt und den Wendelinhof ob Niederwil zu einem Vorzeigebetrieb in Sachen Biolandbau und tierfreundliche Haltung gemacht. Nachdem er sich stets voll seiner Arbeit gewidmet hat, übernahm er jetzt zusätzliche Verantwortung. Nicht ganz freiwillig, wie er erzählt.
Chregi Hansen
Er erinnert sich noch genau. An der Mäder-Ausstellung Ende 2023 hat alles angefangen. «Ich besuche die eigentlich jedes Jahr. Als Landwirt mag ich den fachlichen Austausch, aber natürlich trifft man viele Leute aus dem Dorf, gehört der Besuch in der Festbeiz auch dazu», erzählt Lukas Vock.
Und in dieser Beiz stiess er vor gut einem Jahr auf den Gesamtgemeinderat, der in globo an einem Tisch sass. Sie winkten Vock zu sich und Ammann Norbert Ender erklärte, dass es einen Rücktritt gibt und darum ein Nachfolger gesucht werde. Ob es sich denn nicht vorstellen könne zu kandidieren, er würde sicher gut passen. «Ich habe zuerst abgewunken. Dachte, das ist nichts für mich», so Vock. Abends hat er dann seiner Frau Esther davon erzählt. Sie hat ihn ermuntert, es doch zu versuchen. «Du brauchst unbedingt ein neues Projekt. Und das wäre eines, von dem ich selbst nicht wieder betroffen bin», sagte sie zu ihm.
Wendelinhof war seiner Zeit stets voraus
Immer wieder Neues wagen, das zieht sich durch das Leben des 47-jährigen Niederwilers. Vermutlich hat er das von seinem Vater geerbt. Der war stets ein Pionier in der Landwirtschaft. Früher war der Wendelinhof oberhalb des Dorfes ein reiner Milchwirtschaftsbetrieb, aufgebaut von Lukas Vocks Grossvater. Dessen Sohn Hans ging neue Wege. Als einer der ersten in der Schweiz setzte er auf Mutterkuhhaltung – das Prinzip hatte er bei einer Reise durch die USA kennengelernt. Weil die Metzger aber sein Fleisch nicht wollten, setzte er auf Direktvermarktung. Die Kunden waren begeistert. Und wünschten sich jetzt auch Geflügelfleisch aus tierfreundlicher Haltung. Worauf sich Hans Vock auf die Suche nach Geflügelrassen machte, die sich dafür eigneten. Auch beim Obstbau, ein weiteres Standbein des Wendelinhofs, ging man neue Wege. Verzichtete aufs Spritzen, setzte auf Bioqualität. «Zuerst ging der Umsatz dramatisch zurück. Aber auf die Länge hat es sich gelohnt», so Vock.
Die Umstellungen waren nicht immer einfach. Biobauern kämpfen mit Absatzproblemen, viele Discounter wollten ihre Waren nicht in ihrem Sortiment. Und sie waren Anfang der 80er-Jahre bei vielen ihrer Berufskollegen eher schlecht angesehen. «Ich habe in meiner Ausbildung eigentlich nie erzählt, dass wir einen Biobetrieb haben», lacht Sohn Lukas. Dabei gehörte der Wendelinhof zu den Gründerbetrieben des Labels von Bio-Suisse und KAG Freiland. Und hat heute einen sehr guten Ruf. «Wir haben nichts zu verstecken. Die Kunden können vorbeikommen und schauen, wie wir unsere Tiere halten. Das machen auch ganz viele.»
Gefragte Truthähne
Absatzprobleme kennt Lukas Vock keine mehr, im Gegenteil. «Wir haben mehr Anfragen, als wir liefern können. Aber wir suchen genau aus, über welche Kanäle wir unser Fleisch anbieten. Vieles geht über den Direktverkauf, daneben haben wir langjährige Partner, etwa Globus Delicatessa», erzählt er. Gleichzeitig hat er in den vergangenen Jahren den Betrieb, den er im Alter von 27 Jahren übernommen hat, immer weiter ausgebaut. Ein wichtiges Standbein ist über die Wintermonate der Verkauf von Trutenfleisch geworden. «Als wir angefangen haben, verkauften wir vielleicht 60 Truthähne pro Jahr. Heute sind es über 1000», so Vock. Die grossen Vögel sind gefragt, sowohl zu Thanksgiving wie zu Weihnachten. Geschlachtet werden sie auf dem eigenen Hof, verkauft zum Teil auch, der Rest wird auf Bestellung ausgeliefert. «Wir versuchen, möglichst viel in den eigenen Händen zu behalten.»
Immer wieder musste Vock den Hof aus- und umbauen. «Der Betrieb ist stark gewachsen. Und ich habe immer wieder neue Projekte angefangen. Meine Frau musste das immer mittragen», schaut Vock auf die vergangenen Jahre zurück. Auch darum ihr dezenter Hinweis, er solle sich ein neues Projekt suchen, das nicht mit dem Hof zusammenhängt. Jetzt ist Lukas Vock also Gemeinderat in Niederwil.
Mehr Kontakte ins Dorf
Anfang April wurde er mit einem Glanzresultat gewählt. Der Vater zweier eigener Kinder und zweier Stiefkinder hatte sich zuvor schon während über 20 Jahren in der Feuerwehr für die Allgemeinheit eingesetzt. «Nach dem Austritt hat mir etwas gefehlt», sagt er schmunzelnd. Als Landwirt mit einem Hof ausserhalb des Dorfes fehlt eben zum Teil etwas der Kontakt. Dank seinem neuen Amt ist er jetzt häufiger im Dorf anzutreffen. Wobei der Anfang nicht so einfach war. «Ich habe nicht so genau gewusst, was auf mich zukommt. Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser», schaut er zurück. In einen riesigen Aktenberg musste er sich erst einarbeiten.
Als Landwirt der Natur Sorge tragen
Und: «Mit den vertieften Einblicken in die verschiedenen Geschäfte musste ich meine frühere Meinung oft revidieren», gibt er zu. Doch seine Meinung revidieren, das musste er schon oft. Etwa, als es um die Förderung der Biodiversität ging und das Labiola-Programm des Kantons Aargau. «Ich dachte immer: Wir sind ein Biobetrieb, wir machen schon viel. Doch bei der ersten Überprüfung war unsere Punktzahl recht bescheiden», berichtet er. Anfangs habe er die verschiedenen Massnahmen nur widerwillig umgesetzt. «Bald habe ich gemerkt, welche Erfolge sich zeigen. Heute habe ich richtig den Plausch, wenn ich sehe, wie sich die Natur entwickelt.» Als Landwirt müsse er zwar produzieren und Gewinn erwirtschaften, aber man müsse eben auch Sorge zur Umwelt tragen.
Natürlich gebe es Berufskollegen, die über die Vorschriften fluchen. «Aber die Bevölkerung will mehr Biodiversität. Also setzen wir das um.» So einfach ist das für Lukas Vock. Er sieht die Vorgaben nicht die Einschränkungen, sondern erkennt eben auch die Chancen. Seit diesem Jahr macht die ganze Niederwiler Landwirtschaft mit beim Labiola-Projekt. Den Anstoss dazu gab der Reusspark mit der Neuverpachtung seiner grossen Flächen. Aber auch Lukas Vock hat dazu beigetragen, seine Kollegen von den Vorteilen zu überzeugen, gehörte er doch zu denen, die schon vorher dabei waren. Er findet das System auch gerechter als die bisherige Praxis der Direktzahlungen. «Ich erhalte Geld für eine Leistung, die ich zugunsten der Allgemeinheit erbringe», sagt er. Und an einer schönen Blumenwiese oder den vorbeiflatternden Schmetterlingen hat er auch selbst Freude.
Plötzlich mehr im Rampenlicht
Doch zurück zu seinem neuen Amt als Gemeinderat. Da kümmert er sich nicht nur um die Landwirtschaft, sondern um ganz viele Themen. Als spannend empfindet er die Arbeit, als äussert konstruktiv die Zusammenarbeit mit den Gemeinderatskollegen. «Ich musste meine Rolle erst finden. Man hat ja gewisse Vorstellungen, wenn man ein solches Amt übernimmt. Nicht alles lässt sich aber einfach umsetzen», schaut er auf die ersten Monate zurück. Er musste sich auch daran gewöhnen, dass er nun häufig angesprochen wird im Dorf oder Sitzungen leiten oder Anliegen in der Öffentlichkeit vertreten muss. «Das ist eigentlich nicht mein Ding. Ich agiere lieber im Hintergrund, musste mich anfangs erst überwinden», schmunzelt er. Eine Figur des öffentlichen Lebens zu werden, das fiel ihm nicht leicht.
Und es sei auch nicht immer einfach, die Arbeit als Landwirt und die Aufgaben als Gemeinderat unter einen Hut zu bringen. «Wenn die Erntemaschine auffährt, kann ich nicht einfach zu Besprechungen abhauen», macht er ein Beispiel. Zum Glück unterstütze ihn der Gemeindeschreiber bei der Koordination der Termine. «Und auch die anderen Gemeinderäte haben Verständnis, dass ich nicht immer weg kann vom Hof.» Inzwischen hat er Freude an seinem Amt. «Wir sind ein lebendiges Dorf. Die Niederwiler Bevölkerung ist kritisch. Aber wenn wir als Gemeinderat transparent informieren und unsere Entscheide begründen, dann steht sie hinter uns», hat er erfahren.
Sinnfrage gestellt
Die Herausforderungen werden nicht kleiner. Mit der Swissgrid-Leitung, dem Hochwasserschutz, der Verbesserung des Schulwegsicherheit und der Zusammenführung von Bauamt und Hauswartung zum Technischen Dienst warten anspruchsvolle Projekte auf Lukas Vock. Vieles ist noch immer neu für ihn. Trotzdem gefällt ihm das Amt. «Es ermöglicht ganz neue Blickwinkel.» Zudem tue es gut, etwas zu machen, was nicht mit dem eigenen Hof zu tun habe. «Der Betrieb ist ständig gewachsen. Wir habe immer investiert, saniert, ausgebaut. Die Zahl der Mitarbeitenden hat zugenommen. Aber irgendwann stellt sich eben die Frage: Wofür tue ich das alles? Muss der Betrieb wirklich immer weiter wachsen?»
Jetzt hat er den Betrieb restrukturiert, habe sich Luft verschafft für anderes, das tue gut. «Vorher war ich gedanklich fast immer mit dem Hof beschäftigt. Das war nicht gesund», sagt er. Insofern hat ihm der Ratschlag seiner Frau sehr geholfen. Arbeit auf dem Hof gibt es für Esther Vock aber immer noch genug. Gerade in der Weihnachtszeit, wenn die Nachfrage nach Rindfleisch und Truthähnen explodiert und sie die Auslieferungen organisiert. «Ich weiss nicht, wie ich das ohne sie alle schaffen würde», gibt Lukas Vock zu. Womit sich das Sprichwort bestätigt, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht. Und dass mancher eben zu seinem Glück gezwungen werden muss. «Ich hätte mir vor einem Jahr nicht vorstellen können, Gemeinderat zu werden. Heute bin ich es sehr gerne.»