Alles anders in Freiburg
10.01.2025 SportGlücklich in der Bundesliga
Die Freiämter Fussballerin Julia Stierli wagte den Schritt in die Deutsche Bundesliga zum SC Freiburg – und ist glücklich damit. Die Nati-Spielerin ist glücklich und in Topform. Und das zum perfekten Zeitpunkt, denn im ...
Glücklich in der Bundesliga
Die Freiämter Fussballerin Julia Stierli wagte den Schritt in die Deutsche Bundesliga zum SC Freiburg – und ist glücklich damit. Die Nati-Spielerin ist glücklich und in Topform. Und das zum perfekten Zeitpunkt, denn im Juli findet die Heim-EM statt. --spr
Ein Treffen mit Julia Stierli in Freiburg – die Profifussballerin blickt voraus auf die Heim-EM im neuen Jahr
Adieu Komfortzone. Nach 10 Jahren beim FC Zürich wechselte Julia Stierli im Sommer nach Deutschland. In Freiburg fühlt sie sich rundum wohl und ist Stammspielerin. Die Murianerin spricht über ihre erste Rote Karte der Karriere und von der Heim-Europameisterschaft im Juli, «die ein Traum wird».
Stefan Sprenger
Das Treffen endet mit einem Vollsprint. Ein schwarz-weisses Tram fährt am Hauptbahnhof in Freiburg ein. «Tram Nummer 1. Das ist meines. Ich muss los», sagt Julia Stierli und rennt hinterher. Die schnelle Fussballerin ist rechtzeitig da, schwingt sich rein und winkt nochmals freundlich. Es ist ein letzter Eindruck, der den ersten bestätigt: Julia Stierli ist in Freiburg angekommen und fühlt sich sichtlich wohl.
Erstmals hat sie abends frei
Rund 240 000 Einwohner hat Freiburg im Breisgau. Die Stadt gilt als bodenständig und wird stets als vorbildlich und sympathisch bezeichnet. Irgendwie passen diese Adjektive auch zu Julia Stierli. Auch sie ist eher ruhig, ein demütiger Mensch ohne grosse Allüren. Freiburg und Julia Stierli – das passt perfekt.
Sie hat es bereits geahnt, dass es ihr gefallen würde. Aber sicher kann man sich nie sein. Stierli wagt im vergangenen Sommer den Schritt in die Deutsche Bundesliga. Sie verlässt ihre Komfortzone, den FC Zürich. Nach 10 Jahren, nach vielen Champions-League-Einsätzen, sechs Meistertiteln und fünf Cupsiegen, sagt die Abwehrspielerin «Tschüss» und beginnt ein neues Kapitel in Freiburg. Klassisch sagt sie: «Ich wollte eine neue Herausforderung.» Und die hat sie gefunden.
Im Café Hermann, einem In-Lokal in Freiburg, sitzt sie lächelnd am Tisch und trinkt eine warme Schokolade. «Ja. Ganz sicher. Alles hat sich geändert. Mein Leben sieht komplett anders aus», erklärt die Murianerin.
Work-Fussball-Life-Balance
Seit 15 Jahren ist sie im Spitzenfussball unterwegs, aber erstmals hat sie abends frei. In der Schweiz ging sie tagsüber ihrem Physiotherapie-Studium nach, trainiert wurde mehrheitlich abends. Doch in Freiburg sind die Strukturen professioneller, alle Spielerinnen sind Profis und es wird tagsüber trainiert. Was das für sie bedeutet: «Mehr Zeit für Regeneration. Mehr Zeit für mich.» Gerade die letzten Jahre waren teilweise anstrengend und intensiv, auch wegen ihres Studiums (das sie 2024 erfolgreich abschloss). «Jetzt lebe ich nur vom Fussball. Und ich geniesse das.» Die Work-Fussball-Life-Balance – wenn man es so nennen will – passt in Freiburg optimal.
Ein Buch im Sonnenuntergang: «Einfach herrlich»
Sie erinnert sich gerne an die spätsommerliche Zeit. An jenen warmen Abenden schnappte sie sich ein Buch, den Fantasy-Roman «Outlander», spazierte zu einem Aussichtspunkt nahe ihrer Wohnung im Ortsteil Kappel und setzte sich hin. «Im Sonnenuntergang las ich dann und genoss die Zeit, einfach herrlich.» Wenn sie Freizeit hat, geht sie mit Kolleginnen einen Kaffee trinken und sie hat sich sogar erstmals in ihrem Leben ein Netflix-Abo gelöst, «das ich aber selten nutze», wie sie lachend sagt. «Ich nehme mir bewusst Zeit für mich. Es sind keine weltbewegenden Dinge. Aber dennoch unglaublich wertvoll.» Mit dem Roller oder dem Velo fährt sie jeweils ins Training, findet auch die Altstadt «wunderbar». «Und Freiburg hat einen ökologischen Touch. Es ist zwar eine Stadt, aber in die Natur ist es nicht weit. Alles Dinge, die ich mag und schätze.»
Durchschnittlich 3609 Fans an den Heimspielen
Als Mensch fühlt sie sich pudelwohl. Die Veränderung hat ihr gutgetan. Auch mal etwas weiter weg von der Heimat zu sein, wirkt sich positiv aus. Natürlich auch sportlich. Der Sport-Club, «SC» genannt, ist in der Stadt omnipräsent und beliebt. Im Dreisamstadion, wo die Frauen des SC Freiburg spielen, kommen in dieser Saison durchschnittlich 3609 Zuschauer. Wenn Bayern München anreist, sind es gar über 7000 Menschen. «Die Unterstützung der Fans in der Bundesliga ist einzigartig», sagt Stierli. Im neuen Team sei sie sehr schnell angekommen. «Meine Mitspielerinnen und der ganze SC Freiburg haben es mir auch leicht gemacht, mich wohlzufühlen», sagt die 27-Jährige. Freiburg sei für sie eine «Ausland-Light-Version». Stierli macht ihre Erfahrung im Ausland und ist dennoch nahe der Heimat. «Ich schätze das sehr.» Ihre fussballverrückte Familie Stierli aus Muri kann sie so oft besuchen. Und tut das natürlich auch.
Die allererste Rote Karte der Karriere am 14. Oktober 2024
Im Team gehört sie mit ihren 27 Jahren zu den älteren Spielerinnen. «Ich will mit meiner Erfahrung helfen», sagt die Verteidigerin. Und die Vorrunde verlief sehr zufriedenstellend für den SC Freiburg. Das Team steht auf dem 5. Rang. Und auch Julia Stierli – die von den Rasenverhältnissen in Deutschland schwärmt – kann sagen: «Es läuft auch mir persönlich gut.» Sie liefert starke Leistungen ab und hat ihren Stammplatz in der Abwehr. Und das trotz viel besserem Niveau in der Deutschen Bundesliga. Stierli stand auch meist 90 Minuten auf dem Platz, ausser in zwei Spielen. Und dies, weil sich etwas Aussergewöhnliches ereignet hat. Am 14. Oktober kassierte sie im Spiel gegen Eintracht Frankfurt eine Rote Karte. «Als ich acht Jahre alt war, startete ich beim FC Muri meine Fussballzeit. Und jetzt erhielt ich die allererste Rote Karte meiner Karriere.» Eine Notbremse kurz nach der Halbzeit führte zum Platzverweis. Freiburg verlor 0:6. Stierli sagt augenzwinkernd: «Und für mich war es eine neue Erfahrung.»
Auch in Deutschland scheffelt Julia Stierli nicht Millionen als Profifussballerin. Ihr Lebensstil ist schlicht, bescheiden. Aber sie kann sich alles leisten, was sie will. «Ich gehe nicht in die Gucci-Läden, deshalb passt das schon», sagt sie lachend. Sie verzichtet auch bewusst auf die sozialen Medien. Instagram braucht sie nicht, «weil es mich nicht reizt. Es wäre ein Zeitfresser.» Dennoch hat sie im Vergleich zur Schweiz mehr Aufmerksamkeit, dazu mehr Kontakt mit den Fans, gepaart mit Autogrammstunden. «Es ist alles ein wenig grösser und professioneller.»
Ein halbes Jahr und dann folgt der riesige Höhepunkt
Ein schönes Ding wird auch im Jahr 2025 auf sie zukommen. Die Heim-Europameisterschaft in der Schweiz vom 2. bis 27. Juli. «An der EM dabei sein zu können, wäre ein Traum», sagt Stierli. Diese Heim-EM wird ein Höhepunkt für den Frauenfussball, das ganze Land und natürlich auch für sie. «Mit den Heimfans im Rücken liegt etwas drin», meint sie.
Ende November 2024 spielte die Schweiz im Zürcher Letzigrund gegen Deutschland. Stierli stand 90 Minuten auf dem Platz. Das Positive: Es gab einen Publikumsrekord mit 17 000 Fans. Das Negative: Die Schweiz verlor mit 0:6, auch weil viele Stammkräfte verletzt fehlten. «Für den Frauenfussball hat es mich sehr gefreut, dass so viele Leute gekommen sind. Die Leistung und das Resultat waren aber enttäuschend.»
Es ist klar, dass man an der Heim-EM im Juli ein anderes Bild abgeben will. Julia Stierli will im Sommer so fit wie möglich sein. «Ich bin optimistisch, dass es ein Fest für den Frauenfussball gibt und dass wir als Team eine starke Endrunde zeigen.»
EM-Ziel: «Gruppenphase überstehen»
Ob sie spielen wird? «Ich hoffe es.» Die Gegnerinnen der Schweiz – die erst vor wenigen Wochen ausgelost wurden – heissen Norwegen, Island und Finnland. Stierli ordnet ein: «Eine spannende und ausgeglichene Gruppe. Mit Norwegen und Island spielen wir gegen Länder, die auch im Frühling in der Nations League unsere Gegnerinnen sein werden. Unser Ziel ist es natürlich, die Gruppenphase zu überstehen. Und dann kann alles passieren.» Der Fahrplan: Im Februar ist Nati-Zusammenzug und es stehen Spiele in der Nations League an, ebenso im April. Im Juni startet dann die Vorbereitung auf die EM.
Im Café Hermann in Freiburg neigt sich das Gespräch dem Ende zu. «Ich bin glücklich hier, es macht Spass. Es gefällt mir wunderbar in Freiburg», sagt Stierli und untermauert nochmals ihre aktuell hervorragende Verfassung als Mensch und Fussballerin. Kurz vor dem grössten Karriere-Highlight, der Heim-EM, scheint sie topfit zu sein. «Ich blicke nun positiv auf die Rückrunde in der Bundesliga. Und dann ist es bald Juli. Endlich. Denn wir reden jetzt schon seit einiger Zeit von dieser Heim-EM», sagt Stierli und strahlt erneut aus lauter Vorfreude. Sie lächelt, sprintet dem Tram Nummer 1 hinterher und winkt zum Abschluss nochmals zufrieden.