Bordoli in guter Erinnerung
07.04.2020 SportIn der Saison 2010/11 war Livio Bordoli Trainer des FC Wohlen in der Challenge League. Damals geriet der FCW in arge Abstiegsnöte und der Tessiner wurde entlassen. Der sympathische Bordoli hat aber positive Spuren in den Niedermatten hinterlassen. Auch er sagt: «Wohlen löst gute ...
In der Saison 2010/11 war Livio Bordoli Trainer des FC Wohlen in der Challenge League. Damals geriet der FCW in arge Abstiegsnöte und der Tessiner wurde entlassen. Der sympathische Bordoli hat aber positive Spuren in den Niedermatten hinterlassen. Auch er sagt: «Wohlen löst gute Gefühle in mir aus.» Der 56-Jährige ist heute der technische Leiter des Tessiner Fussballverbandes. Er wohnt mit seiner Familie in Bellinzona und erlebt aufgrund des Coronavirus schwierige Zeiten. --spr
«Hier im Tessin ist alles dicht»
Fussball, Serie «Die schillernden Namen des FC Wohlen, was machen sie jetzt?»: Livio Bordoli
Er war nicht einmal eine ganze Saison beim FC Wohlen – und doch hat er in den Niedermatten grosse Spuren hinterlassen. «Ohne zu schleimen: Ich mag Wohlen sehr», sagt der 56-jährige Livio Bordoli. Heute ist er der technische Leiter des Tessiner Fussballverbandes. Und erlebt schwierige Zeiten in der Südschweiz.
Stefan Sprenger
Die Pleite am 8. Mai 2011 war zu viel. Vor fast 5000 Zuschauern im Stade de Genève sind beim FC Wohlen namhafte Spieler dabei. Sie heissen Michael Winsauer, Piu, Pascal Renfer, Giovanni Proietti, Leonel Romero, Alban Pnishi, Simon Roduner – und natürlich Alain Schultz. Trotzdem verliert Wohlen mit 0:3. Der Abstand auf einen Abstiegsplatz beträgt nur noch zwei Punkte. Damals gibt es noch 16 Mannschaften und zwei Absteiger.
Die wohl «liebevollste» Entlassung der FCW-Geschichte
Die Führungsetage des FCW muss handeln. Trainer Livio Bordoli wird entlassen. Am Tag der Trennung war Bordoli enorm souverän und sagte: «Ich verstehe den Entscheid. So ist Fussball. Ich hatte hier trotzdem eine tolle Zeit. Alles ist gut.» Es war wohl die «liebevollste» Trainerentlassung der 16-jährigen Challenge-League-Geschichte des FC Wohlen.
So ist er eben. Ein lieber Kerl, ein Fussballkenner, ein Mann mit sozialer Stärke und guter Selbstreflexion. Nach der FCW-Zeit blieb er Trainer, unter anderem bei Chiasso, Bellinzona, Lugano, Aarau und zuletzt 2018 in Winterthur. Dort hätte man ihn gerne behalten. Und auch er wäre gerne geblieben. Doch er kriegte ein lukratives Angebot. «Als zweifacher Familienvater, als Tessiner und Mann über 50 Jahre musste ich dieses tolle Angebot einfach annehmen», wie er sagt. Bordoli ist seit zwei Jahren der technische Leiter des Tessiner Fussballverbandes. Er gibt Kurse, leitet Trainings, besucht die Vereine und kümmert sich um diverse Anliegen der Fussballclubs in der Südschweiz. Und so wird er wohl bis zu seiner Pensionierung mit dem Fussball seinen Lebensunterhalt verdienen können. «Das war immer mein Traum», sagt der 56-Jährige.
Profikicker sollten ein wenig auf Lohn verzichten
Momentan hat er wenig zu tun. Das Coronavirus ist im Tessin noch ein wenig heftiger zu spüren als in der Deutschschweiz. «Hier im Tessin ist alles dicht. Bis Mai wird niemand trainieren. Ich vermute, diese Saison wird abgebrochen. Ich bin jedenfalls schon an der Planung für nächste Saison.» Bordoli fragt sich zu Recht: «Wie will man es verantworten, diese Saison zu Ende zu spielen? Das geht nicht.» Auch danach herrschen viele Fragezeichen – erst recht in der Südschweiz, die in unserem Land am meisten COVID-19-Fälle aufweist. Bordoli stellt sich vor: «Die neue Saison startet im Spätsommer. Abstand zu halten, ist im Fussball unmöglich. Was ist, wenn dann ein Fussballer infiziert ist? Was ist mit den Fans im Stadion?»
Bordoli weiss, dass viele Mannschaften auch finanziell mit der Situation zu kämpfen haben. «Doch die Gesundheit steht über allem.» Für die Teams in der Super League hat er einen Tipp: Die gut verdienenden Profikicker sollten einfach ein wenig auf ihren Lohn verzichten und die Topteams hätten weniger Probleme mit den Finanzen. Allgemein findet Bordoli: «Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um mit den teilweise riesigen Fussballerlöhnen etwas auf den Boden zu kommen.» Was die Challenge League betrifft, wo die Kicker einen «normalen» Lohn erhalten, kann er die Probleme viel eher nachvollziehen.
Er persönlich hat vermehrt Zeit für seine Freundin Mimosa Bajrami und die gemeinsamen Kinder Evelyne (7) und Leandro (4). Besonders der Sohn hält die beiden auf Trab. «Der ist ein richtiges Energiebündel», lacht der stolze Papa. Er verbringt Zeit mit der Familie, geht manchmal spazieren oder joggen. Und sonst ist er nur zu Hause. «Ausser ich gehe ins Büro.» Das gibt einen gewissen Tapetenwechsel. Bordoli wohnt in Bellinzona und fährt manchmal in sein Büro nach Giubiasco. «Dort bin ich alleine.»
Nähe zu Italien: «Wir leiden mit»
Er sagt über die Situation im Tessin: «Vor einem Monat hat man die Sache noch nicht sehr ernst genommen. Heute haben die Menschen grossen Respekt. Durch die Nähe zu Italien ist die Situation hier sehr angespannt. Wir leiden mit. Es ist nicht einfach.» Auf die Frage, ob er denn Leute kennt, die infiziert sind, antwortet er: «Ja, ich kenne ein paar Leute. Hier im Tessin kennen alle jemanden, der das Virus hat.» Auf die rund 350 000 Einwohner kommen (Stand gestern Donnerstag) 177 Todesfälle und über 2500 bestätigte Fälle. Experten vermuten, dass der Höhepunkt in der Südschweiz unmittelbar bevorsteht. «Die Situation ist schwierig momentan, aber wir gehen positiv in die Zukunft. Ich denke aber, wir werden frühestens im Mai ein kleines Stückchen und ganz langsam zurück in die Normalität gehen», so Bordoli.
Herzlicher Empfang in Wohlen mehr wert als jedes Tor
Vor den bevorstehenden Ostertagen appelliert er an die Deutschschweizer, doch bitte zu Hause zu bleiben. Die Läden und Restaurants haben alle geschlossen, die Polizei macht Kontrollen, die Spitäler sind gut gefüllt. «Kommt nächstes Jahr, das Tessin ist auch dann noch wunderschön», so Bordoli. Selbst er, der im Tessin lebt, bleibt seinem Ferienhaus im Verzascatal fern. «Wir müssen nun alle verzichten.»
Um die Geschichte nicht mit dem Coronavirus zu beenden, erzählt Livio Bordoli aus seiner Zeit beim FC Wohlen. Er habe sehr schöne Emotionen, wenn er an die Zeit im Freiamt zurückdenkt. Die Leute mochten ihn, und er mochte die Wohler. «Als ich die Jahre darauf mit anderen Teams zu Gast in den Niedermatten war, wurde ich immer sehr herzlich empfangen. Das war für mich mehr wert als jedes Tor. Heute kann ich ohne zu schleimen sagen: Ich mag Wohlen sehr. Eine meiner besten Stationen als Trainer. Ein kleiner, fairer Profiverein mit tollen Menschen, der 16 Jahre lang einen hervorragenden Job machte in der Challenge League. Das ist unglaublich stark.» Und er selbst war Teil dieses starken Fussballmärchens. Und darauf sei er stolz. Etwas störte ihn jedoch bei seinem Engagement in Wohlen oftmals: Der Nebel bei den morgendlichen Niedermatten-Trainings. «Ich erinnere mich an ein Training, da konnte man nicht mehr erkennen, wo das Tor stand.» Auch deshalb passt es ihm in seiner Heimat Tessin wohl etwas besser.



