AUS DEM GROSSEN RAT
27.06.2025 Grosser Rat, Kolumne, WohlenHarry Lütolf, Die Mitte, Wohlen.
Im falschen Film
«Willkommen zurück im Mittelalter», ist mir durch den Kopf gegangen, als die Sexualkunde einmal mehr durch die SVP und die EDU im Grossen Rat zum ...
Harry Lütolf, Die Mitte, Wohlen.
Im falschen Film
«Willkommen zurück im Mittelalter», ist mir durch den Kopf gegangen, als die Sexualkunde einmal mehr durch die SVP und die EDU im Grossen Rat zum Thema gemacht wurde. Die beiden Rechtsparteien beargwöhnen regelmässig den obligatorischen sexualkundlichen Unterricht an unseren Schulen. Weil dieser Unterricht nicht der Weltanschauung der beiden Rechtsparteien entspricht. Mit ihrer neusten Forderung in Form einer Motion wollten die SVP und die EDU doch tatsächlich die Lehrerschaft an allen Aargauer Schulen dazu verpflichten, die Erziehungsberechtigten «mit angemessener Vorlaufszeit» zu informieren, wenn Unterrichtseinheiten zu Sexualkunde-Themen unter Beizug von Fachpersonen geplant sind. Die beiden Rechtsparteien haben offensichtlich wenig Vertrauen, dass unsere Lehrerschaft auch diese wichtigen Themen sorgsam an unsere Schulkinder heranträgt. Das nicht offen ausgesprochene Ziel der Motionäre war klar: Mit einer obligatorischen Vorwarnung sollten besonders sittsame Eltern die Möglichkeit erhalten, ihre Kinder rechtzeitig aus der Schule zu nehmen, um sie so vor dem «schädlichen» sexualkundlichen Unterricht zu verschonen. Nach der Diskussion im Grossen Rat haben die beiden Rechtsparteien die Sinnlosigkeit ihrer Forderung offenbar eingesehen, sie zogen ihre Motion nämlich zurück.
Die 2. Beratung zum Gesetz über die Umsetzung der Amtsenthebungsinitiative war ein trauriger Tag für die Demokratie! Was die FDP, die SVP und die EDU bei diesem Geschäft geboten haben, ist eine Frechheit! Die Leserschaft erinnert sich: Rekordverdächtige 84,32 Prozent der Stimmberechtigten haben vor drei Jahren die sogenannte
Amtsenthebungsinitiative angenommen. Die Initiative wurde von der damaligen BDP lanciert, die später in der Mitte-Partei aufgegangen ist. Der Grosse Rat hat vom Volk den Auftrag erhalten, diese angenommene Initiative in einem Gesetz im Detail zu regeln. Klar war immer die Absicht der Initiative: Ein Behördenmitglied im Kanton soll des Amtes enthoben werden können, wenn dieses zum Beispiel eine schwere Straftat begangen hat.
Der FDP, der SVP und der EDU war dieser Volksauftrag ganz offensichtlich wurst. Die besagten Parteien wollten wie die alte Fasnacht erst in der 2. Beratung diverse Ausnahmen ins Gesetz festschreiben. Damit wäre die Amtsenthebungsinitiative aber zahnlos geblieben. Ein Affront gegen die Stimmbürgerschaft in diesem Kanton.
Den Vogel abgeschossen hat dann noch die SVP, die völlig überraschend und chaotisch eine Rückweisung des Geschäfts an den Regierungsrat verlangte. Die FDP unterstützte diesen Rückweisungsantrag mit der lapidaren und arroganten Begründung: Man war schon immer gegen ein solches Gesetz, die Vorlage müsse mindestens «entschlackt» werden. Das ist übelste Arbeitsverweigerung und Missachtung eines überdeutlichen Volksentscheids!
Der Rückweisungsantrag wurde dann mit 68:63 Stimmen angenommen. Die Mitglieder der unterlegenen Parteien und auch der durch das Vorgehen der SVP und der FDP völlig überrumpelte Regierungsrat wähnten sich im falschen Film.