Wie ein Chor mit 50 Stimmen
05.11.2021 MuriMichaela Allemanns Projekt «druckreif!#ch2021» befasst sich mit der Schweizer Frauengeschichte
Alles Monotypien. Keine Farbnuance ist wie die andere. Keine Frau, von der ein Zitat stammt, ist wie die andere. Dass die Frauen in der Schweiz vor 50 Jahren ihr Stimm- ...
Michaela Allemanns Projekt «druckreif!#ch2021» befasst sich mit der Schweizer Frauengeschichte
Alles Monotypien. Keine Farbnuance ist wie die andere. Keine Frau, von der ein Zitat stammt, ist wie die andere. Dass die Frauen in der Schweiz vor 50 Jahren ihr Stimm- und Wahlrecht erhielten, machte die Künstlerin zu ihrem Jahresthema und brachte sie in die Politik. Ihr Werk ist bis am Sonntag im Singisenforum zu sehen.
Annemarie Keusch
Junge Frauen, reifere Frauen, bereits verstorbene Frauen. Pionierinnen, wie Iris von Roten, die als solche in die Geschichte eingingen. Frauen, die sich als erste in einer Berufsgattung etablierten, Bundesrichterin wurden zum Beispiel. Aber auch Frauen, die im Kleinen, im Regionalen für das Frausein einstehen. Sie alle sprechen seit rund einem halben Jahr zu den Besucherinnen und Besuchern des Singisenforums. Wie viele andere Kunstschaffende aus der Region reichte Michaela Allemann ihr Projekt für das Freiämter Kunsthappening ein. Seither füllen ihre im Bleisatz von Hand gedruckten Statements kontinuierlich eine ganze Wand. Immer wieder kamen neue dazu, bei der Finissage am Sonntag hängt Allemann das 50. Werk auf.
Kunst spielt im Leben der Murianerin seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle. «Blick- & Sprachwerk» nennt sie das, was sie im Atelier in Emmenbrücke gestalterisch umsetzt. Als Hobby würde sie es nicht bezeichnen. «Diese Arbeit verstehe ich als gleichwertig mit meiner Lohnarbeit als Schulische Heilpädagogin. Ich stehe beruflich bewusst auf zwei Beinen, die eine Tätigkeit inspiriert die andere.» Worte, Texte, Lettern, Allemann hat eine grosse Affinität für Schriftzeichen und sucht immer wieder neue Techniken, diese bildnerisch darzustellen und in den Dialog mit Menschen zu bringen.
Geschichte der Frauen in der Schweiz
Sieben Jahre ist es her, dass Michaela Allemann im Zuge der Umbauten an der Schule Hünenberg, wo sie tätig ist, in Besitz einer Letterpress aus dem Jahr 1961 kam. Über einige Begegnungen und Zufälle kam sie in Kontakt mit einem Drucker und Setzer, der sie das Handwerk lehrte. Grosse Unterstützung erfuhr sie dabei auch von ihrem Mann Martin. «Als Jugendlicher half er, den ‹Freischütz› zu drucken. Das Metier begeistert uns beide.» So sassen sie an manchen Wochenenden gemeinsam bis zu vier Stunden an der Arbeit, bis eine einzige Platte für das Drucken eines Frauenzitates fertig gesetzt und gedruckt war.
Ende letzten Jahres fing Michaela Allemann an, sich intensiv mit der Geschichte der Frauen in der Schweiz zu befassen. Allemann las Bücher, informierte sich im Internet, führte Gespräche. Und sie wurde sich wieder bewusst, welche Bedeutung und Dringlichkeit das Thema auch in ihrer Biografie hatte.
Spontan angemeldet und gewählt
Heute strahlt Michaela Allemann wenn sie vor der Wand im Singisenforum steht. «Wie ein Chor mit 50 Stimmen», sagt sie. 50 Stimmen, die sich rund um das Frausein äussern. «Das Thema hat mich selber stark beschäftigt, als mir mit rund 14 Jahren bewusst wurde, dass ich die ersten sieben Jahre meines Lebens nicht die gleichen Rechte hatte wie mein jüngerer Bruder. Das empörte mich.» Auch später erlebte sie immer wieder, dass es Unterschiede gibt. Etwa dann, als sie aufs Gymnasium wollte, die Antwort ihrer Eltern aber war, dass dies unnötig sei, da sie ohnehin heiraten werde. Und als sie sich mit einer Kollegin 1997 im Job-Sharing für eine Stelle als Primarlehrerin bewarb, war die Antwort: «Was fällt euch ein. Ihr habt doch Männer, die Geld verdienen.»
Bei der Recherche zur Frauengeschichte stiess Michaela Allemann auf viele Pionierinnen. «Ich bin ihnen allen unglaublich dankbar. Mein Kunstprojekt widme ich ihnen.» Sie stiess aber auch auf die Alliance F, die Stimme der Frauen in der Schweizer Politik. «Per Zufall. Und das just eine Woche vor dem Anmeldeschluss für die Frauensession.» Spontan registrierte sie sich. «Gänzlich ohne Ambitionen, da ich kein politisches Netzwerk hatte», wie sie betont. Allemann spricht von einem Moment grosser Freude, als sie von ihrer Wahl erfuhr. Dass sie eine von 200 Frauen ist, die neben den 46 professionellen Politikerinnen Teil der Frauensession sein kann, beschreibt sie als Glücksmoment, der ihr in der Folge viele Türen öffnete, auch die Drehtür des Bundeshauses. Gesamthaft bewarben sich schweizweit 1400 Frauen für die Session.
Auf Platz 105 im Nationalratssaal
Zwei Tage verbrachte Allemann am letzten Wochenende im Bundeshaus. «Die Divesität der Frauen spiegelte für mich in schönster Form unsere Gesellschaft und diese Qualität haben wir in allen engagiert und professionell geführten Debatten ergänzend genutzt», sagt sie. Für Allemann war es die erste «offizielle» politische Tätigkeit. «Ich verstehe mich zwar als politisch interessierte Frau, lese Zeitungen, bringe in meinem Kunstschaffen politische Themen zum Ausdruck, debattiere gerne im Freundeskreis, stimme regelmässig ab und auch mein heilpädagogisches Engagement für die Inklusive Bildung gehört in dieses Feld. Mehr aber nicht», sagt sie. Nun hat sie neue Erfahrungen gemacht. Auf Platz 105 nahm sie am Wochenende im Nationalratssaal Platz. Allemann erwähnt den speziellen Spirit, der im Raum geherrscht habe, die spezielle Kraft, etwas verändern zu wollen. «Es fühlte sich an, wie die Geschichte der Pionierinnen von damals weiterzuschreiben. Dass ich ‹mitschreiben› durfte, erfüllt mich mit Dankbarkeit und Genugtuung. Dass gleich drei Bundesrätinnen und ein Bundesrat zu uns gesprochen haben, empfand ich als besondere Ehre und Freude.»
Und Allemann wagte sich auch vors Mikrofon, als dieses für alle Votantinnen und für alle möglichen Themen offen war. Als Vertreterin von Bildung und Kultur sprach sie zum Thema Chancengerechtigkeit. Allemann will, dass die an der Frauensession besprochenen Themen nun nicht in einer Schublade verschwinden. «Es gibt nach wie vor viel Handlungsbedarf», betont sie. Die 46 Profi-Politikerinnen tragen die 23 Petitionen der Frauensession nun weiter ins Parlament. Allemann hofft, dass sich im Zuge der Frauensession viele junge Frauen ermutigt fühlen, sich künftig in der Politik zu engagieren.
Die Finissage der dritten Staffel des Freiämter Kunsthappenings, an dem Michaela Allemann ihr Projekt «druckreif!#ch2021» über alle drei Staffeln hinweg präsentieren konnte, feiert übermorgen Sonntag, 14 Uhr, Finissage. Mehr Infos zu Michaela Allemann: www.blickundsprachwerk.ch.