«Durchhaltewillen gehört zur Politik»
06.08.2021 Politik«Auf einen Espresso …» mit Harry Lütolf, er gründete mit Gleichgesinnten vor 25 Jahren die erste Jungpartei im Bezirk
Er gründete vor einem Vierteljahrhundert die Junge CVP des Bezirks Bremgarten. Nun ist er noch immer mitten in der ...
«Auf einen Espresso …» mit Harry Lütolf, er gründete mit Gleichgesinnten vor 25 Jahren die erste Jungpartei im Bezirk
Er gründete vor einem Vierteljahrhundert die Junge CVP des Bezirks Bremgarten. Nun ist er noch immer mitten in der Politszene. Harry Lütolf ist einer der Wortführer im Einwohnerrat. «Wenn man etwas bewegen will, geht das nur mit Gesprächen auch mit anderen Gruppierungen», sagt der Grossrat.
Daniel Marti
Vor 25 Jahren haben Sie die Junge CVP des Bezirks Bremgarten gegründet. Warum eigentlich?
Harry Lütolf: Damals war ich als Jungpolitiker noch ein Exot, der sich nicht so ernst genommen fühlte. Wenn man damals als junger Politiker in einer etablierten Partei ein Amt übernehmen wollte, war das schwierig. Mein erster Anlauf, die Wahl in den Einwohnerrat zu schaffen, scheiterte. Weil ich eben jung und nicht etabliert war. Und daher weit hinten auf der Wahlliste platziert war. Auf diesem Weg, also mit der Gründung einer Jungpartei, habe ich mir einen grösseren Erfolg versprochen.
Was haben Sie sich damals erhofft?
Mehr Aufmerksamkeit. Und ich habe mir auch erhofft, dass ich in der Politik migestalten kann. Mittlerweile bekommen Jungpolitiker durchaus mehr Aufmerksamkeit.
Sie gründeten die Junge CVP Bezirk Bremgarten vor allem zusammen mit Andreas Matter, er ist ehemaliger Einwohnerrat. Warum ausgerechnet mit ihm?
Er ist ein strebsamer, zuverlässiger und umgänglicher Mensch. Wir haben uns gut gekannt und hatten in etwa die gleiche politische Haltung. Allerdings waren da noch weitere sechs oder sieben wichtige Persönlichkeiten dabei. Beispielsweise Karin Koch Wick, sie ist heute Grossrätin und Präsidentin meiner Bezirkspartei.
Sind Sie zufrieden damit, was aus den damaligen Jungen und Ihren allgemeinen Vorstellungen geworden ist?
(studiert lange) Jede Person, die in der Politik mitmacht, erfährt rasch, wie schwerfällig die Politik ist. Es braucht sehr viel Energie, um Mehrheiten zu finden. Da ist auch bei mir am Anfang meiner politischen Laufbahn eine Illusion geplatzt. Ich habe damals gedacht, ich könne schnell viel bewegen. Aber passiert ist dann weniger als erhofft. Ich habe erst lernen müssen, dass die langen Prozesse zum politischen System gehören. Dadurch darf man sich aber nicht entmutigen lassen. Der Durchhaltewillen gehört zur Politik. Man muss sich durchbeissen können. Wenn man in der Politik erfolgreich sein will, muss man auch lobbyieren können. Früher habe ich gedacht, man müsse gar nicht mit anderen Parteien reden. Das war ein guter Lehrblätz: Wenn man etwas bewegen will, geht das nur mit Gesprächen auch mit anderen Gruppierungen.
Die CVP, heute Die Mitte, war bei den Jungen vor einem Vierteljahrhundert führend. Irgendwie konnte dieser Schwung nicht ausgenutzt werden. Warum haben die anderen Parteien bei den Jungen aufholen können oder warum hat die CVP Terrain eingebüsst?
Blenden wir 25 Jahre zurück. Die Zeiten vor den Diskussionen um EU, EWR und die Ausländerthematik. Das war noch vor dem rasanten Aufstieg der national-konservativen Parteien, insbesondere der SVP. Dann kam eben dieser Aufschwung der SVP, vor allem dank ihrem Übervater Christoph Blocher. Mit diesem Aufstieg fand in der Schweizer Politik eine Polarisierung statt. Entsprechend ihrem Naturell hat diese Polarisierung junge Menschen dazu bewogen, sich bei den extremen Parteien zu engagieren. Die Jungen suchten eher das Spannungsfeld und weniger die konstruktive Arbeit. Das ist der Grund, warum es die jungen Kräfte weg vom Zentrum und hin zu den Polen gezogen hat. Vor 25 Jahren waren wir von der Jungen CVP zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Darum hat die Gründung der Jungen CVP im Bezirk Bremgarten gut funktioniert und bei den nachfolgenden Wahlen konnten wir Erfolge verbuchen.
Als Folge der Strömung vor 25 Jahren nahmen damals rasch junge Leute – vor allem von CVP und SP – Einsitz im Einwohnerrat. Heute sind diese jungen Kräfte fast nicht mehr auszumachen. Woran liegt diese Trendwende?
Heute gibt es schon vereinzelte junge Politikerinnen und Politiker. Nicht jede Generation bringt aber gleich viele Menschen mit politischen Ambitionen hervor. Aber es ist ein Generationenproblem. Damals herrschte die richtige Konstellation. Die jungen Kräfte haben sich gegenseitig motiviert und angestachelt. Es kommt hinzu, dass in neuerer Zeit andere Effekte spielen.
Welche denn?
Erstens finden die Jungen heute andere Kanäle, um sich für ein Sachthema zu engagieren, beispielsweise über die Sozialen Medien. Zweitens wollen sich die Jungen weniger in einen etablierten Politikbetrieb drängen lassen. Sie bevorzugen ein Engagement für eine einzige Sache, für ein spezielles politisches Thema, das sie gerade beschäftigt. Wenn das Thema erledigt ist, sind sie wieder weg.
Ist Politik für die Jungen schlicht zu wenig interessant? Ist sie zu kompliziert, zu langweilig?
Sie empfinden die Politik vor allem langweilig. Langweilig bedeutet aber nicht, dass es um nichts geht. Man kann in der Politik viel bewegen, aber nur wer Durchhaltewillen hat. Es geht in der Politik fast immer um weitreichende Themen und Entscheide. Beispielsweise klingt eine Rentenreform heute langweilig, aber in 40 Jahren ist sie für die heutigen Jungen sehr wichtig.
Persönlich: Sie sind Einwohnerrat, Grossrat, Präsident von Die Mitte Wohlen, Vizepräsident der Bezirkspartei. Wie bringen Sie das unter einen Hut?
Zunächst ist es in der Politik immer so: Wenn man sich engagiert, wird man auch immer wieder angefragt. Man muss auch Nein sagen können, wenn einem weitere Aufgaben zugetragen werden. Ich musste das lernen. Insbesondere meiner Familie zuliebe, mit der ich ausreichend Zeit verbringen will. Deshalb stehen bei mir gewisse Abende für die Politik nicht zur Verfügung. Darüber hinaus braucht es ein gutes Zeitmanagement und einen Arbeitgeber, der flexible Arbeitszeiten zulässt.
Und lohnt sich Ihr riesiger Einsatz überhaupt?
Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder. Ich sehe es so: Trotz der Schwerfälligkeit des Systems funktioniert es ja nicht schlecht. In der Schweiz kann die Balance zwischen der Regierung mit ihrer Verwaltung und dem Parlament immer noch gut eingehalten werden. Dazu braucht es viele Freiwillige, denn ein Mandat in einem Parlament ist in der Regel immer noch ein Ehrenamt. Diese Freiwilligkeit braucht es, damit das Räderwerk weiter funktioniert. Wenn man sich abwendet, sich nicht einbringt, dann funktioniert unser Schweizer System nicht. Deshalb lohnt es sich, in der Politik mitzumachen. Ich möchte noch erwähnen: Ein Schlagabtausch mit einem politischen Gegner ist für mich kein Problem. Das gehört dazu und hier kann ich gut einstecken. Bei internen Auseinandersetzungen sieht es anders aus.
Gibt es die überhaupt?
Ja, die gibt es. Und interne Differenzen gehen an die Substanz.
Und wie sehen Ihre Ziele aus?
Als Jungpolitiker hatte ich den Plan, in den Nationalrat gewählt zu werden. Dieses Ziel habe ich auf Eis gelegt. In meiner aktuellen Lebensphase will ich nicht zu lange weg von der Familie bleiben. Das gegenwärtige Grossratsmandat ist zeitlich das Maximum. Und das lohnt sich auch, wobei ich nicht von Geld spreche. Der Grosse Rat ist für mich mit meinem beruflichen Hintergrund spannender und professioneller als der Einwohnerrat. Das ist ja nicht ganz überraschend. Gleichwohl bin ich auch gerne als Einwohnerrat tätig. Da kann man sich mit Persönlichkeiten messen. Thematisch habe ich in Wohlen mindestens noch ein grosses Ziel.
Das wäre?
Ich will dranbleiben an der Südumfahrung. Für dieses Projekt werde ich die nötige Energie aufwenden. Sollte die Südumfahrung tatsächlich realisiert werden, dann hätte ich zusammen mit anderen Mitstreitern in Wohlen bereits recht viel bewegt. Aber ich möchte auch die ganze Verkehrsproblematik in Wohlen in den Fokus nehmen.
Und ein Wort zur aktuellen Politlandschaft in Wohlen. Ist die gut oder unkritisch gegenüber dem Gemeinderat?
Es wird ja stets gesagt, es werde zu viel gestritten, es gebe zu viele Konflikte. Das sehe ich jedoch anders. Ich finde, es darf durchaus Reibungen mit dem Gemeinderat und auch im Einwohnerrat geben. Der Einwohnerrat muss dem Gemeinderat nicht zudienen. Ganz im Gegenteil. Wir als Einwohnerrat sind eher zu unkritisch. Da zähle ich vor allem die Finanz- und Geschäftsprüfungskommission dazu, die ist eindeutig zu brav.