Der Weg an die Weltspitze
28.05.2021 SportUrs Lehmann kandidiert als FIS-Präsident
Swiss-Ski-Boss Urs Lehmann ist in vielerlei Hinsicht ein Aushängeschild für das Freiamt. Am 4. Juni könnte er zum Präsidenten des Weltverbandes gewählt werden.
Seit 2008 leistet Urs ...
Urs Lehmann kandidiert als FIS-Präsident
Swiss-Ski-Boss Urs Lehmann ist in vielerlei Hinsicht ein Aushängeschild für das Freiamt. Am 4. Juni könnte er zum Präsidenten des Weltverbandes gewählt werden.
Seit 2008 leistet Urs Lehmann gute Arbeit als Präsident des Schweizerischen Skiverbandes. Die Früchte seiner Arbeit konnte er spätestens in den letzten beiden Jahren ernten. Die Schweiz konnte nach 30 Jahren Schattendaseins hinter Österreich zweimal in Folge die Nationenwertung im Alpinen Ski-Weltcup für sich entscheiden. Gleichzeitig führt er mit der Similasan AG ein Unternehmen, in dem rund 100 Leute beschäftigt sind. Wenn er als FIS-Präsident gewählt wird, würde er Swiss-Ski und die Similasan verlassen.
Für den Schweizer Skisport und für den Arbeitsstandort Freiamt wäre es ein Verlust. Dem Ski-Sport weltweit kann ein Urs Lehmann an der Spitze aber viel geben. Er spricht darüber, wo er beim Weltverband Handlungsbedarf sieht und was er bewirken möchte. --jl
«Nehme den Kampf an»
Wintersport: Swiss-Ski-Boss Urs Lehmann aus Oberwil-Lieli vor der Wahl zum FIS-Präsidenten
Zweimal wurde die Wahl zur Nachfolge von FIS-Präsident Gian Franco Kasper verschoben. Am 4. Juni ist es so weit. Zwischen vier Kandidaten wird entschieden, wer künftig an der Spitze des Ski-Weltverbandes steht. Darunter ist auch der Freiämter Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann.
Josip Lasic
Vorfreude oder ein mulmiges Gefühl? Was überwiegt bei Ihnen beim Gedanken an den 4. Juni?
Urs Lehmann: Um ehrlich zu sein weder noch. Ich bin aktuell im Tunnel drin. Es ist gerade sehr viel los. Gespräche mit Verbandsverantwortlichen aus der ganzen Welt. Videomeetings, Telefonate, zu allen möglichen Tageszeiten. Ich habe gar nicht die Kapazität, um irgendwie nervös zu sein (lacht).
Sie treten gegen Sarah Lewis, Mats Arjes und Johan Eliasch an. Gibt es irgendwelche Tendenzen, wer das Rennen macht?
Überhaupt nicht. Ich sehe die Chancen nach wie vor bei 25 Prozent für uns alle. Diese Wahl ist eine sehr politische Angelegenheit. Das ist kein Ski-Rennen, wo klar ist, dass der Beste gewinnt. Es kann noch in alle Richtungen kippen.
Was sind die wichtigsten Punkte in Ihrem Programm? Welche Reformen kann man von einem FIS-Präsidenten Urs Lehmann erwarten?
Ich habe bisher Kontakt mit den Verbänden aus rund 70 Nationen gehabt. Bei der Frage nach den Bedürfnissen fällt meistens das Wort «Change». Die FIS wird von den Mitgliedernationen in den letzten Jahren als zu passiv wahrgenommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass von den 135 Mitgliedsländern nur wenige grosse Ski-Nationen sind. Rund 100 der Verbände sind klein bis sehr klein. Diese haben sich in den letzten Jahren sehr vernachlässigt gefühlt. Solche Länder beschäftigen sich damit, die Menschen überhaupt auf die Skier zu bringen. Wichtig wird sein, die Strukturen in diesen Staaten zu fördern und den Ski-Sport global weiterzuentwickeln. Ausserdem sind viele Strukturen innerhalb der FIS, unter anderem im Marketing, nicht mehr zeitgemäss.
Das klingt so, als benötige es nicht nur Reformen, sondern als fehle in wichtigen Dingen ein Fundament bei der FIS?
So drastisch würde ich es nicht formulieren. Es ist ja nicht alles schlecht. Ski Alpin ist beispielsweise sehr gut aufgestellt. Es wäre nicht angemessen zu behaupten, dass die vorherige Generation nichts geleistet hat. Es liegt jetzt an uns, eine konsequente Evolution in allen Bereichen voranzutreiben. Die FIS hat beispielsweise kein Strategiepapier. Der grösste Wintersportverband der Welt, dem so viele Athleten unterstehen, und keine schriftlich festgehaltene Strategie. Können Sie sich so etwas vorstellen?
Reformen, die Sie seit Jahren im Visier haben, sind beispielsweise eine Optimierung der Parallel-Wettkämpfe und der Alpinen Kombination. Es scheint, als wäre das nur ein Kratzen an der Oberfläche?
Das ist so. Wir sprechen hier wieder vom Ski Alpin, wo Verbesserungen nötig sind. Zur FIS gehören aber auch andere Disziplinen, wie Ski Nordisch, Freestyle, Snowboard oder Telemark. Dort reicht es nicht, an der Oberfläche zu kratzen. Dort muss man zum Kern vordringen und Aufbauarbeit leisten.
Hat ihr Vorgänger Gian Franco Kasper gewisse Entwicklungen verpasst?
Ich würde nicht alles ihm anhängen. Er hat viel gutes für den Ski-Sport geleistet. Gleichzeitig ist er aber auch eher ein Traditionalist. Deshalb bin ich meines Wissens auch nicht gerade sein Favorit auf die Nachfolge.
Sondern?
Kasper verhält sich sehr neutral im Vorfeld und weibelt nicht gross für jemanden. Er hat aber Sarah Lewis als Generalsekretärin der FIS entlassen. Johan Eliasch steht für Revolution. Deshalb ist davon auszugehen, dass er Mats Arjes favorisiert. Arjes steht am ehesten für Kontinuität.
Es kursieren Gerüchte, dass Ihr Kontrahent Johan Eliasch dem Iran ein Weltcup-Rennen und Andorra sogar eine WM in Aussicht gestellt hat. Will er sich Stimmen erkaufen?
Es kursieren enorm viele Gerüchte. Die kommen mir natürlich auch zu Ohren. Den Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte kann ich nicht beurteilen. Die FIS hat einen Ethik-Code. Es gibt ausserdem ein unabhängiges Komitee, das ein Auge darauf hat, falls es Verstösse gegen diesen Ethik-Code gibt.
Formulieren wir die Frage anders. Es gibt das Klischee, dass Schweizer Sportler zu brav sind, immer nach den Regeln spielen und deshalb oft im internationalen Vergleich auf der Strecke bleiben. Droht Ihnen das jetzt auf Verbandsebene?
(Lacht.) Ich glaube nicht, dass ich als Sportler zu brav war. Mir wird immer noch nachgesagt, dass ich eher zu tough auftrete. Je näher die Abstimmung kommt, desto härter werden die Bandagen. Das war von Anfang an klar, und ich nehme diesen Kampf an. Gleichzeitig habe ich meine Werte und gegen die verstosse ich nicht. Ich werde beispielsweise nie etwas versprechen, was ich nicht halten kann. Das entspricht mir nicht.
Viele kleine Nationen haben keine Stimme bei der Wahl. Wie wichtig ist es da, die grossen Ski-Nationen hinter sich zu wissen?
Enorm wichtig. Ich habe gute Verhältnisse zu vielen Verbänden und kann auf die Unterstützung vieler grosser Ski-Nationen zählen. Deutschland, Italien, Spanien, Slowenien, um nur einige zu nennen. Das sind alles Nationen, die ich hinter mir weiss. Im Vorfeld dieser Wahl durfte ich aber auch Vertreter kleinerer Länder etwas besser kennenlernen. Das werden wichtige Beziehungen bleiben, auch wenn ich nicht gewählt werde.
Österreich mit Peter Schröcksnadel an der Spitze dürfte auch hinter Ihnen stehen?
Peter ist nicht nur der Präsident eines anderen Verbandes. Ihn betrachte ich als Freund. Er hat mir seit Jahren und im Beisein von anderen Leuten versichert, dass er mich unterstützen und mich wählen wird. Wenn er ein Ehrenmann ist – und so schätze ich ihn ein – wird er Wort halten.
Vor Gian Franco Kasper war Marc Hodler 47 Jahre lang FIS-Präsident. Seit 1951 stehen Schweizer an der Spitze des Weltverbandes. Könnte das ein Nachteil für Sie sein? Dass die Leute denken: «Nicht wieder ein Schweizer»?
Die Person, die am besten qualifiziert ist, soll die Wahl gewinnen. Aus meiner Sicht spielen dabei Dinge wie Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht keine Rolle. Ich habe das so auch in Gesprächen mit den Verbänden kommuniziert und hatte nie den Eindruck, dass das jemand anders sieht.
Als CEO von Similasan und Swiss-Ski-Präsident ist ein grosser Arbeitsaufwand nichts Neues für Sie. Würde er grösser werden, wenn Sie die Wahl gewinnen?
Der Aufwand würde sich einerseits verändern und vermutlich verringern. Die Position bei Swiss-Ski würde ich aufgeben. Das ist klar, denn das wäre ein Interessenkonflikt mit der Tätigkeit bei der FIS. Ausserdem würde ich als CEO bei der Similasan zurücktreten. Das ist alles so mit den Aktionären bereits abgesprochen. Die FIS-Präsidentschaft wäre wie eine zweite CEO-Rolle. Diesen Arbeitsaufwand könnte ich so nicht stemmen. Und das könnte ich auch meiner Familie nicht zumuten. Das Gute ist, dass alles so aufgegleist ist, dass ich bei einer Nichtwahl ganz normal in meinen bisherigen Tätigkeiten weiterfahren könnte.
Die Familie steht aber bestimmt hinter Ihrer Kandidatur?
Natürlich. Ohne sie wäre das alles nicht möglich. Das Schöne ist, dass sowohl meine Frau als auch meine Tochter Wintersportlerinnen sind und so Teil der FIS-Familie. Ich kann die Familie gut in die Tätigkeit integrieren.
Der FIS-Sitz ist in Oberhofen am Thunersee. Ist es ein Vorteil, dass er in der Schweiz ist?
Auf jeden Fall. So müsste ich nicht meine ganze Tagesstruktur umstellen.
Bleibt Urs Lehmann dem Freiamt dennoch erhalten?
In diesem Punkt können Sie sich sicher sein (lacht).
«Die Welt hat selten so schnell reagiert»
Urs Lehmann und die Similasan zur Coronakrise
Die Coronapandemie hatte grossen Einfluss auf alle Tätigkeitsfelder von Urs Lehmann. Aus der Perspektive des Swiss-Ski-Präsidenten ist er froh, dass die vergangene Wintersportsaison stattfinden konnte. «Der Sport ist verglichen mit anderen Branchen mit einem blauen Auge weggekommen», sagt er.
Die Similasan AG entwickelt und produziert homöopathische Arzneimittel. Auch in dieser Branche sollte durch Corona kein grösserer Schaden entstanden sein. «In der Tat sind wir dank allen Massnahmen, die wir getroffen haben, im letzten Jahr sogar gewachsen», erklärt der CEO des Unternehmens. «Allerdings sind wir kein Betrieb, der beispielsweise Impfstoffe herstellen kann. Unsere Arzneimittel können in so einer Krise helfen, das Immunsystem der Menschen zu stärken. Durch viele der Covid-Schutzmassnahmen ist beispielsweise die Grippesaison so gut wie ausgeblieben. Das hat dazu geführt, dass unsere Mittel, die bei Grippe helfen, weniger verkauft wurden.»
Krise noch nicht vorbei
Als CEO eines Unternehmens aus der Arzneimittelbranche betrachtet Urs Lehmann auch die Entwicklung der Impfstoffe und potenzieller Covid-Medikamente mit grösstem Interesse. «Dass Impfstoffe entwickelt werden konnten, ist absolut notwendig in so einer Krise. Das alles braucht Zeit. Die Welt hat selten gemeinsam so schnell reagiert. Das ist beeindruckend.»
Der Freiämter geht davon aus, dass neben den Impfstoffen mit der Zeit auch Medikamente kommen werden, die zur Bekämpfung des Virus beitragen, und sieht dem Ganzen positiv entgegen. «Wir dürfen nicht vergessen, dass wir immer noch in einer Krise sind und in solchen Momenten selten etwas optimal läuft. Wenn ich mir nur schon die Diskussionen bezüglich des Impftempos ansehe, muss ich sagen, dass wir auf hohem Niveau jammern. Ja, die Schweiz könnte schneller sein. Es gibt gleichzeitig auch genug Nationen, die aber deutlich hinter uns zurückliegen. Und mit dem Wissen von heute Entscheidungen von vor mehreren Monaten zu kritisieren, halte ich ohnehin nichts.»
Licht am Horizont
Urs Lehmann ist optimistisch für die Zukunft. Aus seiner Sicht geht die Reise bezüglich der Coronapandemie – insbesondere im Bereich der Arzneimittel – in die richtige Richtung. Die Hoffnung ist da, dass die Krise dem Ende zugeht. Das wäre auch für ihn und seine Tätigkeitsfelder wichtig – ob als Similasan-CEO und Swiss-Ski-Boss oder künftiger Präsident des Weltverbandes FIS. --jl
Urs Lehmann und die Wahl
Am 4. Juni findet der 52. Internationale Skikongress statt, in dessen Rahmen der FIS-Präsident gewählt wird. Wegen der Coronapandemie wird der Kongress online abgehalten.
Der in Rudolfstetten aufgewachsene und in Oberwil-Lieli wohnhafte Urs Lehmann stellt sich der Wahl zur Präsidentschaft. Als aktiver Sportler gewann Lehmann 1987 an der Junioren-Ski-WM in Hemsedal die Goldmedaille in der Abfahrt und wurde als Schweizer Nachwuchsathlet des Jahres ausgezeichnet. 1993 gewann er die Goldmedaille in der Abfahrt an der Alpinen Ski-WM in Morioka.
Urs Lehmann ist seit rund zehn Jahren Geschäftsführer der Similasan AG in Jonen, wurde 2006 ins Präsidium von Swiss-Ski gewählt und 2008 zum Präsidenten des Schweizerischen Ski-Verbandes.
Seit 2002 ist er mit der ehemaligen Schweizer Freestyle-Skierin Conny Kissling verheiratet. Das Paar hat eine 17-jährige Tochter.
Wer kandidiert ausser ihm? Sarah Lewis aus England, ehemalige FIS-Generalsekretärin, Mats Arjes aus Schweden, einer der Vize-Präsidenten von Gian Franco Kasper, und Johan Eliasch, schwedisch-britischer Milliardär sowie CEO vom Sportartikelhersteller «Head», sind Lehmanns Konkurrenz.
Wer stimmt ab? Die FIS hat 135 Mitgliederverbände. Die 18 grössten – darunter die Schweiz – haben je drei Stimmen zur Verfügung. Die 14 nächstgrösseren je zwei Stimmen. 42 «Small Nations» haben je eine Stimme. Die restlichen Verbände keine. Insgesamt können also 124 Stimmen verteilt werden. --jl