Der Dorfladen der Landwirte
16.10.2020 MuriZu Besuch bei der Obstannahme der Fremo Interdrink AG, samt Blick hinter die Kulissen
Es ist Herbst. Die Äpfel und Birnen fallen von den Bäumen und werden in stundenlanger Handarbeit oder mittlerweile auch per Maschine aufgelesen. Von weit her bringen die ...
Zu Besuch bei der Obstannahme der Fremo Interdrink AG, samt Blick hinter die Kulissen
Es ist Herbst. Die Äpfel und Birnen fallen von den Bäumen und werden in stundenlanger Handarbeit oder mittlerweile auch per Maschine aufgelesen. Von weit her bringen die Landwirte das Obst nach Muri. Angeliefert werden Äpfel und Birnen, wenige Stunden später ist daraus Saft geworden.
Annemarie Keusch
Grosse oder kleinere. Moderne oder ältere Modelle. Deutz, New Holland, Steyr oder Ford. Und auch das Familienauto eignet sich – mit oder ohne Anhänger. Im Minutentakt fahren die Lieferanten bei der Fremo Interdrink AG in Muri vor. «Pro Landwirt ist ein Fenster von fünf Minuten vorgesehen», sagt Adi Götschmann. Er ist seit Jahren Geschäftsführer der Firma. Alle haben sich per App angemeldet. Götschmann schmunzelt. «Die meisten. Jene, die sich nicht per App anmelden, werden immer weniger.»
Gleiches gelte für Kleinlieferanten, die ein paar hundert Kilogramm Äpfel oder Birnen liefern. «Wir nehmen natürlich alles gerne», sagt Götschmann. Wenn auch der Aufwand bei kleineren Lieferanten grösser ist. Sie müssen beispielsweise ihre Harassen zuerst in Boxen leeren und nicht gleich ins Silo. Die Boxen kippen nachher Fremo-Mitarbeitende. «Das ist neu, weil der Durchgang immer frei gehalten sein muss, seit die Regionalpolizei hier eingemietet ist.»
Auch mit Pferdestärken wird geliefert
Adi Götschmann sagts offen: «Das Hauptgeschäft der Fremo Interdrink AG sind die Immobilien.» Er spricht von rund hundert Mietern, die von Kleinsträumen bis zu mehrstöckigen Büroräumen belegen. «Aber unser ursprüngliches Geschäft ist die Mosterei. Und hinter dieser steckt nach wie vor viel Herzblut.» 300 bis 350 Produzenten liefern ihre Äpfel und Birnen nach Muri. Rund 60 sind es, die an diesem Morgen vorfahren – zuerst auf die Waage, dann auf das Silo, um die Kipper zu leeren, dann wieder auf die Waage, um die Liefermenge zu bestimmen. Was manchmal nach Tetris aussieht, hat System. «Nein, eine Kollision zwischen den vielen Traktoren hat es noch nie gegeben», sagt Adi Götschmann und schaut den Landwirten beim Manövrieren zu.
Das Einzugsgebiet ist gross. «Im Norden ist es Zuzgen, im Osten Wädenswil und im Süden Stans», steckt der Geschäftsführer das Terrain ab. In einigen Dörfern sammeln sie das Obst mittels Genossenschaften und ein Landwirt bringt es nach Muri, von anderen Dörfern fährt jeder selber. Und einer tut das nicht klassisch mit dem Traktor, sondern wie in alten Zeiten mit Ross und Wagen. Ob er keinen Traktor hat? Otto Müller lacht. «Doch, aber das ist mehr für die Jungen.» Aus Weissenbach fuhr er mit den Birnen nach Muri, die er und seine Frau aufgelesen haben. «Etwa eine Dreiviertelstunde», antwortet er auf die Frage, wie lange die Fahrt dauerte. Müller kippt die Harassen in die Box. «Ich brauche wohl noch eine», sagt er zu Adi Götschmann. Und dieser schwingt sich auf einen alten Stapler und leert einige Boxen. «Wenigstens ein Chef, der auch arbeitet», meint Müller lachend.
Zweieinhalb Monate Vollgas
Man kennt sich. Für einen kurzen Schwatz bleibt immer Zeit, über das Wetter, die Ernte oder einfach einen kurzen Spruch. «Seit Jahren wird die Milch per Hofabfuhr abgeholt. Die Landwirte treffen sich nicht mehr in der Käserei», sagt Adi Götschmann. Die Mosterei sei eine Art Ersatz. «Hoi Chef», ruft der eine und hebt den Zeigefinger hinter der Windschutzscheibe zum Gruss. «Kann ich dich gleich anstellen?», fragt der Chef einen, der mit den Stiefeln die auf der Fahrbahn liegen gebliebenen Birnen ins Silo bugsiert. «Ordnung muss sein», ist die schlagfertige Antwort.
Rund zweieinhalb Monate dauert die Kampagne, die Obstsaison. Nachher steht der Betrieb quasi still. Einzig der Kellermeister und die Leiterin Administration, in einem Teilpensum, sind das ganze Jahr hindurch angestellt, alle anderen – die Wägemeister und die Pressmeister – arbeiten temporär. Götschmanns Job als Geschäftsführer umfasst ein 30-Prozent-Pensum. In diesen zwei, zweieinhalb Monaten läuft der Betrieb aber auf Höchsttouren, von morgens früh bis abends spät.
Gegen 80 Prozent Ausbeute der Birnen und Äpfel
Wenn der Schieber aufgeht und die Äpfel und Birnen unten aus den Silos fallen, dann geht der Prozess erst richtig los. Zuerst wird das Obst, das schon beim ersten Gang auf die Waage auf Qualität getestet wird, gewaschen. «Blätter, Stiele, Dreck, all das muss natürlich weg. Wir stellen hier Lebensmittel her, Hygiene ist sehr wichtig.» Adi Götschmann erklärt es erst später. Zu laut ist es bei der Rätzmühle direkt nach dem Wasserbad. «In der Mühle werden die Äpfel zerquetscht. Möglichst viele Zellen müssen verletzt werden, damit der Saft nachher besser gelöst werden kann.» Was wie grobes Apfelmus aussieht, wird Maische genannt und vom unteren Stock nach oben ins Vordepot gepumpt.
Von dort gehts in die Presse. «Zehn Tonnen haben Platz darin», sagt Götschmann. Ein bis eineinhalb Stunden dauert es, bis der gesamte Saft aus den Früchten gepresst ist. Der Geschäftsführer spricht von einer Ausbeute von gegen 80 Prozent. Veranschaulicht bedeutet dies: Aus einem Kilogramm Äpfel gibt es rund acht Deziliter Saft. Und von diesem schöpft Götschmann mit einem Litermass ein wenig direkt aus der Presse und schenkt es in ein Glas ein. Der Apfelsaft schmeckt saurer als jener aus dem Detailhandel, aber ganz sicher nicht schlechter. «Der Trick besteht darin, die Sorten zu mischen, gewöhnliche Mostäpfel mit säuerlich schmeckenden Spezialmostäpfeln.» Was entsteht, ist Apfelsaft, wird maximal zehn Prozent Birnensaft beigefügt, spricht man von Most.
Hohe Schwankungen
Der gepresste Saft wird zu weiten Teilen unverarbeitet verkauft, beispielsweise an die Firma Ramseier. Im Gebäude der Fremo werden rund 400 Tonnen Äpfel jährlich zu Apfelessig und -balsamico verarbeitet. Nach dem Pasteurisieren wird dem Saft Reinzuchthefe beigemischt. «Das ergibt sauern Most, den wir Apfelwein nennen», sagt Adi Götschmann. Hauseigene Essigbakterien machen aus dem Alkohol Essigsäure, wenn die Temperatur stimmt und immer genug Luft beigemischt wird. Das alles passiert in sterilen, hohen, silbernen Tänken.
Von nicht einmal 300 Tonnen im Negativ-Rekordjahr 2017 bis zu 6500 Tonnen im Positiv-Rekordjahr 2018 – die Fremo Interdrink AG ist bei der Mosterei hohen Schwankungen ausgesetzt. «Damit haben wir schon lange leben gelernt», sagt Adi Götschmann. Das sei eben Natur. Und diese Natur ist es auch, die die Grundzutat für Götschmanns Lieblingsgetränk liefert. «Apfelsaft, wie könnte es anders sein», sagt er und lacht. Und das verleide einem auch nicht, wenn es den ganzen Tag um einen herum nach dem süsslichen Getränk rieche. «Und gesund ist es sowieso.»