Eine Frau für viele Fälle
31.07.2020 SportSeit ihrer Kindheit ist Nicole Müller beim TV Wohlen in der Leichtathletik. Ob als Sportlerin, als Trainerin oder als Mannschaftsführerin der Frauen in der Nationalliga A: Die 42-Jährige ist vom Verein nicht mehr wegzudenken. Sie wird in der Serie «Starke Frauen» ...
Seit ihrer Kindheit ist Nicole Müller beim TV Wohlen in der Leichtathletik. Ob als Sportlerin, als Trainerin oder als Mannschaftsführerin der Frauen in der Nationalliga A: Die 42-Jährige ist vom Verein nicht mehr wegzudenken. Sie wird in der Serie «Starke Frauen» porträtiert. --red
Hartnäckig und sehr erfolgreich
Sommerserie «Starke Frauen»: Nicole Müller vom TV Wohlen Leichtathletik
Nicole Müller vom TV Wohlen war einst Athletin. Heute ist sie als Trainerin eine prägende Figur der Leichtathletik im Freiamt.
Alexander Wagner
Nicole Müller war knapp sieben Jahre alt, als sie in die Jugendriege des TV Wohlen kam. Das ist jetzt keine sonderlich grosse Überraschung, war ihr Vater Christian doch Präsident des TV Wohlen – der Weg war praktisch vorgezeichnet. Von der polysportiven Jugi ging es ab der U16 immer mehr in Richtung Leistungssport. Doch sie blieb auch später vielseitig: «Es wäre mir zu langweilig gewesen, immer nur eine Disziplin zu trainieren», erklärt die 42-Jährige und setzte deshalb auf den Mehrkampf. Zwar waren die Hürden und der Hochsprung ihre Paradedisziplin. «Doch der Mehrkampf ist spannender und abwechslungsreicher», betont sie. Und nicht zuletzt deshalb gelten die Zehnkämpfer bei den Männern und Siebenkämpferinnen bei den Frauen als die «Könige der Leichtathleten».
Schweizer U23-Meisterin im Hochsprung
Und Nicole Müller war richtig gut. So wurde sie Schweizer Meisterin bei den «Espoir» (heute U23) im Hochsprung und gewann im Siebenkampf die Bronzemedaille. «Aber ich war nirgends genügend gut für eine Einzeldisziplin», erklärt sie bescheiden. Der Mehrkampf ist immer eine heikle Gratwanderung. Man muss enorm viel trainieren. Die Technik in mehreren Disziplinen, Kraft, Ausdauer, Koordination und Stehvermögen. Da kommt die Erholung schnell einmal zu kurz. Und das alles neben einer regulären KV-Lehre auf der Gemeinde Wohlen. «Das war mein Vorteil und gleichzeitig auch mein Nachteil», meint sie lachend. Zum einen konnte sie nie so viel trainieren wie die Studentinnen. «Aber ich hatte auch gar nicht die Möglichkeit oder die Zeit, um dauernd an der Leichtathletik herumzustudieren.» So packte sie ihre fünf Trainingseinheiten pro Woche in ihren normalen Arbeitsalltag, trainierte fast jeden Abend und am Wochenende standen die Meetings an. «Das war schon manchmal hart», gibt sie zu. Aber meistens freute sie sich auf den Ausgleich. «So konnte ich den Kopf leeren.»
Gut – und ausdauernd
Nicole Müller war nicht nur gut, sondern enorm ausdauernd. Dieses Pensum zog sie viele Jahre durch und bildete sich bereits als aktive Leichtathletin zur Trainerin aus. Vielleicht war sie sich auch einfach an lange Tage und harte Pensen gewohnt, weil sie auf einem Bauernhof aufwuchs. Doch irgendwann zog sie sich von der Bahn zurück, was natürlich viele bedauerten. Wohl auch Vater Christian. «Er hat uns immer unterstützt und gefördert», betont sie. Denn auf dem Hof habe es statt Training auch andere Arbeiten gegeben. «Doch wohl noch mehr bedauerte er den Rücktritt meiner Schwester. Sie war das grössere Talent», meint sie bescheiden. Irgendwann fand Nicole Müller – sehr selbstkritisch – dass der Aufwand und die daraus entspringenden Leistungen nicht mehr passten und erklärte den Rücktritt. Zuerst hat sie die neu gewonnenen Freiheiten genossen. «Doch schon bald merkte man, dass es schon sehr fehlt und die Umstellung brauchte einen Moment», erinnert sie sich.
Von der Gemeinde Wohlen zur Gemeinde Widen
Genauso ausdauernd und konstant wie als Leichtathletin ist sie in ihrem Berufsleben. Nach der Lehre auf der Gemeinde in Wohlen wechselte sie auf das Steueramt in Widen – wo sie heute noch ist. «Ich war schon immer ein Zahlenmensch», meint sie lachend. Muss sie ja fast, denn die Mehrkämpfer sind permanent dabei, ihre Zeiten, Höhen und Weiten in Punkte umzurechnen. Trotzdem gehört die eigene Steuererklärung nicht gerade zu ihren Hobbys: «Dafür muss ich mich schon selber motivieren», gibt sie augenzwinkernd zu.
Nach dem Rücktritt vom Spitzensport wollte sie nicht mehr in Wohlen als «Hobbysportlerin» trainieren und ging in den Damenturnverein Boswil – natürlich wieder polysportiv. Doch schon sehr bald meldete sich Vizepräsident Rolf Stadler und frage bei ihr nach, ob sie nicht als Trainerin einsteigen würde. Die Antwort war schnell klar: «Der TV Wohlen und die Leichtathletik haben mir so viel gegeben, da wollte ich auch etwas machen und zurückgeben.»
So ist sie bereits seit 2006 als erfolgreiche Trainerin einer Gruppe von rund 25 Athleten der U16 und U18 im Nachwuchsbereich tätig. Neben der ganzen Planung und Koordination steht sie zwei bis drei Mal pro Woche selber auf der Bahn und trainiert vor allem die Mädchen. «Die Jungs fehlen allgemein und ihre Tendenz ist abnehmend», weiss sie aus langjähriger Erfahrung.
Der TV Wohlen in der NLA
«Daneben» ist sie noch Mannschaftsführerin der Frauenmannschaft des TV Wohlen, der sich als kleinster Verein einen der acht begehrten Plätze in der NLA erkämpft und verteidigt hat. Bereits 2013 stieg der TVW erstmals in die NLA auf, tauchte dann kurz für eine Saison und ist seit 2018 wieder im Oberhaus vertreten. Dies als mit Abstand kleinster Verein in der NLA bei der Schweizer Vereinsmeisterschaft (SVM). Da braucht es sehr viel Fingerspitzengefühl und Taktik für die Mannschaftseinteilung. «Ich muss vor allem nett sein mit den Frauen, dass sie für uns starten», erklärt Müller lachend. Aber vor allem muss sie sich sehr genau überlegen, wer in welcher Disziplin startet. Eine Athletin kann nur zwei Starts und die Staffel absolvieren. Der Platz an der Sonne hat viel mit Nicole Müller zu tun – und dem guten Mannschaftsgeist in Wohlen. «Der SVM hat bei unseren Athletinnen einen hohen Stellenwert», freut sie sich. Trotzdem brütet sie oft und lange darüber, wer in welcher Disziplin am meisten Punkte für den TV Wohlen sammeln kann.
«Teil meines Lebens»
Neben dem Beruf, den Trainings und der ganzen Planung bleibt nicht mehr viel Zeit. «Der TV Wohlen ist Teil meines Lebens, er war immer Teil meines Lebens», meint sie. Und ihr Freund hat sie so kennengelernt. «Im Sommer kann es schon mal zu Diskussionen führen», weiss sie. Doch seit 14 Jahren ist sie erfolgreiche, engagierte und enthusiastische Trainerin. Und zuvor genauso als Athletin. So wird sie es noch viele Jahre bleiben und so mancher Leichtathlet wird noch Spass und Erfolg mit Nicole Müller haben können.