Ein Leben für die Kunst
05.05.2020 KunstDie Künstlerin Heidi Widmer konnte am Samstag ihren 80. Geburtstag feiern
Sie ist konsequent ihren eigenen Weg gegangen. Hat die halbe Welt bereist. Ihr Leben stets der Kunst untergeordnet. Und hat dabei ihre Schaffenskraft nie verloren. Im Spätsommer wird die ...
Die Künstlerin Heidi Widmer konnte am Samstag ihren 80. Geburtstag feiern
Sie ist konsequent ihren eigenen Weg gegangen. Hat die halbe Welt bereist. Ihr Leben stets der Kunst untergeordnet. Und hat dabei ihre Schaffenskraft nie verloren. Im Spätsommer wird die Wohler Künstlerin mit einer grossen Einzelausstellung geehrt.
Chregi Hansen
Als junge Frau wollte sie nur weg aus Wohlen. Längst ist sie wieder an den Ort ihrer Kindheit zurückgekehrt. In einem umgebauten Pferdestall lebt und arbeitet sie heute. «Es ist schön, einen Ort zu haben, wo mich Menschen kennen und sich für mich interessieren», sagt Heidi Widmer.
Die Wohlerin hat ihr Leben stets der Kunst gewidmet – ihre Schaffenskraft ist unglaublich. In ihrem Atelier und in weiteren Räumen lagern Tausende von Werken. Heidi Widmer muss malen – kann nicht einfach ruhen. Wohnung und Atelier befinden sich unter einem Dach. Kunst ist in ihrem Leben allgegenwärtig. Und sie geht konsequent ihren Weg, hat auf vieles verzichtet, oft von der Hand in den Mund gelebt. Spartanisch. In Wohnungen ohne Heizungen beispielsweise. Bei Freunden. In Slums. Und war immer wieder unterwegs.
In Genf und Rom studiert
Der Weg war nicht vorgezeichnet. Aufgewachsen ist Heidi Widmer in einer bürgerlichen Familie. In der Schule fiel sie nicht als begabte Künstlerin auf, ihre Noten im Zeichnen waren bescheiden, wie sie selbst erzählt. Sie selber aber wollte nichts anderes als Kunst machen. Darum nahm sie eine Stelle als «Mädchen für alles» in Genf an und besuchte daneben die École des Beaux-Arts. Nach drei Jahren wechselte die Wohlerin an die Kunstschule in Rom, wo sie weitere fünf Jahre studierte. «Ich habe die Kunst von der Pike auf gelernt, beispielsweise stundenlang abgezeichnet», erzählte sie einst.
Schon in dieser Zeit fiel ihr Talent einigen Professoren auf, die sie förderten. Auch später erhielt Widmer immer wieder Unterstützung von verschiedenen Seiten. Sie selber stürzte sich mit unglaublicher Energie ins Leben. Zwar verlegte sie ihren Lebensmittelpunkt wieder ins Freiamt, zuerst nach Bremgarten, sie bereiste aber von hier aus die halbe Welt, durchquerte beispielsweise den amerikanischen Kontinent von New York bis Feuerland, meistens per Autostopp, mit ganz bescheidenen Mitteln. Immer dabei ihr Zeichenblock, mit dem sie das Geschehen festhielt.
Viel von der welt gesehen
Auch später zog es die Künstlerin in die Welt. Sie bereiste Indien und Portugal, ab den 1990er-Jahren auch Südafrika, Libanon, Syrien, Mosambik. Keine Luxusreisen, meist lebte sie bescheiden, in billigen Hotels, bei Freunden, übernachtete in Hängematten. War allein als Frau unterwegs, oft in Gegenden, die als unsicher galten. Sie erlebte hautnah den Gegensatz zwischen dem Luxus der westlichen Welt und der Armut in den südlicheren Ländern. Diese Eindrücke haben sie geprägt. «Rund um die Welt führten mich meine Wege. Ins Abseits, zum Elend der Welt, durch Kulturen der Gegenwart und der Vergangenheit. Vom Dunkeln ins Lichte und wieder in Schattenbereiche – immer wieder von Neuem», schreibt sie über sich selbst.
Auf ganz vieles verzichtet
Dazwischen gestaltete sie auch Einzel- und Gruppenausstellungen. Sie liess sich zur therapeutischen Malerin weiterbilden und bot Kurse an, erst für Langzeitpatienten und Krebskranke, später auch für Strafgefangene. Sie war eine enge Freundin der Freiämter Dichterin Erika Burkart. Und doch blieb Heidi Widmer eher Aussenseiterin in der Kunstszene. Eine Frau, die konsequent ihren eigenen Weg ging und sich nicht einordnete und anpasste. Für diesen Weg hat sie auf vieles verzichtet im Leben. Aber nicht nur in ihrem Leben, auch in ihrer Kunst ging sie keine Kompromisse ein. Bei ihr stand meist der Mensch im Mittelpunkt. Sie erhielt Stipendien, einen Atelieraufenthalt in Prag. Den Wohler Kulturpreis.
Mitten im Tsunami-Elend
2004 wurde ihr Leben auf den Kopf gestellt. In diesem Dezember war die Wohlerin, wie so oft, in Sri Lanka, als die grosse Tsunami-Katastrophe über die Insel schwappte. Widmer selber entkam nur knapp dem Tod. Als sie später mit dem Velo durch die Dörfer fuhr, fand sie unbeschreibliche Bilder der Zerstörung vor. Statt wie andere Ausländer das Land zu verlassen, organisierte sie sofort Hilfe, bat bei ihren Freunden um Spenden. Und diese flossen reichlich. Die Wohlerin blieb, organisierte Transporte, die Verteilung der Hilfsgüter, spendete Hoffnung und Lebensmut. Auch in den kommenden Jahren reiste sie immer wieder nach Sri Lanka und führte ihr Hilfswerk fort. Ihr Einsatz blieb nicht unbemerkt, 2010 erhielt sie für ihr Engagement den Rotkreuzpreis. Seit sie diese Katastrophe überlebt hat, feiert die Künstlerin zweimal Geburtstag im Jahr. Am 2. Mai und am 26. Dezember.
Letzten Samstag durfte die Künstlerin ihren 80. Geburtstag feiern. Noch heute malt sie täglich – und auch nachts, seit bald zwanzig Jahren zeichnet sie jede Nacht ein Bild in ein Buch – ihre Nachtbücher füllen ganze Regale. Obwohl sie auf vieles verzichtet hat in ihrem Leben, so ist sie nicht unglücklich deswegen. «Ich bin voller Dankbarkeit, dass ich ein solches Leben führen konnte», sagt sie. Ein Leben, geprägt von roten Fäden, dem Netzwerk, das sie getragen hat und das sich auch in ihren Bildern immer wieder findet.
Grosse Ausstellung im September gepant
Wohlen, das Dorf, das sie als junge Frau so schnell wie möglich verlassen wollte, ist längst wieder Heimat geworden. Hier sieht man die Künstlerin mit dem Velo durch die Strassen flitzen. Hier wird sie in diesem Jahr besonders geehrt. Vom 30. August bis 27. September findet eine grosse Ausstellung ihres Werkes statt, eine Retrospektive ihres immensen Schaffens. Eine verdiente Ehrung einer verdienten Künstlerin, die immer auch Mensch geblieben ist.
Im Rahmen des Projekts «Zeitgeschichte Aargau» haben die Macher ein längeres Gespräch mit der Künstlerin geführt. Das entsprechende Video ist im Internet unter www.zeitgeschichte-aargau.ch unter der Rubrik "Zeitzeugen" zu finden.