Die Goldgaranten aus Bünzen
24.03.2020 BünzenSandra und Fredy Strebel kehren als Gewinner von den World Transplant Winter Games heim
Tochter Sandra Strebel und Vater Fredy Strebel verbindet nicht nur die Blutslinie. Sie sind Organspender und -empfängerin, Athleten und auch beide Goldmedaillengewinner. Die ...
Sandra und Fredy Strebel kehren als Gewinner von den World Transplant Winter Games heim
Tochter Sandra Strebel und Vater Fredy Strebel verbindet nicht nur die Blutslinie. Sie sind Organspender und -empfängerin, Athleten und auch beide Goldmedaillengewinner. Die Transplantation hat das Leben der beiden positiv verändert. In Kanada feierten die beiden grosse Erfolge.
Joël Gattlen
Ende Februar in Banff. Sandra Strebel erinnert sich genau. Die Konzentration steigt. Die Momente vor dem Start ziehen sich schier endlos in die Länge. Dann der Countdown. 3, 2, 1, Start. Die 40-Jährige katapultiert sich aus dem Starthäuschen. Das erste Tor. Die Ski ˜ iegen über den Schnee. Tor um Tor hakt die Bünzer Transplantiertenathletin ab. Kalte Luft bläst ihr ins Gesicht. Minus 15 Grad Celsius, gefühlt kälter. Dann ist das Ziel im Blickfeld. «Noch einmal alles geben», denkt Sandra Strebel. Ein letzter Kraftakt und Strebel braust durchs Ziel. Beim Bremsen wirbelt sie eine Pulverwolke aus Schnee auf. Bestzeit.
Jetzt kochen auch bei ihr die Emotionen hoch. Sie begibt sich in den Wartebereich. Verfolgt gespannt die verbleibenden Skirennläufer. Eine Konkurrentin ist zügig unterwegs. Wird es noch einmal eng? Doch dann ist es gewiss. Gold für die Schweiz. Gold für Sandra Strebel.
Hilfsbereit, freundlich, locker
Die World Transplant Winter Games (WTWG) ÿ nden in einem Zweijahresturnus statt. Alternierend dazu ÿ nden die World Transplant Summer Games (WTSG) statt. Seit 2011 hat sie keine einzigen Spiele mehr verpasst. Insgesamt 33 Medaillen holte Sandra Strebel seither schon nach Hause nach Bünzen.
Die aktuellen Winterspiele fanden in der Kleinstadt Banff in der kanadischen Provinz Alberta statt. «Die Gegend ist unglaublich idyllisch. Als Schweizer Berg- und Naturliebhaber fühlt man sich hier sofort heimisch. Zudem sind die Kanadier ein äusserst freundliches, lockeres und hilfsbereites Volk. Einfach tolle Leute», sagt Fredy Strebel. Bei den Spielen kommen Organempfängerinnen und -empfänger aus der ganzen Welt zusammen und messen sich in verschiedenen Disziplinen. Sandra Strebel startet in den Ski Alpin-Wettbewerben.
Goldmedaillen wegen Coronavirus nicht geliefert
«Was mich besonders erstaunt hat, ist, dass sich der Schnee in Kanada ganz anders als jener hier in der Schweiz oder generell in Europa anfühlt. Er ist viel pulvriger und leichter. Dadurch braucht man beim Skifahren auch viel weniger Kraft», betont Athletin Sandra Strebel. Sie siegte in den alpinen Skisportdisziplinen Super-G, Riesenslalom, Parallelslalom, Slalom und Teamslalom. Bei Letzterem wurden jeweils die drei schnellsten Zeiten der Athleten einer Nation in der Disziplin Slalom für das Teamergebnis gewertet.
Dem Wettkampfÿ eber sind beide erlegen
Mit nach Hause nehmen konnten die Strebels ihre Goldmedaillen jedoch noch nicht. «Die Medaillen werden in der stark vom Coronavirus betroffenen Provinz Hubei gefertigt und konnten deswegen für die Siegerehrung nicht geliefert werden. Sie werden zu einem späteren Zeitpunkt nun nach Hause nachgeliefert», sagt Sandra Strebel.
Für die Siegerehrungen wurden andere Medaillen aus vergangenen Jahren verwendet, was der Feierlichkeit jedoch keinen Abbruch tat.
«Die Spiele sind für mich jedes Mal unglaublich bewegend. Seit mich mein Vater begleitet, geniesse ich auch jedes Mal das gemeinsame Reisen», sagt Sandra Strebel. «Zu Beginn und auch noch heute habe ich Sandra immer angefeuert. Seit 2017 dürfen auch Lebendspender in eigenen Kategorien und anderen Sportarten starten. Diese Chance habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Seither hat mich das Wettkampfÿ eber ebenfalls gepackt», gesteht Fredy Strebel. «All diese Erfahrungen durften wir erst dank meiner Transplantation erleben. Deswegen gehört die Transplantation zu meinem Leben und auch zu dem meines Vaters. Sie ist auch der Grund, weshalb ich heute überhaupt noch hier bin. Ich liebe mein ‹neues› Leben und lebe es in vollen Zügen. Dafür bin ich jeden Tag dankbar», sagt Sandra Strebel.
Erstes Kind mit Dottersackkrebs
Doch der Weg zum Erfolg und zurück ins Leben war nicht einfach. Alles begann, als bei Sandra mit sieben Jahren eine äusserst seltene Art von Krebs entdeckt wurde: Dottersackkrebs, ein Keimzellenkrebs. Eine Krebsform, die nur bei Kindern auftreten kann. «Ich war in der Schweiz das erste Kind mit dieser Krebsart. Wäre ich nur ein Jahr älter gewesen, hätte dieser Krebs gar nicht mehr ausbrechen können. Zeitweise lagen meine Überlebenschancen bei nahezu null Prozent», gesteht sie. Doch sie war schon damals eine Kämpferin. «Zunächst schlug die Chemotherapie nicht an. Dann wurde die Dosis erhöht, bis schliesslich der Krebs besiegt wurde.»
Doch die Genesung hatte einen Preis. Die Chemo schädigte Sandras Nieren. Sie funktionierten zwar noch, waren aber stark beeinträchtigt. Bis schliesslich die erste und dann vor 15 Jahren auch die zweite Niere versagte und eine Nierentransplantation notwendig wurde. «Mein Vater sagte sofort zu. Für ihn war es selbstverständlich, dass er mir eine Niere spendet. Doch ich habe mir lange Vorwürfe gemacht. Was, wenn ihm etwas passiert? Mittlerweile habe ich aber keine Angst mehr und habe auch viel mehr Selbstvertrauen. Wir achten gegenseitig aufeinander und die Nierentransplantation verbindet uns noch mehr miteinander», konstatiert Sandra Strebel. Jedes Jahr feiern die Strebels deswegen diesen ganz besonderen «Geburtstag». «Es ist für uns zu einer Tradition geworden. Ein Vater-Tochter-Tag, an dem nur wir beide einen Aus˜ ug machen und gemeinsam essen gehen», sagt Fredy Strebel.
Organspenden retten Leben
Sandra Strebel ist ofÿ zielle Botschafterin für Swisstransplant, die nationale Stiftung für Organspende und Transplantation. Als selbst Betroffene und als Botschafterin erstaunt es nicht, dass ihr das Thema der Organspende sehr am Herzen liegt. «Ich sage nicht, dass jeder seine Organe nach seinem Tod spenden soll. Aber es ist meiner Meinung nach enorm wichtig, dass sich jeder Einzelne mit dem Thema aktiv auseinandersetzt und dann bewusst entscheidet, ob er seine Organe spenden möchte oder nicht», erklärt Sandra Strebel.
Grosses Coronavirus-Risiko
«Wenn ich COVID-19 bekomme, sterbe ich», sagt Sandra Strebel. Auch eine Grippe sei für sie höchst gefährlich. «Eine Lungenkrankheit ist bei mir fast nicht behandelbar. Meine Immunsuppression aufgrund meiner Nierentransplantation ist stets ein Balanceakt auf Messers Schneide», betont Strebel. Unterdrückt man das Immunsystem zu stark, funktioniert es gar nicht. Unterdrückt man es zu wenig, stösst der Körper das transplantierte Organ ab. Aufgrund dieser Immunsuppression ist Strebels Körper anfälliger für Erkrankungen. «Hinzu kommt, dass ich wegen der vielen und starken Medikamente, die ich nehme, faktisch keine schmerz- und entzündungshemmenden Medikamente vertrage. Was das für eine Lungenentzündung in meinem Fall bedeuten würde, kann sich jeder selbst ausmalen.» Darum dankt Strebel allen, die sich an die Massnahmen halten. --jga