Gesellschaft wichtiger als Kultur
07.02.2020 KulturDie Abteilung Gesellschaft, Kultur und Sport legt die Schwerpunkte unterschiedlich fest
Seit zwei Jahren gibt es die neue Abteilung. Der Bereich Gesellschaft ist dermassen dominant, dass für Kultur und Sport kaum Zeit bleibt.
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Die Abteilung Gesellschaft, Kultur und Sport legt die Schwerpunkte unterschiedlich fest
Seit zwei Jahren gibt es die neue Abteilung. Der Bereich Gesellschaft ist dermassen dominant, dass für Kultur und Sport kaum Zeit bleibt.
Abteilung Gesellschaft, Kultur und Sport. Rein schon diese Bezeichnung sorgt für Erwartungen. Und zwar auf vielen Ebenen. Seit zwei Jahren gibt es im Wohler Gemeindehaus diese Abteilung. Mit der Verwaltungsreform wurde die Stelle eines Abteilungsleiters geschaffen, die zurzeit Flurin Burkard bekleidet. Nur: Was hat er, der SP-Grossrat, bisher realisiert? Er ist mit massenhaft Arbeit eingedeckt, die vor allem den Bereich Gesellschaft betrifft, beispielsweise das neue Kinderbetreuungsgesetz beansprucht Burkard verhältnismässig stark.
Gibt es einen Bezug zur Kultur?
Und die Bereiche Kultur und Sport? Die profitieren kaum von der neuen Stelle. Eine Umfrage zeigt: von sieben Vereinen oder Institutionen spürt nur gerade der Verein für Jugend und Freizeit die starke Handschrift des Abteilungsleiters. Kantiforum, Kultur im Sternensaal und Konzertfonds kennen die neue Abteilung kaum. Sie sind jedoch glücklich über den guten Kontakt zu Kultursekretärin Claudia Nick. Trotzdem stellt man beim Konzertfonds die Frage, wie stark der Bezug zur Kultur bei dieser Abteilung überhaupt ist. Auch zu Sportvereinen wie Handball Wohlen und TV Wohlen gab es bisher keinen Kontakt. Er wisse nicht, was alles aus dem Sport-Bereich zu dieser Abteilung gehört, klagt Martin Laubacher, Präsident von Handball Wohlen. Der Bereich Gesellschaft überwiegt stark. Leistungsvereinbarungen mit HPS, Toolbox, Lernen im Quartier und VJF sind eben wichtiger als der Draht zur Kultur und zum Sport.
Die zur Verfügung stehende Zeit sei einfach zu knapp, sagt der verantwortliche Gemeinderat Paul Huwiler. «Aber das ist typisch für Wohlen. Man versucht, mit wenig Mitteln möglichst viel zu erreichen.» --red
Mehr geht eben nicht
Der Leiter der Abteilung Gesellschaft Kultur und Sport, Flurin Burkard, im Fokus
Per Anfang Jahr wurde Flurin Burkard in die Geschäftsleitung befördert. Er bleibt aber auch weiterhin Abteilungschef. Doch hat die vor zwei Jahren neu geschaffene Stabsstelle wirklich das gebracht, was man sich von ihr erhofft hat? Es wird Zeit, einmal nachzufragen.
Chregi Hansen
Im Zusammenhang mit dem neuen Führungsmodell bewilligte der Einwohnerrat im Herbst 2017 mehrere neue Stellen. Darunter auch einen Leiter der neuen Abteilung Gesellschaft, Kultur und Sport.
Die Gründe für die neue Abteilung formulierte der Gemeinderat damals wie folgt: «Gesellschaftliche Themen wie Gesundheit, Alter, Jugend, Kinderbetreuung sowie Integration haben an Bedeutung gewonnen. Die Thematik ist komplex. Nur mit einer aktiven Bewirtschaftung können die notwendigen Ressourcen gezielt eingesetzt werden. Bislang war keine Verwaltungseinheit explizit dafür zuständig. Im Weiteren ist vorgesehen, dass das bestehende Kultursekretariat dieser Abteilung zugeordnet wird und im Rahmen der vorhandenen Mittel künftig auch dem Thema Sport mehr Bedeutung zukommt.»
Kinderbetreuungsgesetz benötigt ganz viel Zeit
Doch hat die neue Stelle auch Wirkung erzeugt? Diese Frage ging zum einen an die Vereine, die in diesen Kernbereichen Gesellschaft, Kultur und Sport tätig sind. Aber auch an den verantwortlichen Gemeinderat Paul Huwiler und den Stelleninhaber Flurin Burkard. Die Antworten beweisen: Zwar ist Flurin Burkard als Leiter der Abteilung mit mehr als genug Arbeit eingedeckt. Aber bei der Basis ist er noch weitgehend unbekannt. Vor allem bei den Kultur- und Sportvereinen, die bisher kaum Kontakt mit ihm hatten und die Abteilung zum Teil gar nicht kennen (siehe separaten Artikel unten).
«Das Resultat wundert mich nicht, denn der Bereich der Gesellschaft ist seit dem Start dominierend», gibt Burkard zu. Gerade der Sport sei noch eher weniger im Fokus. Was hingegen die Kultur angehe, so gehört das Kultursekretariat zur Abteilung. Dieses ist weiterhin erste Anlaufstelle für Vereine und Organisatoren. «Daran hat sich nichts geändert», erklärt Burkard. Gleichzeitig erinnert Paul Huwiler daran, dass die neue Stelle im Führungsmodell mit 100 Prozent vorgesehen war, Burkard aber zu 80 Prozent angestellt ist. Dass da nicht alles mit der gleichen Intensität bearbeitet werden kann, sei logisch.
Die Stelle werde stark beansprucht vom neuen Kinderbetreuungsgesetz, welches im Sommer 2018 in Kraft trat. «Ganz ehrlich, ich wüsste nicht, wie wir ohne diese Stelle die Umsetzung geschafft hätten», meint Huwiler. Dabei gehe es nicht einfach nur um die Bearbeitung von Gesuchen, diese werden hauptsächlich von einer Sachbearbeiterin behandelt. Es geht vor allem auch um das Erstellen von Bewilligungen, die Qualitätskontrollen, um Leistungsverträge und vieles mehr. Und manchmal sind auch Soforteinsätze nötig. «Es kann vorkommen, dass eine Tagesstrukturstelle mit einem Kind nicht klarkommt und es nicht mehr weiter betreuen will. Trotzdem hat die Familie weiter Anrecht auf einen Platz», sagt er. Und da ist Burkard dann gefragt.
Daneben kommen viele weitere Aufgaben im Bereich Gesellschaft, beispielsweise diverse Leistungsvereinbarungen, aktuell mit der HPS, der Toolbox, Lernen im Quartier oder dem VJF. Dazu Vernehmlassungen, das Stipendienwesen, Gesuche um Beiträge und Spenden. Oder auch um die Frage, wie eine Gemeinde dem Hausärztemangel begegnen kann. «Für den Gemeinderat ist die neue Stelle eine klare Entlastung», kann Huwiler feststellen, «all die Gesuche, Anträge und Vereinbarungen werden in der Abteilung vorbereitet und können so von uns schnell behandelt werden.» Zuvor waren viele dieser Aufgaben auf viele Abteilungen verteilt, nun ist alles gebündelt.
Koordinationssitzung mit den Vereinen ist vorstellbar
Dazu kommt natürlich auch die Konzeptarbeit. Aktuell beschäftigt sich Flurin Burkard unter anderem mit Altersfragen. Dabei geht es um die Umsetzung eines Ziels des Legislaturprogramms: das Entwickeln einer Vision und eine Vorgehensplanung für das Leben im Alter. «Daran haben wir in den letzten Monaten sehr intensiv gearbeitet», berichtet Burkard.
Ein noch umfangreicheres Projekt im Rahmen einer Stiftungsausschreibung steht aktuell am Scheideweg. Erfährt Wohlen von der Stiftung Unterstützung, was sich in den nächsten Monaten entscheidet, verfolgt man ein Konzept mit fünf ambitionierten Zielen. Das Schaffen von unterstützenden Strukturen, um in Wohlen bereits existierende Angebote zu koordinieren und punktuell zu erweitern, und das Starten eines kontinuierlichen Diskurses zum Thema Alter stehen dabei im Zentrum. «Mit dem VJF und der Toolbox haben wir da allfällig zwei starke Partner», so Burkard.
Dass sich die Vereine von der neuen Abteilung derzeit noch etwas stiefmütterlich behandelt fühlen, kann Burkard bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. «Der Name der Abteilung weckt sicher Erwartungen. Und es gibt einige Themen, die wir in Zukunft mit ihnen anschauen wollen. Aber derzeit fehlt einfach die Zeit», sagt er. Angepackt werden soll jetzt aber die Revision des Kulturgesetzes und im Sportbereich die Eigentümerstrategie für die Sportpark Bünzmatt AG.
Huwiler kann sich aber auch vorstellen, in Zukunft die Vereine zu einer Koordinationssitzung einzuladen, wie es in vielen anderen Gemeinden üblich ist. «Schon jetzt stehen wir den Vereinen gerne als Ansprechpartner zur Verfügung und unterstützen sie, sei es in Fragen der Infrastruktur oder auch finanziell», sagt Burkard.
Hat die neue Stelle also das gebracht, was sich die Gemeinde mit der Einführung des neuen Führungsmodells erhofft hat? «Ja», sagt Gemeinderat Paul Huwiler mit voller Überzeugung. Gleichzeitig gibt er zu, dass die zur Verfügung stehende Zeit für die vielen Aufgaben fast etwas knapp ist.
Auch die Schnittstellen zur Schule beachten
Und an Arbeit wird es dem neuen Abteilungsleiter auch in Zukunft nicht mangeln. Falls die Aargauer im Mai der Abschaffung der Schulpflege zustimmen, dann wird dieser Abteilung noch mehr Bedeutung zukommen. Schon jetzt ist Burkard auch für den Schulbereich tätig, aktuell etwa bei der Revision des Musikschulreglements. Und er führt das Protokoll der Schulleitungskonferenz. «Das macht Sinn, weil es ganz viele Schnittstellen zwischen Gemeinde und Schule gibt», erklärt Huwiler.
Somit wird deutlich: Flurin Burkard ist mehr als ausgelastet. «Tatsächlich nimmt mich das Tagesgeschäft derart in Anspruch, dass wenig Zeit bleibt, neue Ideen zu entwickeln», sagt er selber. Mit dem Projekt Sozius beweist er aber, dass man nicht einfach verwaltet, sondern auch nach vorn schaut. Flurin Burkard selber gefällt die Breite seiner Aufgaben.
«Stelle braucht Anlaufzeit»
Umfrage bei Vereinen und Anbietern zur neuen Abteilung Gesellschaft, Kultur und Sport
Inwiefern profi tieren die Akteure aus Gesellschaft, Kultur und Sport von dieser neuen Abteilung? Diese Frage haben wir verschiedenen Vereinen und Organisationen gestellt. Die Antworten sind ernüchternd.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform wurde im Gemeindehaus eine neue Abteilung Gesellschaft, Kultur und Sport geschaffen. Dies mit dem klaren Ziel, die Arbeit in der Gemeinde in diesen Bereichen zu stärken. Zu den Aufgaben gehören unter anderem die Koordination der örtlichen Angebote unter Einbezug der Leistungserbringenden im Bereich der Kultur, des Sports und der vorhandenen kommunalen Infrastruktur.
Doch wie erleben insbesondere die Anbieter in diesen Bereichen, also die Vereine und Organisationen, die Neuerung? Dazu wurde eine kleine Umfrage lanciert. Den meisten Vereinen ist es nicht bewusst, dass es eine neue Abteilung gibt, sie wurden nie informiert oder kontaktiert, und sie sehen keine Veränderungen zu früher. Vorstellungen, was die Stelle bewirken kann, gibt es aber schon.
Wichtig ist vor allem der Kontakt zur Kultursekretärin
«Mir ist nicht bekannt, dass es diese Abteilung gibt», gibt Markus Häni, Co-Präsident des Kantiforums, zu. Die Zusammenarbeit erfolge ausschliesslich über das Kultursekretariat, also über Claudia Nick. Und diese Zusammenarbeit sei sehr gut. Genau gleich sieht es Eva Keller vom Sternensaal. «Für uns Kulturveranstalter ist bis jetzt alles gleich geblieben, weil für uns Claudia Nick zuständig ist und sie uns unterstützt und wir in bestem Einvernehmen mit ihr stehen», sagt sie. Gleichzeitig würde sie sich wünschen, dass der Kultur mehr Gewicht und Wertschätzung gegeben wird, denn «Kultur ist die Handschrift einer Gemeinde, sozusagen der ‹Unique Selling Proposition›, wie man im Marketing sagt». Dazu braucht es ihrer Meinung nach auch kein neues Kulturkonzept, «das bisherige müsste nur richtig und spürbar umgesetzt werden».
Auch auf die Arbeit des Konzertfonds hatte die Verwaltungsreform bis jetzt eigentlich keinen Einfluss. «Wir sind bis jetzt nie kontaktiert worden und hatten nie Anlass, selber den Kontakt zu suchen», sagt Präsident Werner Schoop. Er attestiert Flurin Burkard, dass er einen «engagierten Start» hingelegt hat, stellt sich aber die Frage, wie stark dessen Bezug zur Kultur wirklich sei.
Auch bei den Sportvereinen spürt man keine Veränderungen. «Bisher gab es keine Kontakte und ich wüsste ehrlich gesagt auch nicht, was in Bezug zum Sport alles zu dieser Stelle gehört», sagt Martin Laubacher, Präsident von Handball Wohlen. Er würde sich eine Vereinfachung in der Kommunikation und allenfalls ein Mitspracherecht bei Projekten und Entscheidungen wünschen.
Auch Rolf Stadler vom TV Wohlen kann noch wenig zur neuen Abteilung sagen. «Die neue Stelle braucht sicherlich eine gewisse Anlaufzeit», sagt er. Er sieht da vor allem Potenzial in Sachen Koordination (zum Beispiel, wenn die neuen Turnhalleneinheiten vergeben werden) oder bei Terminkoordinationen. «Unsere Hauptberührungspunkte zur Gemeinde sind in den Niedermatten. Dort funktioniert die entsprechende Kommission gut. Wir wünschen uns da eine Kontinuität, damit wir uns weiterhin auf den Sport und die Beschaffung der dafür notwendigen Finanzen konzentrieren können», macht Stadler deutlich. Auch die Ludothek hatte bisher noch keine Kontakte zum neuen Abteilungsleiter. Carola Lüthi findet es wichtig, dass die Arbeit der Vereine von der Gemeinde unterstützt wird. «Unsere Vereine brauchen alle Unterstützung, wir sollten uns auch gegenseitig unterstützen und mehr miteinander arbeiten», sagt sie. «Ich glaube, hier könnte sich die Abteilung Gesellschaft, Kultur und Sport engagieren. Das wäre toll.»
Erfreuliche Entwicklung
Höchst zufrieden mit den Neuerungen äussert sich der Verein für Jugend und Freizeit. Von einer «erfreulichen Entwicklung» spricht Karin Stoll. «Wir haben jetzt für all unsere Belange eine kompetente Ansprechperson, die sich aktiv kümmert und viel Wissen in unseren Bereichen aufgebaut hat. Es gibt eine klare Trennung von operativen und strategischen Geschäften und die Verantwortlichkeiten sind geklärt. Wir stehen in regelmässigem Kontakt mit Flurin Burkard bezüglich verschiedener Projekte», fügt sie an. --chh