Super Bowl auf Freiämter Art
31.01.2020 SportKarl «Kari» Häfeli aus Tennwil ist Sportchef der Argovia Pirates, des einzigen American-Football-Vereins im Kanton Aargau. Die Argovia Pirates geben am Sonntag eine Super-Bowl-Party in Aarau. Der Hype um den Event ist seit einigen Jahren auch in der Schweiz und damit auch im ...
Karl «Kari» Häfeli aus Tennwil ist Sportchef der Argovia Pirates, des einzigen American-Football-Vereins im Kanton Aargau. Die Argovia Pirates geben am Sonntag eine Super-Bowl-Party in Aarau. Der Hype um den Event ist seit einigen Jahren auch in der Schweiz und damit auch im Freiamt angekommen. Häfeli, der in den 1980er- und 1990er-Jahren selbst Football gespielt hat und den Sport seither verfolgt, erklärt, wie es aus seiner Sicht dazu gekommen ist, dass der Sport und insbesondere der Super Bowl mittlerweile auch in der Schweiz eine solche Popularität geniessen. --jl
«Man muss ein wenig verrückt sein»
American Football: Argovia-Pirates-Sportchef Karl Häfeli spricht über den Super Bowl
In der Nacht von Sonntag auf Montag werden weltweit Millionen Zuschauer den Super Bowl zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers verfolgen. Auch im Freiamt ist der Super Bowl mittlerweile ein Event. Karl Häfeli aus Tennwil ist Sportchef der Argovia Pirates. Er kommentiert die Entwicklung des American Football seit den 1980er-Jahren.
Josip Lasic
Karl Häfeli, freuen Sie sich auf den Super Bowl?
Karl Häfeli: Ja, sehr. Wir von den Argovia Pirates veranstalten im Kino Ideal in Aarau eine Super-Bowl-Party. Es ist das dritte Jahr in Folge, dass wir ein Public Viewing für den Super Bowl veranstalten. Das wird eine gute Sache.
Sie verfolgen American Football seit den 1980er-Jahren. Damals wird es kaum solche Partys gegeben haben?
Nein, damals musste man mit der Satellitenantenne herumbasteln, bis man einen Sender gefunden hatte, der American Football übertrug (lacht). Den Super Bowl haben wir uns dann jeweils in der «Flora» in Wohlen angesehen. Als Football-Spieler waren wir damals ziemliche Exoten.
Wie kam man in den 80er- und 90er-Jahren überhaupt auf diese Sportart?
Mich hat mal ein Kollege ins Training zu den «Outlaws», so hiess damals die Mannschaft aus Zufikon, mitgenommen. Mir hat es sofort gefallen. Damals war aber vieles anders. Egal ob Regeln, Taktik oder Trainingsmethoden – wenn uns der Trainer etwas gesagt hat, haben wir das geglaubt. Es gab kein Internet und kein Youtube, wo wir uns selbst schlaumachen und Dinge vergleichen konnten.
Wie erklären Sie sich, dass das Interesse am Sport, besonders am Super Bowl, innerhalb von 30 Jahren so gestiegen ist?
Es ist die mediale Präsenz. Die amerikanische Liga, die NFL, hat in den 90er-Jahren stark Werbung in Europa gemacht. Mit der NFL Europe wurde eine europäische Liga gegründet. Besonders gross war das Interesse in Deutschland. Durch die zahlreichen amerikanischen Militärstützpunkte im Land war es prädestiniert für den Sport. Als die NFL Europe zu Ende ging, waren fast nur noch Teams aus Deutschland mit dabei. Obwohl der Spielbetrieb irgendwann eingestellt wurde, hatte der Sport Fuss gefasst in Europa und schwappte aus Deutschland auf die Nachbarstaaten über. In den Nullerjahren begannen die ersten Bezahlsender die NFL zu übertragen. Mittlerweile ist der Sport auch im Free TV zugänglich.
Spüren Sie das gestiegene Interesse in der Schweiz auch auf sportlicher Ebene?
Sehr. Zu meiner Zeit als aktiver Spieler gab es eine riesige Fluktuation an Vereinen. Ich habe ja selbst für drei Teams gespielt. Vereine wurden aufgelöst, neue wurden gegründet. Heute ist die Zahl der Vereine in den Schweizer Ligen konstant, tendenziell sogar steigend. Aktuell sind 24 Clubs in den drei Ligen tätig.
Ist das Interesse auch unter potenziellen Spielern grösser?
Nach dem Super Bowl werden wir sicher wieder von Leuten überrannt, die Football spielen wollen (lacht). Viele von ihnen sind aber nach ein paar Trainings wieder weg.
Wieso denn?
Im Fernsehen sieht Football immer sehr schön und ästhetisch aus. Um dort hinzukommen, braucht es aber viel Arbeit im Training. Viel Schweiss, Konditionstraining, Übungen für die Beinarbeit. Ausserdem gibt es zahlreiche Spielzüge im Playbook, die gelernt werden müssen. Das wird nicht im Training gelernt, sondern zu Hause. Für diesen Sport muss man ausserdem ein wenig verrückt sein (lacht).
Wie meinen Sie das?
Grob gesagt geht man mit der Einstellung aufs Feld: «Heute spiele ich und was morgen ist, spielt keine Rolle.»
Zurück zum Super Bowl. Glauben Sie, dass viele Leute bei uns den Anlass nur sehen, um mitreden zu können?
Das weiss ich sogar. Ich kenne Leute, die Super-Bowl-Partys veranstalten, aber während des restlichen Jahres nichts mit Football zu tun haben.
Wieso macht man so etwas?
Der Super Bowl ist eine riesige Show. Die Amerikaner lieben Shows und einige Leute bei uns auch. Deshalb sehen sie sich den Super Bowl an.
Ist es nicht etwas befremdlich, wenn bei den TV-Übertragungen dann jemand engagiert werden muss, der solchen Leuten das Spiel erklärt?
Nein. Die Argovia Pirates haben an den Spielen zwischen 400 und 600 Zuschauer. Unser Speaker erklärt denen während der Partie auch, was passiert. Football ist zwar im Grunde genommen nicht kompliziert, aber es gibt viele kleine zusätzliche Regeln, die selten zum Einsatz kommen, aber das Verständnis erschweren. Bei denen streiten sich teilweise auch die Trainer in der Schweiz (lacht).
Ist für Sie der Super Bowl zu viel Show?
Was heisst zu viel? Es ist viel Show und viel Zirkus. Ich schaue mir deshalb gern Spiele vor dem Super Bowl an oder College-Football-Spiele. Da ist es noch «ehrlicherer Football». Und natürlich schaue ich gern Spiele in der Schweiz, weil ich den Sport hierzulande pushen will. Aber die Amerikaner mögen Shows. Und wir bei den Argovia Pirates sind die einzigen, die Linien wie in der NFL auf dem Feld zeichnen. Alle anderen Vereine haben eine rudimentärere Linienzeichnung. Damit geben wir unserem Publikum auch ein wenig Show.
Geraten Sie durch das gestiegene Interesse oft an Leute, die sich für Experten halten, obwohl sie nicht viel vom Thema verstehen?
Das passiert hin und wieder, ja. Aber das gibt es zu jedem Thema. Leute, die wenig Ahnung davon haben, dafür aber viel Meinung (lacht). Die stören mich nicht. Viel interessanter finde ich Diskussionen mit Leuten, die Jahre nach mir zum Football gekommen sind.
Nennen Sie ein Beispiel.
Unser Quarterback-Coach Claudio Ferrari hat einen sehr modernen Blick auf das Spiel. Ich habe einen Blick, der durch 30 Jahre Football geprägt ist. Wir haben deshalb teilweise Diskussionen, wie man gewisse Dinge löst.
Hat sich der Sport sehr intensiv verändert?
Ja. Wir sind früher wie die Irren aufeinander los. Das war pure Gewalt. Die in der NFL haben es so gemacht, also haben wir es so gemacht. Mittlerweile ist der Sport nicht mehr auf rohe Gewalt ausgerichtet. Neue Reglementarien sind eingeführt worden. Nur schon Dinge wie eine Videoanalyse hat es zu meiner aktiven Zeit nicht gegeben.
Herr Häfeli, wer gewinnt den Super Bowl?
Ich mag Patrick Mahomes, den Quarterback der Kansas City Chiefs. Er ist frech und mutig und schafft es mit seiner Klasse oft, misslungene Spielzüge noch zu retten. Er agiert dann nicht nach Playbook, sondern instinktiv. Ich mag diese Frechheit und denke, dass sie den Unterschied machen wird. Die Chiefs gewinnen.
Aus Zufikon nach Tortuga
Entwicklung des Footballs im Freiamt und der Argovia Pirates
1986 wurde mit den Outlaws in Zufikon der erste American-Football-Verein in der Region gegründet. Nach Auflösung entstanden die Argovia Steelers in Reinach und die Wohlen Thunderbirds. Bei Letzteren war der in Dintikon aufgewachsene und mittlerweile in Tennwil wohnhafte Karl Häfeli Gründungsmitglied. Die Steelers und die Thunderbirds hatten mit der Zeit zu wenige Spieler. Deswegen fusionierten sie mit den Argovia Thunderbirds. Häfeli hat für all die Vereine im Aargau gespielt.
Die Massnahme mit der Vereinsfusionierung half auf längere Sicht nicht. 2002 löste sich der Verein auf. Häfeli war zu diesem Zeitpunkt Präsident der Thunderbirds. «Ich musste mit Familie und Beruf meine Prioritäten neu setzen, habe aber dennoch versucht, Leute zu finden, die den Club weiterführen würden.» Diese Versuche scheiterten. Nachdem der ganze Kanton Aargau jahrelang keinen Verein hatte, setzten sich im Mai 2013 einige ehemalige Mitglieder der Thunderbirds im Wohler «Piccadilly Pub» zusammen und beschlossen, erneut einen Verein zu gründen. Es war die Geburtsstunde der Argovia Pirates.
Wiedergeburt in Ammerswil
Nachdem die Mannschaft zunächst in einer Halle in Ammerswil trainiert hatte, konnte sie nach der offiziellen Vereinsgründung am 28. März 2014 ihre Trainings bald in Buchs durchführen. Die Suhrenmatte in Buchs wird zum Heimfeld der Pirates. In Anlehnung an den Film «Pirates of the Caribbean» nennen sie ihre Heimstätte auch «Tortuga». Die ersten drei Jahre trainiert Häfeli das Team. Die erste Saison bestreiten die Pirates 2015 in der NLC und beenden sie auf einem guten 4. Platz. «Das war schon sehr positiv», so Häfeli. «Im ersten Jahr ist man normalerweise Kanonenfutter.» Im zweiten Jahr gelingt der Aufstieg in die NLB. Obwohl Häfeli den Posten als Trainer abgibt, schaffen die Pirates im Jahr darauf beinahe den Durchmarsch in die Nationalliga A.
In den letzten zwei Jahren belegte das Team die Plätze 3 und 4 in der NLB. Häfeli ist mittlerweile Sportchef des Vereins und gemeinsam mit dem Villmerger Roland Peter Trainer der U19 der Argovia Pirates, die mittlerweile mit der 1. Mannschaft, der U19 sowie drei Flag-Football-Teams – Flag Football ist eine kontaktlose Form des American Football, bei der die Defensive den ballführenden Spieler stoppt, indem sie ihm eine Flagge aus dem Gürtel zieht, statt ihn körperlich zu tackeln – über fünf Mannschaften verfügen. --jl