Lokales und emotionales Paket
10.01.2020 MuriAusblick auf das Freilichttheater «Amerika» im Sommer im Klosterhof
Rund 400 000 Schweizerinnen und Schweizer verliessen im 19. Jahrhundert ihre Heimat. Die meisten aus schierer Not. Rund 200 stammten aus Muri. Von ihnen erzählt das Stück, das ...
Ausblick auf das Freilichttheater «Amerika» im Sommer im Klosterhof
Rund 400 000 Schweizerinnen und Schweizer verliessen im 19. Jahrhundert ihre Heimat. Die meisten aus schierer Not. Rund 200 stammten aus Muri. Von ihnen erzählt das Stück, das Muritheater in diesem Sommer im Klosterhof präsentieren wird.
Susanne Schild
Die Murianer hatten schon immer «einen äusserst seltsamen Hang, Schauspiele aufzuführen», schrieb der Staatsarchivar des Kantons Aargau Xaver Bronner im Jahr 1844. Bis heute gehören Theater und Muri irgendwie zusammen. Interessanterweise waren es bislang oft Eigenproduktionen, die zur Aufführung gelangten.
In den vergangenen Jahrzehnten ist es in Muri zur Tradition geworden, etwa alle sechs bis sieben Jahre ein Freilichttheater aufzuführen: Seit 1971 war es viermal das legendäre «Osterspiel von Muri». Einen Riesenerfolg konnte 2003 «Der heilige Burkard und die bösen Weiber von Muri» feiern. Aber auch Stücke wie «Die schröckliche Pilgerreise der drei Angelsachsen» 1989 und «De Stiefeliryter» 1982 eroberten die Herzen der Freiämter Theaterfreunde im Sturm. Theaterproduktionen in Muri sind nun mal «Heimspiele».
Die Bevölkerung in der Region ist theateraffin
Die Inszenierung «Amerika», die aus der Feder des Murianers Christoph Zurfluh stammt, liegt perfekt zwischen dem «Osterspiel» 2014 und dem nächsten Projekt im Jahr 2027. Dann steht auf der provisorischen Kultur- und Eventagenda bereits eine Produktion zum Jubiläum «1000 Jahre Kloster Muri». Es geht allerdings nicht bloss um das perfekte Timing: Murikultur ist der Überzeugung, dass das Freilichttheater im Jahr 2020 einem echten Bedürfnis entspricht: Die Bevölkerung der Region Muri ist durchaus theateraffin – solange eine Produktion innerhalb der Region aufgeführt wird, ein lokales Thema aufgreift, Laienschauspieler aus der Region auftreten und das Ambiente stimmt. «Mit dem Klosterhof ist ein einzigartiger, stimmungsvoller Rahmen garantiert», ist Christoph Zurfluh überzeugt. Geplant ist eine Tribüne mit rund 300 Sitzplätzen und ein kleines Gastronomie-Angebot. «Für Nachtessen und Apéros vor der Aufführung werden wir mit dem Restaurant Benedikt der Pflegi Muri in unmittelbarer Nähe des Spielorts zusammenarbeiten. Nach der Aufführung kann man den Abend an der Theaterbar ausklingen lassen.»
Die Entstehung des Stücks war ein Prozess
«Je näher sich das Publikum dem Thema fühlt, desto mehr Interesse weckt das Stück. Bei der Erarbeitung von ‹Amerika› haben wir vom Ressort Muritheater folgenden Punkten deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Regionalität, Einzigartigkeit, Unterhaltungswert, dramatisches Potenzial, Machbarkeit und Aktualität.» Die Entstehung des Stücks sei ein Prozess gewesen, so der Autor. Vor drei Jahren habe man im Ressort Muritheater begonnen, die Idee zu entwickeln. Ein Jahr lang schrieb Christoph Zurfluh an dem Stück. «Ich habe zwar schon Drehbücher geschrieben, aber noch nie eine Theaterinszenierung. Das war für mich Neuland. Ohne die enge Zusammenarbeit mit dem renommierten Freiämter Regisseur Adrian Meyer, der auch ‹Amerika› inszeniert, hätte ich mir diese Aufgabe nicht zugetraut», räumt Zurfluh ein.
Für «Amerika» habe Muritheater ein qualifiziertes künstlerisches Team mit viel Erfahrung gewinnen können, ist Zurfluh überzeugt. Christov Rolla ist für die Musik und die Komposition verantwortlich. Stefan Hegi gestaltete das Bühnenbild, Bernadette Meier die Kostüme. Mariana Coviello ist für die Choreografie und Edith Szabò für das Lichtdesign zuständig. Alina Schwitter führt die Regieassistenz. Die gebürtige Murianerin stand bereits als Kind auf der Theaterbühne.
Ergänzende Ausstellung in den Räumen der Gemeinde
Parallel zu den Aufführungen wird in den Räumlichkeiten der Gemeinde Muri während der Öffnungszeiten die Ausstellung «1854» zu sehen sein. «Diese weist dem Zuschauer sozusagen den Weg zum Theater. Hier kann man sich mit dem historischen Hintergrund vertraut machen», so Zurfluh. Recherchiert wurde unter anderem auch, was aus den Nachkommen der Auswanderer von 1854 in Amerika wurde. «Viele von ihnen fühlen sich nicht als Murianer und wissen teilweise nicht einmal, dass ihre Wurzeln hier im Klosterdorf liegen.»
Erfundene Geschichte mit historischem Hintergrund
Im November 2019 haben die Proben begonnen. Gegen 60 Laiendarstellerinnen und -darsteller aus der Region zählt das Ensemble, zu dem – als einziger Profi – auch der Murianer Musiker, Geschichtenerzähler und Schauspieler Philipp Galizia gehört. Er spielt den etwas schmierigen Wirt Lonzi, der im Auftrag einer grossen Auswandereragentur die Bevölkerung für die Reise ins Ungewisse begeistern soll.
Die Rahmengeschichte zeigt Muri im Jahr 1854: Die zweite Auswanderungswelle nach Übersee erreicht ihren Höhepunkt. Verlockende, oft geschönte Nachrichten von «drüben» und bittere Armut zu Hause wirken als Katalysatoren. 81 Murianerinnen und Murianer wandern allein in diesem Jahr aus. Die meisten nach Amerika. Die wenigsten von ihnen freiwillig. Vom diesem Exodus profitieren nicht bloss Auswanderagenturen, sondern auch die Gemeinde, die sich auf diese Weise ihrer ärmsten Mitglieder entledigt. Mittellose, die sich vom Acker machen, bekommen die Reisekosten aus der Armenkasse vergütet. Das ist billiger, als sie ein Leben lang durchzufüttern.
Keine billige Unterhaltung, aber ein Stück für alle
Es sind Tausende von Schweizerinnen und Schweizern, die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Amerika auswandern. Aus politischen oder kriegerischen Gründen an Leib und Leben bedroht ist niemand von ihnen. Es sind fast ausnahmslos Wirtschaftsflüchtlinge, die ihre Heimat verlassen. «Hier schliesst sich der Bogen zur Gegenwart. Das Publikum soll durch ‹Amerika› dazu angeregt werden, sich Gedanken über die aktuelle Flüchtlingsproblematik zu machen», wünscht sich Christoph Zurfluh. Dass es den Schweizern so gut wie heute gehe, sei keine Selbstverständlichkeit und sei nicht immer so gewesen. «Nur dass wir heute auf der anderen Seite stehen und Flüchtlingen Asyl gewähren sollten.» Weiter hofft der Autor, dass alle Vorstellungen ausverkauft sind. «Vor allem aber soll das Publikum Freude an der Geschichte, die auch ein Teil ihrer eigenen ist, haben. Doch es wird sicherlich keine billige Unterhaltung, sondern ein Stück für alle werden, das berührt.»