Das Phänomen Vollenweider
29.11.2019 SportJeremy Vollenweider hatte schon mit mehreren Schicksalsschlägen zu kämpfen
Er ist die spannendste Person bei den Freiämter Ringern: Jeremy Vollenweider. Er überlebte einen Herzstillstand, besiegte den Krebs und ist auch in anderen Sportarten stark. Der ...
Jeremy Vollenweider hatte schon mit mehreren Schicksalsschlägen zu kämpfen
Er ist die spannendste Person bei den Freiämter Ringern: Jeremy Vollenweider. Er überlebte einen Herzstillstand, besiegte den Krebs und ist auch in anderen Sportarten stark. Der 21-Jährige ist ein Phänomen.
Stefan Sprenger
Vieles spielt sich bei Jeremy Vollenweider in seinem Inneren ab. 95 kg schwer, 189 cm gross – und ein ruhiger und überlegter Typ. Dass der Ringer der Freiämter in jungen Jahren schon überaus reif erscheint, hat gute Gründe. Schuld ist das Jahr 2016. Ein Schicksalsjahr für den Maurer aus dem Kanton Schaffhausen.
«Reset-Knopf ohne Erklärung»
«Es hat einfach abgestellt – und war dann wieder da», erzählt Vollenweider. Mit «es» meint er sein Herz. Im April 2016 passiert es. In Oberriet tritt er zu einem Ring-Kampf an. In der Pause merkt er, dass etwas nicht stimmt. «Doch ich machte weiter», so Vollenweider. Er bricht zusammen. Sein Herz bleibt stehen. Über eine Minute lang. Sanitäter beatmen ihn und holen ihn zurück ins Leben. Ein Herzstillstand mit 18 Jahren. Wieso ist das passiert? «Das kann bis heute niemand so genau sagen», sagt er. Er hatte davor und danach nie wieder etwas gespürt. Vollenweider bezeichnet es als «Reset-Knopf ohne Erklärung».
Wenige Monate später der nächste Schock. Als seine Freundin Saskia und seine Eltern ihn überreden, endlich zum Arzt zu gehen wegen eines Geschwulsts am Hoden, folgt der nächste Schrecken: Hodenkrebs. Ein Hoden war auf dem Ultraschall komplett schwarz. Der befallene Hoden muss sofort amputiert werden. Der Krebs hat sich bereits ausgebreitet auf Bauch und Lunge. Die Chemotherapie wirkt nicht wie gewünscht, er muss sich einer komplizierten und hochseltenen Operation unterziehen. Im Uni-Spital Zürich wird ihm fast der ganze Bauch freigelegt. Der Krebs ist weg. In dieser Woche war Jeremy Vollenweider in der Routine-Kontrolle im Universitätsspital Zürich. «Alles gut», sagt er.
«Einstellung zum Leben hat sich radikal geändert»
Diese Zeit hat den jungen Mann geprägt. Der 21-Jährige, der in Beringen wohnt, ging gestärkt aus dieser Zeit. «Meine Einstellung gegenüber dem Leben hat sich radikal geändert. Ich sehe die Dinge anders als zuvor. Ich bin reifer geworden und ich sehe vieles entspannter als früher.» Vollenweider sagt, dass sein Leben nun einfacher ist. Und er erklärt, dass er seit diesem Schicksalsjahr 2016 viel mehr auf seinen Körper hört. «Wenn ich krank war, ging ich früher trotzdem ins Ringertraining. Das mache ich heute nicht mehr. Ich höre viel besser auf meinen Körper», so Vollenweider. Marcel Leutert, Trainer der Ringerstaffel Freiamt, sagt über ihn: «Er ist im Sport sowie im Leben ein Riesen-Kämpfer. Ein hochangenehmer Mensch.»
Rang 17c am Eidgenössischen, Schlussgang an Nationalturn-SM
Und es geht ihm heute wieder so richtig gut. Er hatte ein tolles Sportjahr 2019. Dabei wird klar: Er ist ein sportliches Multitalent. Jeremy Vollenweider stand an der Schweizer Meisterschaft im Nationalturnen in Grosswangen im Schlussgang. Dazu war er am eidgenössischen Schwingfest mit dabei. Und wie. In den ersten zwei Gängen bodigt er Noe Van Messel und Remo Käser. «Dann überlegte ich zu viel.» Am Ende wird es Rang 17c. «Zufrieden» sei er damit. Aber: «Ich will am nächsten Eidgenössischen wieder dabei sein und dann hoffentlich den Kranz holen.»
Dies ist aber Zukunftsmusik. Aktuell ist das Ringen dominierend. Jeremy Vollenweider ist sein zweites Jahr bei den Freiämter Ringern dabei. Er ringt noch mit Weinfelden in der Nationalliga B. Dies hatte Priorität. In der aktuellen Saison war er in der 1. und 2. Runde für Freiamt im Einsatz. – und siegte beide Male. Über das Freiämter Team sagt er: «Tolle Typen, mir gefällt es hier.» Trainieren tut er nur sehr selten im Freiamt.
«Ich will Revanche»
Im Halbfinal-Hinkampf am vergangenen Samstag gab es gegen den Kriesserer Jürg Hutter im Duell 97 kg Freistil eine 1:2-Niederlage. Vor dem Rückkampf am Samstag sagt Vollenweider: «Ich will Revanche.» Die Frage ist nur: Gibt es das Duell erneut? Falls Magomed Aischkanow kommt (siehe Kasten), wäre dieser wohl in dieser Gewichtsklasse. «Wenn ich ringe, dann gebe ich alles», verspricht Vollenweider – und sieht die Sache natürlich entspannt: «Der Trainer entscheidet, wer ringt. Es wäre aber schön, wenn ich nochmals ran dürfte.»
Die RS Freiamt führt mit 19:17 vor dem Rückkampf. Vollenweider sagt: «Die Ausgangslage ist minimal besser, es wird sowieso supereng. In Kriessern erwartet uns ein Tollhaus.» Dies würde ihn aber relativ kalt lassen. Aus dem Schicksalsjahr 2016 ist er stärker rausgekommen und ist mental gewachsen. «Wir wollen in den Final, das ist unser Minimalziel», so Vollenweider. Und dann? Der voraussichtliche Finalgegner Willisau scheint in dieser Saison unbezwingbar. Der Titelgewinn scheint unmöglich. «Unmöglich? Sicher nicht», sagt Vollenweider. Der ruhige Typ spricht dann grosse und wahre Worte: «Alles ist machbar, nichts ist unmöglich.»
Warten auf A ischkanow
Im Januar 2019 reiste Freiamts Freistiltrainer und Spitzenringer Magomed Aischkanow nach Tschetschenien, weil sein Vater gestorben war. Er durfte aber nicht mehr zurückkehren, weil seine ursprüngliche Heirat mit Landsfrau Milana Chazuewa, die über den Schweizer Pass verfügt, nach Schweizer Recht nicht gültig war. Im März heiratete er in Russland ein zweites Mal und stellte im Mai einen neuen Visumsantrag. Seither mahlen die Schweizer Amtsmühlen. Erst nach einer Medienanfrage kam Bewegung in den Fall. Zurzeit liegt der Ball beim Zivilstandsamt Rheinfelden. Der Familienausweis soll auf Nachfrage «demnächst» ausgestellt werden. Dann brauchts die Visumsermächtigung des Amts für Migration in Aarau, bevor Aischkanow in die Schweiz fliegen kann. Die Ringerstaffel Freiamt hofft, dass dies vor dem ersten Medaillenkampf der Fall sein wird. --wr