Eine Lektion in Cleverness
15.10.2019 SportFussball, 1. Liga classic: FC Biel – FC Wohlen 3:0 (2:0)
700 Zuschauer wollten in der Tissot-Arena den Spitzenkampf sehen. Der FC Wohlen stellt sich dabei in den entscheidenden Szenen ärgerlich naiv an. Leotrim Nitaj fliegt vom Platz und Goalie Olivier Joos ...
Fussball, 1. Liga classic: FC Biel – FC Wohlen 3:0 (2:0)
700 Zuschauer wollten in der Tissot-Arena den Spitzenkampf sehen. Der FC Wohlen stellt sich dabei in den entscheidenden Szenen ärgerlich naiv an. Leotrim Nitaj fliegt vom Platz und Goalie Olivier Joos verschätzt sich doppelt. Der FC Biel erobert mit Cleverness die Tabellenführung von den Freiämtern.
Stefan Sprenger
Zwei Minuten genügen, um sich das ganze Spiel kaputt zu machen. 44 Minuten lang ist die FCW-Welt nämlich total in Ordnung. Die Freiämter dominieren von der ersten Sekunde an. Sprichwörtlich, denn nach nur wenigen Sekunden streift der erste FCW-Abschluss von Vilson Doda die Latte. Hinzu kommt nach einer halben Stunde ein verschossener Elfmeter von Davide Giampà. Wohlens Topskorer schnappt sich selbstsicher den Ball, läuft an – und scheitert mit seinem unplatzierten Schuss an Biel-Goalie Grivot. Wohlen macht in der ersten Phase vieles richtig, verpasst es aber, in Führung zu gehen. Kurz vor dem Seitenwechsel stellt man sich an wie Anfänger.
44. Minute. 0:0 im Spitzenkampf. Biel tritt einen Freistoss zur Mitte. Die FCW-Akteure sind gedanklich in der Kabine. Sie traben gemächlich mit. Ricardo Colamartino nickt freistehend ein. 0:1. Biel jubelt. Wohlen ist in Schockstarre, spielt wieder an – und kassiert erneut ein Gegentor. Christian Mourelle zieht aus 25 Metern ab. 0:2. Ein unplatzierter Schuss. FCW-Goalie Olivier Joos sieht nicht gut aus. «Es war ein unberechenbarer Flatterball. Aber ja, an einem besseren Tag habe ich solch einen Schuss auch schon gehalten», sagt Joos.
Die Wohler gehen mit hängenden Köpfen in die Kabine. Ronny Minkwitz sagt zur ersten Halbzeit: «Wir verschiessen einen Penalty. Dann schlafen wir beim 0:1. Und verpassen es dann, mit diesem Rückstand in die Kabine zu gehen. Wir schaffen es, noch weitere Fehler zu machen, und sind dann mit zwei Toren hinten. Da gibt es nichts zu diskutieren. Wir sind selber schuld.»
Rot für Biel, Rot für Wohlen
Im zweiten Durchgang sind die Wohler gewillt, die Partie zu drehen. Und während es in vielen anderen Spielen in dieser 1. Liga classic geklappt hat, einen Rückstand in einen Sieg umzuwandeln, so ist dieser FC Biel einfach eine Klasse für sich im Verwalten dieses Vorsprungs. Die Seeländer agieren defensiv clever, hauen die Bälle weg, wenn man unter Druck ist, und spielen geduldig hinten raus, wenn man die Zeit und den Platz hat.
Und wenn sich die Bieler doch mal einen Fehler erlauben, dann nützen ihn die Wohler nicht aus. 65. Minute: Das Spiel wird immer hitziger, die Zweikämpfe werden aggressiver. Adrian Fleury grätscht bösartig Wohlens Vilson Doda um. Rot. Platzverweis. Wohlen spielt nun 25 Minuten plus Nachspielzeit mit einem Mann mehr. Geht da noch was? Nein. Denn nur drei Minuten später muss auch FCW-Verteidiger Leotrim Nitaj unter die Dusche. Der Zweikampf zwischen Künzli und Beyer ist eigentlich schon vorbei, da mischt sich Nitaj ein, schubst den Bieler weg. «Er lässt sich dann fallen und spielt Theater», meint Nitaj. Doch dies reicht, um auch ihn mit Rot vom Feld zu werfen. Dazu meint der Woh ler: «Das Spiel wurde immer hektischer, der Schiedsrichter musste etwas tun. Für mich war es höchstens die Gelbe Karte, aber er musste kompensieren.»
Herrliches 3:0
Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist eine weitere Szene, die von fehlender Cleverness zeugt. 10 Bieler schaffen gegen 10 Freiämter die definitive Entscheidung. In der 80. Minute trifft Kaua Safari von der Seitenlinie herrlich – hinweg über Goalie Joos – ins Netz. Tor. 3:0. Tabellenführung. «Es war ein Stellungsfehler. Dieses Tor nehme ich auf meine Kappe», sagt der FCW-Goalie Joos, der bei diesem Gegentor eine schlechte Figur macht.
Die Mannschaft muss sich nach diesem Spitzenkampf hinterfragen. Denn der FC Biel erteilte dem FC Wohlen eine Lektion in Cleverness und Spielintelligenz. Die Wohler zeigen zwar erneut, dass sie starke Kicker sind, jedoch fehlt es an Disziplin und klarer Linie. Gegen ein Team mit Charisma und Konzept, wie den FC Biel, sieht der FCW alt aus. Die Tabellenführung ist futsch und Wohlen verpasst es, nach der 3:4-Pleite in der Cup-Qualifikation gegen Red Star ZH eine Reaktion zu zeigen.
NACHGEFRAGT
«Diese Pleite ist meine Schuld»
FC-Wohlen-Trainer Thomas Jent spricht Klartext. Die Niederlage im Spitzenkampf gegen Biel sei seine Schuld. Er habe in der Woche zuvor der Mannschaft die Lockerheit und Selbstsicherheit genommen.
44. Minute 0:1 für Biel. Wenige Sekunden später folgt das 0:2. Wieso sind Sie an der Seitenlinie nicht ausgerastet?
Thomas Jent: Wieso sollte ich? Über 35 Minuten lang haben wir alles sehr gut umgesetzt. Wir spielten sehr gut, haben Chancen kreiert, treffen die Latte, verschiessen einen Penalty.
Das nützt nichts, wenn man zur Halbzeit 0:2 hinten liegt.
Wir leisteten uns blöde, individuelle Fehler, die der FC Biel dann eiskalt ausnützt. Nach dem 0:2 wurde es dann enorm schwierig gegen diese Mannschaft, die erst zehn Gegentore kassiert hat. Ich kann meiner Mannschaft aber keinen Vorwurf machen.
Wer ist dann Schuld an der Pleite?
Ich.
Erklären Sie.
In der letzten Woche liess ich das Team aggressiv trainieren und habe mich als Trainer distanziert. Dadurch habe ich der Mannschaft die Lockerheit und Selbstsicherheit genommen, die sie so stark macht.
Ganz ehrlich: Giampà verschiesst doch den Elfmeter nicht wegen fehlender Lockerheit?
Davide Giampà war sich sicher, dass er trifft. Er wollte es aber zu gut machen und hat sich deshalb verkrampft. Und genau diese fehlende Coolheit und Selbstsicherheit fehlte bei einigen Spielern. Und dafür bin ich verantwortlich. Natürlich, wenn wir 1:0 in Führung gehen, dann sieht alles anders aus. Aber so spürte man nach dem Gegentor zum 0:1, dass wir wie blockiert waren. Von da an waren wir oft einen Schritt zu spät.
Im Spitzenkampf eine 0:3-Pleite ist eine klare Sache.
Ja. Allerdings haben wir auswärts bei der besten Mannschaft der Liga verloren. Die Erwartungshaltung, die in Wohlen herrscht, ist für mich manchmal nicht ganz verständlich. Wir zeigen guten, spektakulären Fussball und sind nach wie vor an der Spitze. Daran ändert diese Niederlage auch nichts. Wir machen nach wie vor vieles richtig.
Was sind die Ziele bis zur Winterpause?
Wir haben noch vier Spiele, drei davon zu Hause. Angefangen am kommenden Samstag gegen Zug. Wir wollen vorne dabei bleiben. --spr