Josip Lasic, Redaktor.
Wir schreiben das Jahr 1998. Ich bin mit meiner Primarschulklasse im Lager und habe die grossartige Idee, dass wir uns Gruselgeschichten erzählen könnten, sobald das Licht aus war. Das Ergebnis war nicht so grossartig. ...
Josip Lasic, Redaktor.
Wir schreiben das Jahr 1998. Ich bin mit meiner Primarschulklasse im Lager und habe die grossartige Idee, dass wir uns Gruselgeschichten erzählen könnten, sobald das Licht aus war. Das Ergebnis war nicht so grossartig. Nachdem einige Geschichten ausgetauscht waren, mussten die Mädchen vor Angst heulen. Und die Jungs? Wir haben uns im Dunkeln alle Mühe gegeben, dass man uns die Angst und das Heulen nicht anmerkt. Etwa zur selben Zeit waren ein Klassenkamerad und ich grosse Fans der Serie «Akte X», die ebenfalls sehr gruselig war. Hat er sie bei mir gesehen, musste ihn mein Vater nach Hause begleiten, weil er Angst hatte. Und ich musste mitgehen, weil ich Angst hatte zu Hause zu bleiben. Habe ich die Serie bei ihm gesehen, lief das Ganze umgekehrt ab, mit seinem Vater. Dabei wohnten wir knapp 100 Meter Luftlinie auseinander.
Ich weiss nicht, was uns Menschen an Horrorfilmen, Geistergeschichten und Ähnlichem so fasziniert. Tatsache ist, dass wir uns offenbar gern erschrecken lassen. Und ich bin da keine Ausnahme. Nach wie vor sehe ich mir gern einen Horrorfilm an, besuche in grösseren Städten in der Nacht die sogenannten «Geistertouren» oder in Vergnügungsparks irgendwelche Geisterbahnen. Ich bin zwar nicht mehr so ängstlich wie in der Primarschule, müsste aber – sehr diplomatisch ausgedrückt – auch nicht gerade in einer Vollmondnacht auf einem Friedhof übernachten. Als ich etwa 18 Jahre alt war, haben wir im Kollegenkreis einen Filmabend veranstaltet. Auf dem Programm stand unter anderem der Horrorfilm «The Ring». Gentleman wie ich bin, habe ich danach eine Kollegin mit dem Fahrrad nach Hause begleitet. Als ich von ihr dann zu mir fuhr, musste ich noch an einem dunklen Wald vorbei. Ganz ohne meinen Vater. Und ich hatte dennoch keine Angst. Als ich mich zu Hause im dunklen Schlafzimmer in mein Bett gelegt hatte, sah das schon anders aus. Sehr viel geschlafen habe ich in jener Nacht jedenfalls nicht.
Der langen Rede kurzer Sinn – ich habe in den nächsten Tagen vor, mir den Film «Dracula» von 1931 anzusehen. Mutige Leute, die mir zur Seite stehen, sind sehr erwünscht. Vielleicht hat mein Vater sogar Zeit, den einen oder andern gemeinsam mit mir nach Hause zu begleiten.