Wie Gott Ostern erlebte
18.04.2019 ReligionOstergeschichte: Eine durchaus ernst gemeinte Fantasie
«Tot! – Tot!», schrie Gott und kickte mit dem Fuss gegen seinen schönsten Thron. Der Schmerz, der augenblicklich in seinen Fuss und dann wie ein Blitz durch seinen ganzen ...
Ostergeschichte: Eine durchaus ernst gemeinte Fantasie
«Tot! – Tot!», schrie Gott und kickte mit dem Fuss gegen seinen schönsten Thron. Der Schmerz, der augenblicklich in seinen Fuss und dann wie ein Blitz durch seinen ganzen Körper
Corinne Dobler
fuhr, brachte ihn einen Moment aus seinem Konzept. Er hielt inne. «Mein Sohn ist tot. Mein Einziger.»
Die Heiliggeistkraft legte stumm ihre Hand auf Gottes Schulter. «Komm, ich mache dir einen Tee», flüsterte sie ihm vorsichtig zu.
«Tee?» Gott drehte sich empört zu ihr um. «Wer trinkt Tee im Angesicht dieses Leides?»
«Ich», erklärte sie sanft, nahm am Esstisch Platz und schenkte sich aus dem Porzellankrug einen wunderbar duftenden Tee in ihre weissgeblümte Tasse ein.
Das würde seine Geschöpfe überfordern
Gott starrte vor sich hin. Jesus, sein Sohn, war tot. Vor 30 Jahren hatte Gott sich gewünscht, sich unter die Menschen zu mischen. Bei ihnen zu sein. Er hatte viele Ideen gehabt. Letztlich kam er bei der Heiliggeistkraft nur mit einer durch: Als Mensch, genauer gesagt als Mann auf die Erde zu kommen. Als Frau, das hätte Gott damals noch besser gefallen. Dazu sei die Menschheit nicht bereit, hatte die Heiliggeistkraft entgegengehalten.
Sie war grundsätzlich skeptisch, dass Gott sich den Menschen ausgerechnet als Mensch zeigen wollte. Warum nicht als Sonne, Prinzip, Tier oder anderes Wesen? Gott als Mensch zu den Menschen, das würde seine Geschöpfe überfordern. Aber hier war Gott hart geblieben. Gott als Mensch, das musste sein. Und so einigten sie sich auf einen Mann. Und der war nun tot.
Die Menschen hatten ihm ein Ende gemacht. Nein, es war kein Unfall. Mit einem Unfall hätte sich Gott arrangieren können. Aber mit Mord? «Diese Irren», wäre es ihm fast herausgerutscht, doch er hielt sich zurück. Ein unbedacht ausgesprochenes Wort von Gott, und das Chaos wäre auf der Erde ausgebrochen.
Zugegeben, die Menschen waren ja auch seine Kreaturen. Und da alles, was Gott tat, gut war, musste es auch der Mensch sein. Nur war es Gott zur Zeit mehr nach Bestrafung. Die erlittene Ungerechtigkeit verlangte nach Wiedergutmachung. «Die Rache ist mein» war ein weltberühmtes Zitat, das auf ihn zurückging.
«Warum nicht Feuer regnen lassen? So wie früher. Oder die Erde von einer Sintflut verwüsten lassen? Sodass sie richtig leiden müssen. Vielleicht würden die Menschen ihre schreckliche Tat dann bereuen. Würden wieder zu mir beten und flehen, so wie früher.»
«Du hast versprochen, es nicht mehr zu tun», hörte Gott die Heilige Geistkraft hinter sich. Er hatte seine Gedanken wohl etwas zu laut ausgesprochen.
«Versprochen, versprochen?!?! Ich bin Gott, ich kann doch tun, was ich will. Oder wer könnte mich, Gott, zur Verantwortung ziehen?»
Die Geistkraft blickte ihn gütig an. «Komm, setz dich. Ich habe Kuchen gebacken. Schokolade. Deinen Lieblingskuchen.»
Widerwillig setzte sich Gott an den Tisch. Da war er wieder: der tiefste, grösste, mächtigste Schmerz, den er jemals erfahren hatte. Und mit ihm die Frage: «War das wirklich eine gute Idee gewesen? Mit dieser Menschheit?»
Gott schloss die Augen, sagte und dachte nichts mehr. Er sass einfach da. Sie sprachen nichts. Sassen da. Drei Tage. Kein Wort. Stille. Schmerz. Bis die Heiliggeistkraft fragte: «Der Tee ist kalt, soll ich dir einen neuen machen?»
Sein Herz regte sich leise und warm
Plötzlich öffnete Gott die Augen: «Ich hatte eine Erkenntnis, Heiliggeistkraft. Auch der Schmerz ist meine Schöpfung. Und er erinnert mich daran, dass ich etwas verloren habe, das ich liebte. Ich leide, weil ich liebe. Ich entscheide heute, dass ich mich nicht mehr vom Schmerz quälen lassen will, sondern schaue darunter und will mich an meine Liebe erinnern.»
«Ja», entgegnet die Heilige Geistkraft. «Am Anfang von allem war deine Liebe. Die Liebe zum Leben. Erinnerst du dich an den Moment, als dein Sohn geboren wurde? An das Leuchten in den Augen der Menschen? Ihre Hingabe und Zuneigung? Ihr Staunen über das, was da vor ihren Augen geschah?»
Jetzt huschte ein leises Lächeln über Gottes Gesicht. Er erinnerte sich. Und sein Herz regte sich leise und warm. «Ja, das war bedingungslose Liebe. Sie gaben alles für dieses Kind.» Gott seufzte selbstvergessen vor sich hin.
«Und wie wäre es», meinte die Geistkraft, «wenn du nun deine Menschen nochmals lieben würdest?»
«Wie soll das gehen?», erwiderte Gott. «Du kennst die alten Schriften. Ich bin ein rachsüchtiger Gott. Ich will Vergeltung und Sühne. Erst dann kann wieder Liebe werden. Wie sollen die Menschen das sonst verstehen?»
Die Geistkraft hielt ihm entgegen: «Ach ich bin sicher, sie werden das lernen. Gott kann sich ändern. Du kannst lieben, ohne zu strafen. Das nennt sich bedingungslose Liebe.» Gott runzelte die Stirn: «Und wer wird mich dann noch ernst nehmen?»
Die Geistkraft schaute ihn durchdringend an: «Ach so, darum geht es dir also? Du hast Angst, dass die Menschen dich nicht achten? Hast du das wirklich nötig?»
Gott wog seinen Kopf zuerst auf die eine, dann auf die andere Seite. Und schliesslich grinste er breit. «Nein, natürlich habe ich das nicht nötig. Wer wäre ich, wenn ich auf die Unterwerfung der Menschen angewiesen wäre? Also: Was schlägst du vor?»
Beim Wort «erschaffen» wurde er ganz Ohr
«Was wäre, wenn du ihnen eine zweite Chance geben würdest? Du wärst der Erste, der dem grössten Schmerz, den man erfahren kann, nicht mit Rache, sondern mit Liebe begegnet. Du würdest die Vergebung, Versöhnung und die bedingungslose Liebe erschaffen.»
Beim Wort «erschaffen» wurde Gott ganz Ohr. Das war sein Spezialgebiet. Die Heiliggeistkraft wusste das natürlich und lächelte verschmitzt.
«Also gut», sprach Gott, «wir geben ihnen eine zweite Chance. Ich schenke meinem Sohn ein neues Leben, er wird auferstehen. Ich bestrafe niemanden. Im Gegenteil, ich werde die Menschheit noch mehr lieben. Und mein Sohn wird die lebende Liebe sein.»
Die Heiliggeistkraft klatschte vor Freude in die Hände. «Und du bist der Erste, der so etwas jemals getan hat. Du hast nicht mit Angst, Wut, Strafe und Macht reagiert, sondern mit Liebe.» Sie tanzte um den Tisch und küsste Gott auf die Nase.
«Ich weiss.» Gott liess sich zufrieden in den Sessel zurückfallen. «Was ist jetzt mit dem Tee?»
Corinne Dobler ist seit bald 13 Jahren Pfarrerin in der Kirchgemeinde Bremgarten-Mutschellen und unterwegs als Gastroseelsorgerin im Kanton Aargau. Davor hat sie an der Universität Zürich studiert und ihr Vikariat in Hinwil ZH gemacht. Sie feiert gerne Gottesdienste, gibt Konfirmandenunterricht und macht auch sonst alles, was eine Pfarrerin so macht. Sie stellt sich immer wieder neu der herausfordernden Frage, wie man Gott im Alltag erleben und verstehen kann.