55 000 Mitglieder zu den Blütezeiten
09.04.2019 BoswilBenedikt Stalder referierte an der GV des Kulturvereins Boswil über die einstige Herz-Jesu-Bruderschaft
Gegründet zur Abwendung von Krankheiten, Pest und Krieg würde die Herz-Jesu-Bruderschaft heuer ihr 200-jähriges Bestehen feiern. Die ...
Benedikt Stalder referierte an der GV des Kulturvereins Boswil über die einstige Herz-Jesu-Bruderschaft
Gegründet zur Abwendung von Krankheiten, Pest und Krieg würde die Herz-Jesu-Bruderschaft heuer ihr 200-jähriges Bestehen feiern. Die Bruderschaft ist zwar aufgelöst worden, noch immer wird aber an jedem ersten Freitag im Monat dem Herz Jesu gedacht.
Es brauchte einen Freiheitsbrief aus Rom. Einfach so gründen konnte der damalige Pfarrer Ignaz Infanger die Herz-Jesu-Bruderschaft in Boswil nicht. «Die Regierung des jungen Kantons Aargau hatte keine Freude daran», blickte Benedikt Stalder zurück. Für seinen Vortrag stöberte er im Pfarrei-Archiv und fand einige interessante Fakten zur Bruderschaft, die zu ihren Blütezeiten rund 55 000 Mitglieder zählte.
Dank der Bruderschaft Unheil abwenden
Es war eine unruhige und ungewisse Zeit, in welche die Gründung der Bruderschaft fiel. Die Folgen der Französischen Revolution brachten die politischen Strukturen in Europa durcheinander. Der alte Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten schwelte immer noch – speziell in ländlichen Gebieten wie dem Freiamt. 1817 war es, als der Benediktinermönch Ignaz Infanger als Pfarrer von Boswil eingesetzt wurde. Aufgewachsen in Engelberg, erlebte er die kirchenfeindliche französische Revolutionsarmee hautnah. «Die Massaker mit über 400 Opfern und vielen niedergebrannten Kirchen, die 1798 in Nidwalden stattfanden, waren ihm wohl auch in Boswil noch sehr präsent», erklärte Benedikt Stalder. Die Gründung der Herz-Jesu-Bruderschaft sollte ein Zeichen sein. «Die damalige Volksfrömmigkeit versprach sich durch das Gebet Abwendung allen Unheils.»
Sang- und klangloser Untergang
Keine Gründung, sondern eine «Filiale» der Bruderschaft in Rom – nur so konnte die Boswiler Bruderschaft überhaupt gegründet werden. Wie stark der Glaube war, dadurch Krieg, Pest und Krankheit abzuwenden, zeigen die imposanten Mitgliederzahlen. Im ersten Jahr stieg diese auf fast 2000, 1845 waren es 30 000, 30 Jahre später über 50 000. Gar aus dem süddeutschen Raum erhielten Mitglieder die «Einverleibung», einen achtseitigen Gebetszettel, mit der Anleitung zur Erreichung der Ablässe.
Immer am dritten Sonntag nach Pfingsten – dann war in Boswil Feststimmung. Das Herz-Jesu-Fest war bis in die 1970er-Jahre einer der wichtigsten kirchlichen Anlässe im Jahr. Eine Prozession mit dem Allerheiligsten wanderte durchs Dorf – ein Grossteil der Bevölkerung zog mit durch die Strassen, betete und sang. «Sang- und klanglos» beschreibt Stalder die Auflösung der Bruderschaft unter Pfarrer Andreas Schiltknecht. Ganz verschwunden ist der Herz-Jesu-Kult aber nicht. Noch immer wird an jedem ersten Freitag im Monat die Herz-Jesu-Verehrung in einer Abendmesse gefeiert.
Ausstellung im Ortsmuseum
Feiern, wie es sie 1919, am 100. Geburtstag der Bruderschaft, gab, gehören aber der Vergangenheit an. Triumphbögen vor der Kirche, aber auch an speziellen Orten im Dorf, prägten das Bild. Die Prozessionsordnung war strikt: Vorreiter, Fahne und Kreuz, Schuljugend, Jungfrauen und Frauen, Kavallerie in Uniform und so weiter. Zum Schluss kamen die Männer und nach der Prozession, die quer durch das ganze Dorf führte, traf man sich auf dem Sternenplatz zur weltlichen Feier mit Most und Bier. Die Teilnahme war für viele Pflicht oder Ehrensache, entsprechend begehrt waren die Plätze auf dem Sternenplatz. Ausdrücke wie «Gönd hei, ehr Bönzer ond Bäsibörer, das esch euses Herz-Jesu», sollen dort ihren Ursprung gefunden haben.
Der Herz-Jesu-Bruderschaft ist aktuell im Ortsmuseum eine Spezialausstellung gewidmet. --ake
Neues Ehrenmitglied, neues Projekt
GV des Kulturvereins Boswil
Gelebte Geschichte am kantonalen Kulturerbetag. Das war das Highlight im Jahresbericht des Präsidenten Othmar Stöckli. «Es war ein toller Anlass, mit vielen interessierten Besucherinnen und Besuchern», blickte Stöckli zurück. Er ging in seinem Jahresbericht zudem auf das Werderhaus ein. Mit der Sanierung des Sigristenhauses wird das Haus beim Künstlerhaus frei. «Dann können wir uns ans Zügeln und Einrichten machen», sagt Stöckli. Das Werderhaus soll nämlich die neue Heimat des Ortsmuseums werden. «Wir arbeiten momentan an einem Konzept für die Nutzung dieses Hauses.»
An der GV informierte Stöckli darüber, dass Traugott Keller den Vorstand nach elf Jahren verlässt. «Alles, was er in die Hände bekommen hat, hat anschliessend funktioniert oder war perfekt restauriert», ehrte ihn der Präsident. Viele Maschinen und Geräte seien von ihm und seinem Vater für den Verein restauriert worden. Keller sei aber auch immer kritisch gewesen. «Manchmal musste man ihn von einer Idee überzeugen.» Er habe aber auch selber immer wieder gute Anregungen eingebracht.
Einen Nachfolger konnte Stöckli nicht präsentieren. «Ein aussichtsreicher Kandidat hat abgesagt.» Die Suche gehe weiter.
Stalder neues Ehrenmitglied
Vorstandsmitglied Benedikt Stalder präsentierte die Zahlen. Das vergangene Jahr schloss der Kulturverein mit einem Gewinn von knapp 2700 Franken ab. Das Budget für das aktuelle Jahr sieht einen Verlust von gut 7000 Franken vor. Der Hauptgrund ist das Buchprojekt zu den Zunamen von Boswil. Benedikt Stalder ist dafür fleissig am Recherchieren. Noch dieses Jahr soll das Buch erscheinen. Nicht deswegen, aber wegen der Summe an erarbeiteten Projekten wurde Stalder zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt. Als Gründungspräsident des Vereins prägte er die Geschichte von Anfang an mit. Von 2004 bis 2010 leitete er den Verein, seit 2016 ist er Kassier. Das Buch «Lumpetäsche und Gruchshölzli» über die Flurnamen von Boswil und das Projekt «Leidhelgli» gehen auf sein Konto. «Er hat die Ehrenmitgliedschaft längst verdient», ist Stöckli überzeugt.
Kirchturmuhr ausgestellt
Am Sonntag begrüsste der Kulturverein die interessierte Bevölkerung zum Tag der offenen Tür im Ortsmuseum. Nach der Wechselausstellung über Radio und Fernsehen der Vorfahren können die Besucher neu antike Uhren und gar eine Kirchturmuhr im Museum im Gemeindehaus bewundern. --ake