Die letzten Fälle beurteilt
29.03.2019 MuriLangjähriger Gerichtspräsident geht
Auf Lösungen konzentriert sein. Und nicht nur die eine Partei vertreten, wie es Anwälte beispielsweise tun. Aber auch nicht Rechtsmittel beurteilen, wie es an Obergerichten gefragt ist. Mit dem Amt als ...
Langjähriger Gerichtspräsident geht
Auf Lösungen konzentriert sein. Und nicht nur die eine Partei vertreten, wie es Anwälte beispielsweise tun. Aber auch nicht Rechtsmittel beurteilen, wie es an Obergerichten gefragt ist. Mit dem Amt als Gerichtspräsident hat Benno Weber seine Berufung gefunden. In Merenschwand aufgewachsen, dort immer noch wohnhaft, war er während 29 Jahren und drei Monaten Präsident des Bezirksgerichts Muri. Zu nahe? «Nein, in den Ausstand, weil mir jemand zu nahe stand, musste ich nie», sagt Benno Weber.
Nahe gegangen sind ihm dafür einige der zu beurteilenden Fälle. Ende Monat wird Weber pensioniert. --ake
Heil ist die Welt auch hier nicht
Nach 29 Jahren und 3 Monaten geht Benno Weber als Gerichtspräsident des Bezirksgerichts Muri in Pension
Bis vor sechs Jahren als Strafrichter, mittlerweile vorwiegend im Familiengericht – der Merenschwander Benno Weber hat das Bezirksgericht Muri über fast drei Jahrzehnte geprägt. In dieser Zeit hat sich viel verändert, personell, aber auch rechtlich.
Annemarie Keusch
Schlaflose Nächte gabs. Nicht, weil er sich ob der gefällten Urteile nicht sicher war. «Vielmehr, bevor die Urteile gefällt werden mussten», sagt Benno Weber. Zu solchen Situationen kam es, wenn bei Fällen Kinder im Spiel waren. Also Fälle, die von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) beurteilt werden mussten. «Das ist zweifelsohne der Bereich mit dem grössten Verantwortungsdruck», sagt Weber. Druck, der oftmals auch von der Öffentlichkeit kommt. Fälle, die in den letzten Jahren hohe Wellen schlugen, zeigen es.
In Muri gab es in der Zeit mit Benno Weber als Gerichtspräsident keine solchen Fälle, weder strafrechtliche noch solche im Bereich Familiengericht. «Zum Glück nicht», sagt Weber. Aber verändert hat die Einführung der KESB vor sechs Jahren Benno Webers beruflichen Alltag sehr. Vorher, als alleiniger Gerichtspräsident mit der breiten Palette, also auch mit Strafgerichtsfällen, beschäftigt, zog er sich daraus zurück. «Ich war nicht unglücklich, das Strafgericht abgeben zu können», gesteht Weber. Er habe die Entwicklung des Strafprozessrechts als schwierig empfunden. «Das Ganze wurde derart kompliziert und aufwendig, dass ich das Strafrecht nicht ungern hinter mir liess.»
Zwischen suboptimalen Lösungen entscheiden
Einfach waren die Fälle in der KESB aber auch nicht, im Gegenteil. «Den richtigen Weg zu finden, ist schwierig.» Die Ideallösung, den Eltern so zu helfen, dass sie ihre Situation verbessern und für die Kinder sorgen können, werde immer angestrebt. «Wenn es nicht geht, müssen wir zwischen zwei suboptimalen Lösungen entscheiden: Das Kind bei den erziehungsunfähigen Eltern zu lassen oder es fremdzuplatzieren.» Weber betont, wie froh er jeweils gewesen sei, nicht alleine entscheiden zu müssen. Fachrichterinnen und Sozialberichte der Jugend-, Ehe- und Familienberatung und von Beiständen halfen. «Es ist mir nicht immer gelungen, mich nach Feierabend von den Fällen zu lösen», gesteht Weber.
Das sei vor allem am Anfang so gewesen. Die Routine hat auch in diesem Bereich Sicherheit gebracht. Und von dieser hat Benno Weber genügend. Aufgewachsen in Merenschwand, entschied er sich nach der Matura dazu, Jus zu studieren. «Ich wusste nicht genau, wohin mein Weg gehen sollte. Ein Jus-Studium liess vieles offen, darum entschied ich mich dafür», sagt er. Biologie hätte es genauso gut sein können. Dass er auf dem richtigen Weg ist, dessen war sich Weber nicht von Anfang an bewusst. «Das Studium selber war noch nicht wirklich spannend.» Das änderte sich mit dem Praktikum am Bezirksgericht Muri.
Keine Ambitionen bezüglich Obergericht
Mittlerweile ist der bald Pensionierte schon lang mit ganzem Herzen Jurist. Und das, obwohl er sich als harmonischen Menschen bezeichnet. Und trotzdem, jeden Tag mit Konflikten zu tun haben, wie geht das? «Das macht mir gar nichts aus. Es ist wohl ähnlich wie bei einem Arzt. Er hat auch täglich mit Kranken zu tun und probiert, sie gesundzumachen. Unser Ziel ist es, Konflikte zu lösen.»
29 Jahre und 3 Monate hat Benno Weber dieses Ziel in Muri verfolgt. «Das ist nicht aussergewöhnlich», sagt er, angesprochen auf die lange Amtszeit. Bei Gerichtspräsidenten sei dies üblich. Vor allem auch, weil es ihm gefällt, erstinstanzlich tätig zu sein. «Darum war der Schritt ans Obergericht oder gar ans Bundesgericht für mich nie eine Option.» Auch Anwalt werden wollte der Vater zweier mittlerweile erwachsener Kinder nicht. Sechs Jahre war er nach dem Studium zwar als Anwalt tätig. «Ich habe schnell gemerkt, dass die Arbeit am Gericht mir mehr zusagt. Ich wollte nicht einer Seite helfen, sondern den Fokus darauf legen, eine Lösung für beide zu suchen. Als er sich als Gerichtspräsident wählen liess, sei er sich bewusst gewesen, dass seine berufliche Laufbahn wohl am Bezirksgericht Muri enden würde.
Team als grosse Stütze empfunden
In den fast 30 Jahren hat sich rund um Benno Weber viel verändert. Er spricht die technischen Neuerungen an. Aber auch die personellen Wechsel. «Ich hatte das grosse Glück, immer mit motivierten Leuten zusammenarbeiten zu dürfen. Das Team war über die ganze Zeit eine grosse Stütze für mich. Einige sind gar schon länger beim Bezirksgericht tätig als ich.»
Verändert haben sich teilweise auch die rechtlichen Gegebenheiten. Benno Weber erinnert sich: «Zu meiner Anfangszeit mussten wir bei Scheidungsverfahren die Schuld an der Zerrüttung beurteilen.» Zum Glück sei das heute kein Thema mehr. Auch Zuständigkeiten sind heute anders, als sie es noch vor 30 Jahren waren.
Mehr Zeit fürs Reisen – zuerst für die Ostsee
Der Bezirk Muri, im Vergleich zu anderen Bezirken klein und ländlich, wird auch wegen der landschaftlichen Schönheit oft als heile Welt bezeichnet. «Die Anzahl Fälle im Vergleich zur Bevölkerungszahl lässt auch darauf schliessen», sagt Weber. Aber heile Welt, das sei es auch hier nicht, nie gewesen. «Zwar blieben kapitale Verbrechen wie Mord im grösseren Stil aus», sagt er, «aber die schwerwiegendsten Fälle sind ganz weit weg von heiler Welt.» Weber spricht von Delikten im familiären Umfeld, Missbrauch, Misshandlung. Wie er damit umgeht? «Professionell, das gehörte dazu, leider.»
Mit Dankbarkeit blickt Benno Weber auf die Zeit am Bezirksgericht Muri zurück. Dankbarkeit gegenüber den Gemeinden, den Anwälten, den Beiständen, aber vor allem auch gegenüber seinem persönlichen Umfeld. Seit 34 Jahren ist er verheiratet, lebt in Merenschwand. Dass er nach seiner Pensionierung mehr Zeit zum Reisen – «mit oder ohne Segelschiff» – hat, freut ihn. «Die Ostsee steht im Mai an», sagt er.