Obwohl weg machen nicht geht

  29.01.2019 Muri

Heim- und Spitalseelsorger Andreas Zimmermann organisiert in der Pflegi ein Trauer-Lebens-Café

Jeden 15. im Monat, 16 bis 18 Uhr, Treffpunkt: Raum Gerold im neuen «Löwen»-Gebäude der Pflegi. Trauer verarbeiten, über Trauer sprechen – und auch weinen, dafür soll es neu einen Platz geben. Die Idee stammt von Andreas Zimmermann – einem Mann, der viel lacht, aber auch weiss, was Trauer ist.

Annemarie Keusch

Er habe sich gefühlt wie ein Quereinsteiger. Seit rund viereinhalb Jahren ist Andreas Zimmermann Seelsorger in der Pflegi Muri. Vorher war er Pfarreileiter im Raum Rütihof und Baden. Unterschiedliche Ansichten über die Orientierung der Kirche führten zum Wechsel. Zum Wechsel, den Zimmermann radikaler vornahm als andere. «Wenn schon ein Wechsel, dann ein richtiger», habe er sich gesagt. Zimmermann machte Kurse im Bereich der Sonderseelsorge. Nochmals eine neue Herausforderung vor der Pension – das suchte der heute 62-Jährige.

Schwerkranke und sterbende Menschen. Auch als Pfarreileiter hatte Zimmermann schwierige Situationen zu meistern, Trauergespräche zu führen, Gottesdienste mitzuorganisieren. Als Seelsorger in der Pflegi ist das noch viel intensiver. «Pro Jahr sterben rund 80 bis 100 Bewohnerinnen und Bewohner», weiss er. Bei total rund 200 Betten ist dies eine stattliche Zahl. Die Leute kommen immer später ins Pflegeheim und bleiben kürzer. Für Zimmermann ist der Tod quasi alltäglich geworden oder zumindest das Vorbereiten darauf.

Viel Erfahrung aus 30 Jahren Seelsorge

Andreas Zimmermann beschreibt es als intensive Zeit, die er mit Sterbenden, aber auch mit ihren Angehörigen verbringt. «Ihre Lebensgeschichten bereichern ungemein», weiss er. Immer wieder mit dem Tod in Berührung zu kommen, das bedrückt Andreas Zimmermann nicht. «Vielmehr beschäftigt es mich, wenn alte Leute sterben wollen, aber nicht können.»

Wenn jemand aus der Familie, aus dem nahen Umfeld stirbt – es ist der klassische Grund für Trauer. Aber es ist bei Weitem nicht der einzige. Wenn das Haustier stirbt, wenn ein Arbeitsverhältnis gekündigt wird, wenn die Wohnung aufgegeben werden muss, wenn das Kind aus dem Elternhaus auszieht – überall entsteht Trauer. Mit ihr umzugehen hat Andreas Zimmermann in den 30 Jahren als Seelsorger gelernt. Einerseits von vielen Gesprächen mit Trauernden, andererseits von eigenen Lebenserfahrungen.

Kaum planbar

Der Umgang mit Trauer war auch in seiner Ausbildung und den Kursen zum Heimseelsorger immer wieder ein Thema. Ähnliche Cafés wie jenes, das Zimmermann in Muri plant, gibt es in anderen Gemeinden schon. «Hier in der Region ist mir nichts Ähnliches bekannt. Und ich dachte mir, dass dies eigentlich zu meinem Job gehören würde.» Unterstützung fand er mit seiner Idee bei Spitalseelsorgerin Ruth Langenberg und bei Pflegefachfrau Martina Keusch.

Das erste Trauer-Lebens-Café ist in Planung. Für Menschen, die in ihrer Trauer niemanden zum Reden haben und nicht alles mit sich selber ausmachen wollen – für sie ist das Angebot gedacht. Ob Pflegibewohner oder nicht. Ob andere Gründe zu einer Teilnahme führen, für alle steht die Türe offen. Ob zwei Leute kommen, ob 15 – Zimmermann weiss es nicht. Niederschwellig soll das Angebot sein, darum ist auch keine Anmeldung nötig. Planen, wie der Anlass ablaufen wird, auch das können die Organisatoren nicht. Das wichtigste Ziel: auf die Teilnehmenden eingehen, sie dort abholen, wo sie in ihrem Trauerprozess sind. Und eines ist zudem sicher: es wird Kaffee geben. «Ein Café ohne Kaffee geht kaum», meint Zimmermann schmunzelnd.

Dass jede und jeder anders mit Trauer umgeht, dessen ist sich Zimmermann bewusst. Auch, dass sich Trauer nicht wegmachen lässt, weiss er. «Wir hoffen aber, dass es den Teilnehmenden nach den zwei Stunden besser geht.» Gespräche sollen helfen und auch Schweigen oder Weinen, wenn das die Situation am besten abholt. Belastendes loszulassen, ohne dass darüber gewertet wird, das ist im Trauer-Lebens-Café möglich. Trauernde finden einen Ort, wo sie auf andere Trauernde treffen und sich allenfalls gegenseitig Halt geben können.

Keine Angst vor Überforderung

Angst, von Geschichten oder von Erlebnissen überfordert zu werden, das hat Andreas Zimmermann nicht. «Es ist eine Mischung zwischen Gottvertrauen und Leichtsinn», meint er schmunzelnd. Was aus den Teilnehmenden ausbreche, das dürfe sein. «Es ist danach mein Job, damit umzugehen.»

Ab dem 15. Februar findet das Trauer-Lebens-Café monatlich jeweils am 15. von 16 bis 18 Uhr im Raum Gerold im Gebäude «Löwen» der Pflegi Muri statt.


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