Fünf Jahre für Drogenhandel
26.10.2018 GerichtEs ist das erste Mal, das sich das Bezirksgericht Bremgarten mit einem so gravierenden Fall von Drogenhandel beschäftigen muss. Angeklagt war ein 29-Jähriger, der über eine Website im Darknet eine Vielzahl von verschiedenen Drogen verkauft hat. Das Geld hat er anschliessend auf einer deutschen ...
Es ist das erste Mal, das sich das Bezirksgericht Bremgarten mit einem so gravierenden Fall von Drogenhandel beschäftigen muss. Angeklagt war ein 29-Jähriger, der über eine Website im Darknet eine Vielzahl von verschiedenen Drogen verkauft hat. Das Geld hat er anschliessend auf einer deutschen Website gewaschen. Vor Gericht beteuerte der Beschuldigte, dass er sich geändert hat. Während der Untersuchungshaft ist er clean geworden, hat den Drogen ganz abgeschworen. Nur einen Monat nach seiner Entlassung hat er einen Job gefunden. Sogar ein hervorragendes Arbeitszeugnis legte er dem Gesamtgericht vor.
Aber wie beurteilt man jemanden, der eine 180-Grad-Wendung in seinem Leben vollzogen hat? Eine Gefängnisstrafe würde das Risiko erhöhen, dass er wieder auf die schiefe Bahn gerät, argumentiert sein Verteidiger. Dennoch: Der Beschuldigte hat profimässig mit den Drogen gehandelt und andere dazu angestiftet, die «Drecksarbeit», wie es der Staatsanwalt nennt, zu machen. --chg
Grösster Betäubungsmittelfall
Das Bezirksgericht Bremgarten verurteilte einen Tägliger zu fünf Jahren Haft
Über Monate hinweg handelte der Beschuldigte mit grossen Mengen an Drogen. Jetzt musste er sich wegen Drogenhandel, Waffenbesitz und Geldwäscherei vor Gericht verantworten.
Chantal Gisler
Bei diesem Fall, der gestern Donnerstag vor dem Bezirksgericht Bremgarten verhandelt wurde, musste selbst Gerichtspräsident Peter Thurnherr zugeben: «Es ist einer der grössten, wenn nicht der grösste Betäubungsmittelfall, der hier verhandelt wurde.» In diesem Ausmass sei ihm kein anderer Fall bekannt, den Kollegen vom Gesamtgericht ebenso wenig. Es ist eine sehr emotionale Verhandlung, die dort stattgefunden hat. Der Angeklagte Tobias (alle Namen geändert) sitzt mit hängenden Schultern im Gerichtssaal. Mehrmals versagt ihm während der Befragung die Stimme, einmal bricht er in Erinnerung an sein Vergehen in Tränen aus. «Es tut mir sehr leid, ich habe einen sehr grossen Fehler gemacht», sagt Tobias zu Gerichtspräsident Peter Thurnherr.
Nur per Zufall sei er in den Drogenhandel geraten, so Tobias. Süchtig ist er aber schon seit der Oberstufenzeit. Mit Cannabis habe es angefangen, später habe er andere Drogen ausprobiert, bis er kokainsüchtig wurde. Und diese galt es zu beschaffen. Einen Job hatte er damals nicht, die Lehre hatte er abgebrochen. «Aber nicht wegen den Drogen, die Arbeit hat mir schlicht nicht gefallen», beteuert der Tägliger. Er war arbeitslos, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, war beim RAV angemeldet. Durch einen Artikel einer Zürcher Tageszeitung wurde er auf den Drogenhandel im Darknet aufmerksam. Mit der Kryptowährung Bitcoin hatte er sich schon früher befasst, da ihm der Handel damit lukrativ erschien.
Ausgeklügeltes System eingerichtet
Innerhalb kürzester Zeit hat sich der 29-Jährige ein ausgeklügeltes System zum Drogenhandel und zur Geldwäscherei aufgebaut. Im Darknet hatte er die Drogen erworben und weiter verkauft. Einen Teil davon hat er selber konsumiert. Von Kokain über LSD bis hin zu MDMA war alles dabei, die Liste mit den Drogen in der Anklageschrift ist lang. «Aber mit Todesdrogen habe ich nie gehandelt», beteuert Tobias. Todesdrogen – darunter versteht er Substanzen wie Crack, Crystal Meth und Heroin, deren Konsum teilweise schon beim ersten Mal süchtig macht und die für viele Drogentote verantwortlich sind.
Gezahlt wurde nur mit der Kryptowährung Bitcoin, das Geld wurde über eine deutsche Internetseite gewaschen. «Da man sowohl im Darknet als auch bei Kryptowährungen anonym agiert, konnte der Beschuldigte die Herkunft des Geldes und der Drogen verschleiern», fasst der Staatsanwalt zusammen.
Andere mit reingezogen
Die Drecksarbeit, wie es der Staatsanwalt nennt, liess er seinen Komplizen Severin machen. Dieser ging regelmässig nach Deutschland, wo sich die beiden Postfächer befanden, über die er sich die Drogen beschaffte. Weshalb er das nicht selber gemacht habe, will Gerichtspräsident Thurnherr wissen. «Das Risiko, von der Polizei oder der Grenzwache gefasst zu werden, war mir zu gross», gibt der Beschuldigte zu. Die Drogen hat er nicht bei sich gelagert, sondern in einem Tresor in der Wohnung einer Komplizin. «Auch hier war mir das Risiko zu gross, sie bei mir zu lagern», gibt Tobias kleinlaut zu. Insgesamt 21 000 Franken Gewinn hat er damit gemacht, wovon die Komplizen auch etwas erhielten.
Jedoch, die Möglichkeit, mit dem Handel aufzuhören, hätte er gehabt: Als sein Vater vor einiger Zeit starb, erbte Tobias ein Vermögen von rund 300 000 Franken. «Genug, um seine Sucht zu befriedigen und mit dem Drogenhandel aufzuhören», bilanziert der Staatsanwalt. «Wieso haben Sie nicht aufgehört?», fragt Thurnherr den Beschuldigten. «Ich wollte die Erbschaft nicht mit meinen Drogen beschmutzen», erklärt dieser. Vielmehr wollte er sie bei Glücksspielen vervielfachen – was ihm aber nicht gelang.
Er vertrieb weiterhin Drogen. Bis eines Tages die Polizei vor der Tür stand. Bei der Hausdurchsuchung wurden neben den Drogen auch eine Pistole, ein Elektroschockgerät und ein Schlagstock gefunden. Dieses Ereignis habe ihn zurück auf den Boden geholt, sagt Tobias. «Es war der Wendepunkt in meinem Leben.»
Sein Leben hat sich um 180 Grad geändert
Während der Untersuchungshaft schwört er den Drogen ein für alle Mal ab, wird clean. Und bereits einen Monat nach seiner Entlassung findet er einen Job in einer Werkstatt. «Ich habe dem Chef alles erzählt», so Tobias. Dieser gab ihm trotz seiner Vorgeschichte eine Chance. Und Tobias nutzte sie. Dem Gericht konnte er ein hervorragendes Arbeitszeugnis vorlegen. Eine Freundin hat er auch gefunden, mit ihr möchte er eine Familie gründen. Rückfällig ist er nicht mehr geworden. Seine Familie und seine Freundin unterstützen ihn. Wenn es ihm schlecht geht, wendet er sich an seine Hunde. «Sie sind wie eine Familie für mich.»
Aber reicht das, um das Gericht gnädig zu stimmen? Die Staatsanwaltschaft fordert für den Drogenhandel eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren, 360 Tagessätze Geldstrafe à 110 Franken unbedingt sowie eine Busse von 3000 Franken.
Gericht ist sich nicht einig
Dass Tobias für den Drogenhandel und die Geldwäscherei bestraft werden muss, ist auch für seinen Verteidiger klar. Da Tobias sich aber durchaus kooperativ verhalten und sein Leben nach der Verhaftung in den Griff bekommen hat, fordert der Verteidiger eine mildere Strafe von drei Jahren Haft, von denen er 18 Monate absitzen soll.
Trotzdem: Obwohl Tobias mit der Polizei kooperierte, hat er nur tröpfchenweise gestanden – und das auch nur, wenn die Beweislast so gross war, dass er kaum eine andere Wahl hatte. Für Staatsanwalt und Gesamtgericht hat er die Drogen profimässig vertrieben. Und das muss bestraft werden.
Wie – da ist sich aber auch das Gericht nicht einig. Eine Mehrheit der Richter verurteilt Tobias daher zu fünf Jahren Haft und einer Busse von 3000 Franken. Für Gerichtspräsident Peter Thurnherr ist klar: «Obwohl Sie nicht mit harten Drogen gehandelt haben, jeder konnte sie erwerben.» Tobias habe grossen Aufwand auf sich nehmen müssen, um die Webseite zu gestalten, aber auch um sie am Laufen zu halten. Die positive Veränderung von Tobias wird vom Gericht durchaus wahrgenommen, aber: «Wir als Strafrichter beurteilen nicht den Menschen, sondern seine Taten. Und in diesem Fall sind diese sehr schwerwiegend.»